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Ist das Müll oder kann man sich setzen? Auf die meisten Menschen wirken abgestellte Sessel und Couches nicht sehr einladend, für Linda Paggi sind sie urbane Entspannungsoasen und Zeichen für Gemeinschaftssinn.

© Linda Paggi

Ausstellung in Berlin-Wedding: Die Stadt als Wohnzimmer

Die Straßen von Berlin sind voller verwaister Sitzmöbel. Die italienische Fotografin Linda Paggi macht aus dem Müll einem Kunstausstellung.

Berliner schaffen es überall, alle Viere gerade sein zu lassen. Egal, wie abgeranzt das Ambiente – sie können auch auf der zugemülltesten Wiese entspannen. Oder auf ausrangierten Sofas an den lautesten Hauptstraßen. Die Auswahl ist groß, verwaiste Sitzmöbel stehen in der Stadt an fast jeder Ecke. Für Linda Paggi sind die urbanen Entspannungsoasen Ausdruck Berliner Lebenskultur. „Diese Sofas verkörpern eine Nachricht, die Berlin an sich und seine Zuzügler sendet: Egal, wo – mach’s dir gemütlich.“ Oder, auf Italienisch: „Accomodati a Berlin“ – so heißt auch die aktuelle Ausstellung der italienischen Fotografin, in der es um diese spezielle Form der Sperrmüllromantik geht.

Unzählige wild in der Stadt abgestellte Sofas und Sessel hat die 27-Jährige aus Bologna in den vergangenen Jahren fotografiert, 14 davon stellt sie nun in der Bar Spazio in der Weddinger Torfstraße aus. „Die Bar passt gut zu meinen Bildern“, freut sich die Künstlerin. „Sie ist gemütlich und Vintage.“ Vintage wirken auch Paggis Motive: Olle, zerrissene Couches oder fleckige Ohrensessel, die sich auf den zweiten Blick aber bestens ins Straßenbild einfügen. Ob der schwarze Ledersessel vor einem Fenster mit „Psychotherapie“-Schriftzug, ein vollgekritzeltes Sofa vor Graffitiwänden oder der verschlissene braun-grüne Sessel inmitten des Waldgestrüpps auf dem Teufelsberg – diese zufällige Harmonie von Motiv und Hintergrund ist es auch, die Paggi so fasziniert. „Vieles wirkt wie arrangiert. Dabei stelle ich die Sofas nie um, bevor ich sie fotografiere.“

Berlins "Zu verschenken"-Kultur

Vor fünf Jahren kam sie nach Berlin, für ihr letztes Studienjahr in Kunst- und Bildgeschichte. Und war begeistert von der Berliner „Zu verschenken“-Kultur. „Das gibt es in Italien gar nicht: Niemand würde da etwas auf die Straße stellen, was zur Weiterverwendung gedacht ist. Und schon gar nicht etwas von der Straße mitnehmen“, so Paggi. „Da würde man gleich als Müllsammler abgestempelt.“ Vor allem wunderte sie sich nach ihrer Ankunft über die vielen Sofas, die ihr Dasein auf der Straße fristen – abgestellt, aber noch nicht zweitverwertet. Paggi, die auch als Fotografin für das italienische „Berlino Magazine“ arbeitet, fing an, diese Stillleben zu fotografieren. Oft traf sie dabei Menschen, die auf den Sofas zu wohnen schienen. „Zu einer Couch auf der Frankfurter Allee etwa bin ich drei Mal zurückgekehrt, bis ich endlich ein Bild machen konnte, ohne irgendjemanden bloßzustellen.“

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Für die Künstlerin versprüht der gemütliche Sperrmüll Stadtgefühl: „Berliner gelten ja gemeinhin als etwas hart zu knacken, aber das stimmt nicht.“ Sicher, meint die Wahlberlinerin, Freundschaften zu schließen sei in Berlin etwas schwieriger als anderswo. „Aber diese Idee, ein Sofa auf die Straße zu stellen, auf dem es sich jeder bequem machen kann, zeugt von Toleranz und Gemeinschaftssinn.“ Ob Berliner ihre ausrangierten Sitzmöbel wirklich als altruistische Geste auf die Straße stellen, sei einmal dahingestellt. Vielleicht steckt doch eher etwas anderes dahinter: die Freude über den gesparten Weg zum nächsten Recycling-Hof. Constanze Nauhaus

Die Ausstellung „Accomodati a Berlino“ ist noch bis Ende Januar in der Bar Spazio in der Torfstraße 15 in Berlin-Wedding zu sehen.

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