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Soldaten in der Freizeit im Schlafsaal, Berlin-Karlshorst, 1994.

© Detlev Steinberg / Museum Berlin-Karlshorst

Ausstellung in Berlin-Karlshorst: Wie sowjetische Truppen in Deutschland lebten

Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst erinnert mit „Alltag. Politik. Kampfauftrag“ an die Präsenz sowjetischer Truppen in Deutschland.

Ein Bett, ein Hocker, ein Nachttisch – das war die ganze Privatsphäre eines russischen Soldaten in der DDR – und das in einem Schlafsaal für 100 Soldaten. So auch in Karlshorst, der abgeschlossenen Stadt im Südosten Berlins, wo rund 1000 Soldaten und 150 Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeige stationiert waren.

Leben auf engstem Raum, ein durchgetakteter Alltag von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends, all das ist in der Ausstellung „Alltag. Politik. Kampfauftrag. Sowjetische Truppen in Deutschland 1945-1994“ im Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst bis zum 15. Januar zu sehen.

[Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Zwieseler Star. 4, bis 15. Januar 2020. Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei]

Die Fotos aus dem vollen Schlafsaal stammen aus dem Jahr 1994, kurz vor dem Abzug der Soldaten. Eine Stationierung in der DDR sei Privileg und Auszeichnung, der Einsatz beliebt gewesen, sagt Christoph Meißner, Kurator der Ausstellung Wie muss es dann andernorts ausgesehen haben, fragt man sich unwillkürlich.

1,5 Millionen Soldaten mussten untergebracht werden

Als die Rote Armee 1945 Deutschland von den Nazis befreite, standen bis zu 1,5 Millionen sowjetischer Soldaten auf deutschem Boden. Die mussten untergebracht werden. Am Anfang geschah dies zum Teil auch in Erdlöchern in sogenannten Waldlagern, nichts ungewöhnliches für die Rote Armee. Eine Vitrine mit Topf, Feldflasche, Kamm und Zigarettenetuis zeigt, was man heute noch in Brandenburgs Wäldern aus diesen Erdlagern finden kann.

Erst nach und nach wurden die alten Wehrmachtskasernen besetzt. So auch die Pionierschule der Wehrmacht in Karlshorst, wo am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet wurde. Hier richtete General Nikolaj Bersarin seinen Stab ein, hier residierte vom 9. Juni an die Sowjetische Militäradministration (SMAD), nach Gründung der DDR setzte sie ihre Arbeit als sowjetische Kontrollkommission fort. Auch die Deutschlandzentrale des KGB hatte in Karlshorst ihren Sitz. Diese Teile von Karlshorst waren Sperrgebiet.

Die Ausstellung zeigt in ihrem ersten Teil die innere Verfasstheit der Sowjetarmee, ihr Selbstverständnis als Siegermacht mit einer straffen Organisation, in der Befehl Befehl war, Widerspruch zwecklos. Die Oberkommandierenden bis 1990 hatten alle Weltkriegserfahrung.

Im Nachhinein schaudert es einen, wenn man liest, dass Marschall Iwan S. Konew von August 1961  bis April 1962 als Oberkommandierender dazwischengeschoben wurde, der Befreier der Tschecheslowakei, ein erfahrener und hochdekorierter Offizier, dessen Truppen damals den Mauerbau im Hintergrund militärisch absicherten. Das sei ein deutliches Zeichen an den Westen gewesen, sich ruhig zu verhalten, sagt Meißner.

Nicht alle verstanden Russisch

Jede sowjetische Einheit war stolz auf ihren „Kampfweg“, den sie von Russland aus bis nach Deutschland zurückgelegt hatte. Der wurde in Reliefs in den Kasernen abgebildet. So kam die 9. Gardepanzerarmee über Kiew, Uman, Warschau bis nach Berlin – ein langer, verlustreicher Weg.

Amtssprache in der Armee war Russisch, wenngleich in der Vielvölkerarmee nicht immer alle Russisch verstanden, das führte auch zu Unfällen. Damit die Disziplin eingehalten werden konnte, gab es die Verhaltensregeln auch als Comic auf Plakaten, etwa zu Hygienevorschriften.

Fast rührend sind die „Dembel“ genannten Demobilisierungsalben, in denen die Soldaten ihre Erinnerungen an die Zeit in der DDR festhielten. Oft klebten sie Postkarten oder Zeitschriftenfotos der Städte ein, die sie so wahrscheinlich selten oder nie gesehen haben, da sie die Kaserne nie allein verlassen durften. Offiziere hatten es da besser. Sie durften ihre Familie nachkommen lassen, lebten teilweise außerhalb der Kasernen und die Ehefrauen konnten arbeiten. Interessant ist, dass die Truppen eigene Landwirtschaft betrieben und als Selbstversorger galten. Schafe, Gänse, Ziegen, Rinder und Kaninchen wurden etwa bei Königs Wusterhausen gehalten, wie es noch die Fotos von 1992 zeigen.

Handgranatenübung aus dem Panzer, Truppenübungsplatz Altengrabow, 1992.
Handgranatenübung aus dem Panzer, Truppenübungsplatz Altengrabow, 1992.

© Detlev Steinberg / Museum Berlin-Karlshorst

Die friedlichen Bilder täuschen. Die Westgruppe der Streitkräfte, wie sie seit 1989 hieß, unterlag einem harten militärischen Training, selbst zu Manövern wurde für den Fall der Fälle scharfe Munition mitgeführt, man war jederzeit gefechtsbereit. Es waren bis 1994 ständig zwischen 350.000 und 500.000 Soldaten in der DDR stationiert. Ein rostiges Gittertor mit Rotem Stern aus Lychen dominiert den Raum, es befand sich an dem Standort für sowjetische Atomraketen.

Von der von der DDR verordneten Waffenbrüderschaft war im Alltag nicht viel zu spüren. Die Sowjets sahen die NVA nicht auf Augenhöhe, sondern verstanden sich immer noch als die Sieger.

Das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst. In der einstigen Pionierschule der Wehrmacht wurde am 8. Mai 1945 die Kapitulation unterzeichnet. 1967 wurde hier das "Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945" geschaffen. Es ist somit das größte Exponat der Sonderausstellung "Alltag. Politik. Kampfauftrag. Sowjetische Truppen in Deutschland 1945-1994", die noch bis zum 15. Januar zu sehen ist.
Das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst. In der einstigen Pionierschule der Wehrmacht wurde am 8. Mai 1945 die Kapitulation unterzeichnet. 1967 wurde hier das "Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945" geschaffen. Es ist somit das größte Exponat der Sonderausstellung "Alltag. Politik. Kampfauftrag. Sowjetische Truppen in Deutschland 1945-1994", die noch bis zum 15. Januar zu sehen ist.

© Rolf Brockschmidt

Der Abzug der Streitkräfte 1994 nimmt breiten Raum ein. Es ist ein Wunder, dass nach dem Fall der Mauer die Armee in den Kasernen blieb. Das führt Meißner auf die von Gorbatschow geführte Politik zurück, die die Armee 1:1 umzusetzen hatte. Auch hier galt: Befehl ist Befehl. Daher klappte der Abzug der Truppen auch vor dem Hintergrund der Turbulenzen in Russland reibungslos.

Die Fotos von den getrennten Abzugsfeierlichkeiten der Alliierten befremden heute. Die Sowjetarmee hatte die Hauptlast des Krieges getragen und musste sich mit einer Zeremonie zweiter Klasse zufrieden geben. Auch dass der versprochene Wohnungsbau etwas dürftig ausfiel, erklärt vielleicht einiges an Verstimmungen im deutsch-russischen Verhältnis. Die sehenswerte Ausstellung stimmt nachdenklich, erst recht, wenn man noch einmal die Dauerausstellung im Museum besucht, dessen Gebäude eigentlich das größte Exponat dieser Sonderausstellung ist.

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