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Seyran Ates, Gründerin der Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin.

© picture alliance/dpa

Auszeichnung für die Menschenrechtsaktivistin: Seyran Ates erhält die Urania-Medaille

Sauerstoffzufuhr für eine Kämpferin: Seyran Ates, die Mitbegründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe-Moschee, erhält die Urania-Medaille.

Ein Restaurant irgendwo in Berlin. Seyran Ates trägt eine schwarze Mütze, ihr Rollkragenpullover ist fast bis zum Kinn hochgezogen. Das liegt natürlich an der Kälte draußen, das liegt aber auch daran, dass Seyran Ates nicht erkannt werden will. LKA-Beamte sind in ihrer Nähe, die Anwältin lebt mit Morddrohungen.

Es ist ihr Alltag, sie predigt die liberale Form des Islam, sie ist eine Provokation für streng gläubige Muslime und radikale Vertreter des politischen Islam. Ein Leben im Ausnahmezustand, seit 13 Jahren. Da begann der Schutz durch das LKA.

Ein Leben und eine Arbeit, die mit vielen Preisen und Auszeichnungen gewürdigt wurde, am heutigen Dienstag kommt die nächste. Seyran Ates, Rechtsanwältin, Autorin, Menschenrechtsaktivistin, 2017 Mitbegründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee in Moabit, erhält die „Urania-Medaille 2019“ für ihr Lebenswerk. Die Laudatio hält Julia Klöckner (CDU), die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.

Für die 56-Jährige ist jede Auszeichnung „eine unglaublich gute Sauerstoffzufuhr“. Sie geben „Energie und Bestätigung“, sie bilden den Kontrapunkt zu den Hindernissen, die sie in ihrem Leben sieht. Die 56-Jährige versteht es nicht, dass ausgerechnet Vertreter von Grünen, die permanent für Frauenrechte eintreten, sich beim Thema Kopftuch wegduckten. Ates vertritt die Berliner Bildungssenatorin vor Gericht beim Streit ums Neutralitätsgesetz. Es untersagt religiöse Symbole in öffentlichen Einrichtungen. Die Grünen denken beim Kopftuch ganz anders als Ates.

Die Urania-Medaille bedeute mediale Aufmerksamkeit, sagt Ates, bedeute, dass viele Menschen erfahren, wofür sie steht. Diese Menschen melden sich bei der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, in der Männer und Frauen gemeinsam beten. „Ich erhalte pro Woche zehn Nachrichten, in denen mir Muslime und Musliminnen für meine Arbeit danken“, sagt Seyran Ates. „Mehrheitlich sind es Frauen.“

Gemeldet hat sich die Muslimin, die zwangsverheiratet wurde und nun Rat benötigt, wie sie die Scheidung durchziehen kann. Gemeldet hat sich die Mutter einer zum Islam konvertierten Tochter, mit der sie eine heftige Diskussion über Vorstellungen des liberalen Islam führte. Die Mutter teilte Ates mit, dass sie ihre Tochter immerhin dazu gebracht habe, über diese Ideen nachzudenken.

Es melden sich per Mail aber auch Musliminnen, die sagen, dass man ihnen nicht erlaube, in die Moschee zu gehen. Aber sie wollten Seyran Ates ermutigen in deren Arbeit. Natürlich melden sich auch Leute, für die die Tochter einer Türkin und eines Kurden nur noch „eine Perverse ist“. Für diese sei es regelrecht abartig, dass in Moabit auch gleichgeschlechtliche Hochzeiten stattfinden. „Wir hatten schon schwule und lesbische Paare, die sich bei uns islamisch trauen ließen“, sagt Ates. Und immer kommen Männer und Frauen aus dem Ausland, um in der Moschee zu beten. Aus Schweden, USA, Kanada, aus aller Welt. „Der Freitag ist für mich die Bestätigung, dass sich unsere Arbeit lohnt“, sagt Ates.

Andererseits sieht sie die Arbeit, die vor ihr liegt. Sie sieht zum Beispiel, dass streng gläubige Muslime für ihren Widerstand gegen Ates ihre Kinder instrumentalisieren. Die Anwältin geht an viele Schulen. „Wenn ich komme, fehlt oft die Hälfte der muslimischen Kinder, weil ihre Eltern sagten: Mit der wollen wir nichts zu tun haben.“Frank Bachner

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