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Mitarbeiter des Ordnungsamtes überprüften am Freitag die Einhaltung der Infektionsschutzregeln – die Übertragung des Champions-League-Spiels des FC Bayern gegen den FC Barcelona zog viele Leute in die Bars nach Mitte. 

© Julius Geiler

Ballermann-Stimmung trotz Corona-Pandemie: Wie Ordnungsamt und Polizei in Berlin-Mitte kontrollieren

Die zweithöchsten Corona-Zahlen in Deutschland gibt es in Berlin-Mitte. Am Rosenthaler Platz ist das Gedränge groß, nicht jeder hält sich an die Abstandsregeln.

Die Suchmaschine Google hat die merkwürdige Eigenart, dass man so gut wie alles als Nutzer bewerten kann. Von Polizeirevieren über den Pazifischen Ozean bis hin zu Berlins U-Bahnhöfen. So schreibt ein Nutzer bereits vor vier Jahren über die Haltestelle Rosenthaler Platz: „Netter Bahnhof, es ist allerdings häufig sehr voll und man muss sich etwas durchdrängen.“ Obendrauf gibt es vier von fünf möglichen Sternen. Gleiches kann man problemlos vom oberirdischen Platz in dieser heißen Augustnacht behaupten. Es ist so voll, dass man sich durch die Menge drängen muss, um voranzukommen.

Seit vor einigen Tagen die Nachricht die Runde machte, dass der Berliner Bezirk Mitte die zweithöchste Zahl an Corona-Infektionen pro 100.000 Einwohner im gesamten Bundesgebiet vermeldet, steht das Areal zwischen Rosa-Luxemburg-Platz und Weinbergspark unter besonderer Beobachtung. Zur Wahrheit über die in die Höhe geschnellten Covid19-Fälle in Berlins Zentrum gehört jedoch auch, dass Mitte nicht nur der Rosenthaler Platz ist. Wedding, Tiergarten und Moabit gehören genauso zum Bezirk wie eben die Torstraße.

Klagen über distanzlose Trinkgelage vor Spätis und einer regelrechten Ballermann-Atmosphäre am Rosenthaler Platz gab es schon zu Beginn dieses Corona-Sommers. Und auch in dieser Nacht am Wochenende herrscht eine gelöste Stimmung auf dem Platz. Einen nicht unerheblichen Anteil daran leistet Bayern München. Die führen mit vier zu eins gegen den FC Barcelona im Viertelfinale der Champions League. Dementsprechend gut gefüllt sind die Sportsbars in der Gegend. Vor einem Laden in der Torstraße stehen mehr als 50 Personen und verfolgen das Spiel. Darunter vor allem Touristen. Es ist so eng, dass Passanten vom Bürgersteig auf die Straße ausweichen müssen. Pünktlich zum Halbzeitpfiff gegen 21.45 Uhr erscheint die Polizei.

Beamte weisen den Barbetreiber darauf hin, die Corona-Schutzmaßnahmen durchzusetzen. Dieser lässt die Jalousien herunter. Vermutlich will er Neuankömmlingen damit signalisieren, dass der Laden voll ist. Doch das lässt die Menschenmenge vor der Bar nur weiterwachsen.

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Hundert Meter weiter überträgt eine Pizzeria das Spiel. Auch hier ist es brechend voll. Im Laden wird mit Schildern und einer Sperre aus gestapelten Bierkisten im Eingangsbereich mit der Aufschrift „Weiter nur mit Maske“ auf das Tragen des Mund- und Nasenschutzes hingewiesen. Ungefähr jeder Dritte trägt keine Maske und geht trotzdem weiter.

Der Späti-Besitzer empfindet Kontrollen als Schikane

Zwischen beiden Lokalen liegt der „M.K. Spätkauf“. Er ist sonst bekannt für jugendliche Gruppen, die unter anderem aus Kostengründen die Holzgarnitur vor dem Laden den Bars in der Gegend vorziehen. Heute ist es ruhig, Tische und Bänke sind hochgeklappt. Bis auf den Besitzer des Spätis sitzt hier niemand. Dieser ist geladen: Seit ein paar Tagen hätte man die Sitzmöglichkeiten eingeschränkt, ständige Kontrollen des Ordnungsamtes haben ihn zu dem Schritt genötigt, so der Mittvierziger. Er beklagt eine regelrechte Schikane durch den Bezirk.

Besonders ärgert ihn die Ungleichbehandlung zu den Bars in der Gegend. Während diese angeblich nie kontrolliert würden, bekommt sein Laden mittlerweile nahezu täglich Besuch. Teilweise würden Mitarbeiter des Ordnungsamtes Fotos von Kühltruhen im Laden machen.

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Mutmaßlicher Grund: das Nichteinhalten von Abständen. Abständen zwischen Kühltruhen, nicht Menschen wohlgemerkt. Für den Späti-Betreiber hat das längst nichts mehr mit Corona zu tun: „Das ist Rassismus, was wir hier erleben. Achten Sie mal darauf, wen die hier gesondert kontrollieren. Nur Spätis. Und wem gehören Spätis in der Regel? Kanacken wie mir.“

Keine zehn Minuten später taucht tatsächlich das Ordnungsamt am Rosenthaler Platz auf. Sechs Männer und Frauen des Bezirks Mitte in Begleitung von etwa ebenso vielen Polizisten und Polizistinnen. Diese dienen der „Eigensicherung“, so ein Mitarbeiter des Bezirks.

Die uniformierte Gruppe bahnt sich ihren Weg durch die fußballguckende Meute, hält kurz an, als müsse sie überlegen, wie man mit dem distanzlosen Geschehen umzugehen hat, um sich dann, ohne die Fußballfans zu belehren, vor dem „M.K. Spätkauf“ zu positionieren. Der Betreiber wird nur noch wütender. Schließlich ist sein Laden tatsächlich der einzige auf diesem Stück der Torstraße, vor dem sich keine Menschen versammelt haben.

Die Fußballfans werden ignoriert – zumindest bei dieser Kontrolle

Für einen Zeugen der Situation ist es schwierig nachzuvollziehen, warum gerade dieser Späti im Fokus des Ordnungsamtes liegt. Nach intensiven Wortwechseln mit den Beamten räumen die Mitarbeiter die hochgeklappte Sitzgarnitur ins Innere des Ladens. Auf Nachfrage nach dem Ziel der Kontrolle verweist eine Beamtin des Ordnungsamtes auf die Pressestelle des Bezirks. Diese ist am Wochenende nicht zu erreichen. Nach einer Viertelstunde ziehen Bezirksamtsleute und Polizei wieder ab. Die Massen vor den Fernsehern in den umliegenden Kneipen werden zumindest bei dieser Kontrolle ignoriert.

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Sehr viel ruhiger geht es auf der anderen Seite des Rosenthaler Platzes zu. Der Türsteher des „Mein Haus am See“ hat nicht viel zu tun. Der Laden ist zwar gut gefüllt, aber penibel achtet das Personal darauf, dass die Gäste ihre Maske aufsetzen, wenn sie sich in der Bar bewegen – wer sich nicht daran hält, muss gehen.

Auch die Szene-Bar stand vor ein paar Monaten im Fokus des Bezirks. An den Wochenenden feierten hier Hunderte dicht gedrängt und ohne Maske. Es gab viel Kritik für die Unverantwortlichkeit der Gäste, aber auch für das Corona-Konzept des Betreibers.

Seitdem hat sich augenscheinlich einiges geändert. Der Türsteher lässt verlauten: „Das Ordnungsamt war eine Zeit lang oft hier, mittlerweile haben wir aber länger keinen Besuch bekommen.“ Gleichzeitig versteht er den Ärger vieler Menschen über die Ballermann-Atmosphäre in der Gegend. „Sehen Sie sich die Menschenmenge da vorne an, Abstand ist da Fehlanzeige“ sagt er und zeigt auf den Pulk vor der Pizzeria.

In eben diesem Pulk stehen zwei Katalanen mit Barcelona-Trikot. Ob sie wissen, dass sie sich hier in Berlin-Mitte in einem regelrechten „Corona-Hotspot“ befinden? Nein, wissen sie nicht und es interessiert sie auch nicht, lassen beide von sich wissen. Die Stimmung ist verständlicherweise schlecht. Bayern führt mittlerweile acht zu zwei gegen Barcelona.

Julius Geiler

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