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Selfie mit Chef. Bahnchef Richard Lutz (re.) war schon mal begeistert, als er im Sommer zur Probefahrt im ICE-Führerstand saß. 

© Martin Schutt/dpa

Bahnstrecke Berlin-München: Ein historischer Augenblick für die Bahn

Fast zehn Jahre Arbeit haben die Fahrplanmacher in die neue Strecke Berlin-München gesteckt. Ein Gespräch über Zeit und Takt.

Es wird eine Riesenumstellung: Die Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke zwischen Berlin und München führt zum bisher umfangreichsten Fahrplanwechsel bei der Deutschen Bahn. Klaus Kurpjuweit sprach mit den Fahrplanmachern der DB Netz AG, Rüdiger Weiß, und des Fernverkehrs der DB, Falko Bode.

Wie lange haben Sie an dem Fahrplan gearbeitet?
WEISS: Für für einen neuen Fahrplan brauchen wir etwa 18 Monate. Mit den Planungen für die neue Strecke beschäftigen wir uns aber schon fast zehn Jahre.

Zehn Jahre?
BODE: Ja, sicher. Wir nehmen ja nicht nur eine neue Strecke von A nach B in Betrieb. Unsere Fahrgäste wollen häufig darüber hinaus weiterkommen. Wir fahren im Fernverkehr in einem Mobilitätsverbund zusammen mit den Nahverkehrsunternehmen. Die Anschlüsse müssen möglichst gut passen. Wir wollen die Reisezeitverkürzungen ja auch in die Regionen tragen. Mit der Neubaustrecke haben wir zum Beispiel in Erfurt einen neuen Knoten im Netz geschaffen, in dem Fern- und Nahverkehr optimal miteinander vertaktet sind, und das wirkt sich auch bundesweit positiv auf den Fahrplan aus.

WEISS: Deshalb mussten wir uns so früh um den neuen Fahrplan kümmern. Mit dem größten Fahrplanwechsel seit Gründung der Deutschen Bahn AG im Jahr 1994 fahren ab 10. Dezember ein Drittel aller DB-Fernzüge nach neuem Fahrplan. 45 Städte sind mit dem ICE über die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke direkt erreichbar. Wenn sich 30 Prozent der Strecken im gesamten Netz ändern, geht das nicht in 18 Monaten. Schließlich soll der Fahrplan auch so belastbar sein, dass Verspätungen einzelner Züge nicht die gesamte Pünktlichkeit beeinflussen.

Wer darf denn zuerst seine Wünsche äußern?
WEISS: Als DB Netz AG haben wir neben der DB Fernverkehr AG auch viele Nahverkehrs- und Güterverkehrsunternehmen als Kunden. Sie erhalten zuerst eine Fahrzeitberechnung von uns. Zudem teilen wir den Unternehmen mit, welche Voraussetzungen die Infrastruktur bietet. Auf dieser Basis entwickelt jedes Verkehrsunternehmen dann sein Fahrkonzept. Beispielsweise wurden bei der Netz AG zum Fahrplan 2018 fast 80.000 Anträge auf Zuweisung von Trassen ...

... also der Belegung eines Streckenabschnitts durch einem Zug ...
... gestellt. Mehr als 24 000 Anmeldungen stammten von Eisenbahnverkehrsunternehmen außerhalb des DB- Konzerns.

BODE: Als Fernverkehr ermitteln wir mit verschiedenen Prognosetools, wo in Zukunft welche Verkehrsströme entstehen. Dabei berücksichtigen wir auch die Wünsche und Gewohnheiten unserer Reisenden – wohin wollen sie fahren und auch wann. Aus diesen Daten bauen wir ein System, das möglichst viele Ansprüche erfüllen kann. Dieses System gleichen wir dann mit der vorhandenen Infrastruktur der Bahnhöfe und der Schienenwege ab. Beides muss ja zueinander passen.

War es schwer, eine Fahrzeit von unter vier Stunden zwischen Berlin und München zu erreichen?
WEISS: Es war eine Herausforderung, da sich die Infrastruktur im Vergleich zu den älteren Schienenwegen extrem weiterentwickelt hat. An erster Stelle steht das neues Sicherungssystem European Train Control System ETCS, also Europäisches Zug-Kontroll-System, das ohne Signale an der Strecke auskommt. Zudem hat die Strecke Abschnitte mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Beachten müssen wir auch die erheblichen Steigungen und die Bremswege der Züge.

BODE: Und wir müssen zunächst betrachten, welche Fahrzeuge uns zur Verfügung stehen. Wir haben ja nur einen gewissen Bestand. Die Fahrzeit unter vier Stunden schaffen wir allerdings nur mit Tempo 300, und das schafft bei uns der ICE 3. Zudem müssen die Züge auch die neue Signaltechnik verstehen. Dafür wurden Züge nachgerüstet.

Dann steht der Fahrplan in der Theorie. Macht man anschließend auch Probefahrten, um die Fahrzeit zu prüfen?
WEISS: Bestehende Strecken kennen wir so gut, dass unsere Berechnungen stimmen. Das wird auch bei der Neubaustrecke der Fall sein, da sind wir uns sicher. Aber wir testen einen neuen Fahrplan natürlich auch immer in Echtzeit.

BODE: Bei den Probefahrten geht es aber nicht nur um die Geschwindigkeit. Beispielsweise machen wir im Vorfeld unsere Triebfahrzeugführer mit der Strecke vertraut, damit sie deren Besonderheiten von Anfang an gut kennen.

Und wenn alles klappt, legt der Bereich Netz die Angebote für den Fahrplan vor?
WEISS: Wir stimmen uns in jeder Phase mit allen Eisenbahn-Verkehrsunternehmen ab. Dazu gibt es die Trassenberatung, bei der alle Beteiligte an einem Tisch sitzen, auch die Besteller von Nahverkehr wie der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Hier können wir schon das Wichtigste grundsätzlich klären.

Sie koordinieren auch den Nahverkehr?
WEISS: Selbstverständlich. Wenn sich die Pläne für den Fernverkehr ändern, können sich auch die Bedingungen für den Nahverkehr ändern, und anders herum. Und deshalb machen wir ein Gesamtkonzept für alle rund 400 Eisenbahnunternehmen in Deutschland.

Wie hat sich das in Berlin ausgewirkt?
WEISS: Beim RE 3 Richtung Schwedt/Stralsund haben wir jetzt einen sehr guten Anschluss im Hauptbahnhof mit ganz geringen Wartezeiten beim Umsteigen. Wir haben dazu den Fahrplan beim ICE und beim Regional-Express angepasst.

BODE: Wir vom Fernverkehr führen auch Gespräche mit den Bestellern des Nahverkehrs. Wir wollen doch, dass unsere Fahrgäste schnell an ihr Ziel kommen, egal, bei welchem Unternehmen die Fahrt dann stattfindet. Wir versuchen stets, ein Verbundsystem herzustellen.

Und wenn es zu Konflikten kommt, weil mehrere Kunden gleichzeitig fahren wollen?
WEISS: Dann versuchen wir, gemeinsam eine Lösung zu finden. Wenn wir acht Monate vor dem Fahrplanwechsel den Netzfahrplan erstellen und es kommt zu einem Konflikt, verfahren wir folgendermaßen: Wir versuchen, die Spielräume zu nutzen. Im Güterverkehr kann ich die angemeldeten Zeiten um 30 Minuten variieren, im Reiseverkehr um fünf Minuten. Gibt es keine Lösung, folgt die Koordinierung mit erneuten Gesprächen der Beteiligten. Gibt es auch danach keine Einigung, kommt es zum Streitbeilegungsverfahren, bei dem es dann klare Vorrangregeln gibt. Am Ende überprüft die Bundesnetzagentur unsere Entscheidung.

Mussten Sie für den kommenden Fahrplan Fahrwünsche abweisen?

WEISS: Nein. Wir konnten konfliktfrei über 80.000 Trassen festlegen. Es gab einige Koordinierungsrunden, aber kein einziges Streitbeilegungsverfahren. Das macht die Kunden zufrieden und mein Team und mich sehr stolz.

Herr Weiß, wie viele Mitarbeiter arbeiten denn am Fahrplan?
WEISS: Es sind rund 140 Mitarbeiter. Ihre Aufgabe ist es, auf dem 33.200 Kilometer langen Schienennetz für jeden der täglich 40.000 Personen- und Güterzüge einen freien, passenden Abschnitt zu finden. Sie arbeiten dabei mit einem speziellen, rechnergestützten Konstruktionssystem. Wir sind aber nicht nur für den Regelfahrplan zuständig, sondern kümmern uns auch um kurzfristig angemeldete Wünsche. Das ist typisch für den Güterverkehr. Allein hier gibt es im Jahr rund eine Million Fahrten. Dafür arbeiten 260 Mitarbeiter rund um die Uhr im Schichtbetrieb. Am Ende entscheiden aber immer Menschen mit ihrer Kreativität.

Haben Sie Bammel vor dem größten Fahrplanwechsel?
WEISS: Nein, ich vertraue auf meine Erfahrungen, bin schließlich seit 14 Jahren dabei. Dennoch ist dies ein historischer Fahrplanwechsel. Schließlich hat die Inbetriebnahme der Strecke Berlin–München Auswirkungen auf sehr viele Zugverbindungen im Netz. Und das gab es so noch nie.

BODE: Was wir planerisch hingelegt haben, ist schon toll. Jetzt müssen wir es auch umsetzen. Das ist eine Riesenherausforderung für alle. Aber wir haben uns bestmöglich vorbereitet und ich bin mir sicher: Wir schaffen das.

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