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Eine Luftaufnahme des heutigen Berlins erzählt mit leuchtenden Punkten und Lichtstreifen eine 40-jährige Geschichte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ausstellung in Berlin: Irrsinn, Paranoia, Psychoterror

Die neue Ausstellung „Stasi in Berlin“ zeigt das Ausmaß der Überwachung durch die Staatssicherheit.

Besucher kommen in einen abgedunkelten Raum im alten Stasi-Gefängnis. Sie hören eine Stimme, die über versteckte Lautsprecher spricht. Dann gehen die Lichter an, und siehe da: Sie stehen auf einer riesigen Landkarte, überall sind kleine Punkte angeleuchtet, und ein Streifen aus Licht zieht sich über den Boden und über die Wände, wie ein Riss, der die Stadt teilt: Es ist die Berliner Mauer.

So beginnt die neue Ausstellung „Stasi in Berlin“ in der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Gäste bekommen ein iPad in die Hand gedrückt, und dürfen über die Karte von Berlin laufen. Sie ist auch auf dem Tablet abgebildet – nur sind auf dem Gerät noch kleine grüne Punkte, die zum Klicken einladen. Die Karte ist eine Luftaufnahme von Berlin heute, aber die Geschichte, die sie erzählt, spannt einen Zeitrahmen von rund 40 Jahren auf.

Geschichten, die die 40 Jahre DDR-Diktatur repräsentieren

„Wir haben Geschichten herausgesucht, die die 40 Jahre DDR-Diktatur repräsentieren, und die zeigen sollen, wie sich das Wirken der Stasi in Berlin im Laufe der Zeit verändert hat“, erklärt Michael Schäblitz, einer der Leiter der Ausstellung. Etwa 100 solcher Geschichten erzählt die Karte.

Ein Beispiel vom Alexanderplatz zeigen Schäblitz und sein Kollege Andreas Engwert, der Kurator der Ausstellung: Mit einem Klick auf den Platz ist ein Video aus den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit zu sehen, das zeigt, wie die Stasi den Ort überwacht hat. Drei Kameras waren installiert, um zu beobachten, wer sich wann mit wem trifft.

Die Aufnahmen zeigen eine Gruppe Oppositioneller, die regelmäßig auf dem Platz zusammenkommt – bis Stasi-Agenten hinfahren, um sie zu verhaften. Besucher der Ausstellung sehen zu, wie die Regimegegner festgenommen werden, am helllichten Tag auf dem Alex. Erregt das kein Aufsehen? Doch.

Die Stasi versucht die Aktion zu vertuschen, und behauptet, hier finde ein Dreh statt. Die Leute kaufen ihnen die Lüge nicht ab, ein Mann sagt zu einem herbeigeeilten Journalisten: „Ich will doch nur Freiheit.“ Auch er wird verhaftet, in einen Bus mit den anderen geladen, und nach Hohenschönhausen gebracht.

Auf den Videos sehen Zuschauer noch, wie die Insassen gegen die Busscheibe klopfen, wie eine Frau verzweifelt jemanden sucht. Dann ist der Film vorbei, man steht wieder in dem alten Gefängnisgebäude und blickt auf die Landkarte.

96 Geschichten, die den Berliner Alltag unter ständiger Überwachung zeigen

Es sind solche Geschichten, die die Ausstellung erzählt: Geschichten, die den Berliner Alltag unter der ständigen Überwachung zeigen. Seit 2016 arbeiten Engwert und Schäbitz an dem Projekt. Sie haben hunderte Akten durchsucht, Geschichten gelesen, Zeitzeugenberichte gesammelt, um dann ihre Sammlung auf 96 einzugrenzen. Das sind die 96 Geschichten, zu denen Besucher die kleinen Videos ansehen können.

Dazu gibt es die Punkte, die nur zeigen sollen: Hier war die Stasi aktiv, hier war zum Beispiel eine konspirative Wohnung. Das waren Wohnungen, die die Stasi für die Bespitzelung der Bürger verwendete. Davon gibt es um die 4000 auf dem iPad zu entdecken – viel mehr, als dass man sie alle anschauen könnte. „Es geht einfach darum, das Ausmaß zu verbildlichen“, erklärt Schäbitz. In Ost-Berlin gab es Ende der 80er Jahre 3200 konspirative Wohnungen. „Daran sieht man die wachsende Paranoia, den Irrsinn, der dahintersteckt“, sagt Engwert.

Die Stasi war aber nicht nur paranoid – wobei Paranoia ein Großteil ihres Handelns begründen könnte. „Im Lauf der Zeit veränderten sie ihre Methoden. In den 50er und 60er Jahren waren sie brutal: Entführungen, Morde, Anschläge. Dann, in den 70er Jahren, beginnt der Psychoterror“, erzählt der Kurator.

Lügen und Gerüchte, um die Menschen psychisch fertig zu machen

Die Angst vor der Stasi wächst, sie versucht, die Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen, indem sie sie einschüchtert und bedroht. Lügen und Gerüchte gelangen in Umlauf. „Das Ziel war, die Leute mit den Methoden einfach zu erschöpfen, sodass sie aufgeben, weil sie psychisch nicht mehr können“, erklärt Engwert.

Diese Wandlung ist in der Ausstellung zu beobachten: Da ist die Geschichte von Kritiker Heinz Brandt, der sich 1961 beruflich in West-Berlin befand und von dort nach Hohenschönhausen entführt wurde. Das kann man auf dem Tablet verfolgen: Von Steglitz, wo er im Haus einer vermeintlichen Freundin betäubt wurde, dann über die Grenze bis nach Hohenschönhausen. Dort hat Heinz Brandt ein Jahr in Isolationshaft verbracht.

Die Gedenkstätte Hohenschönhausen.
Die Gedenkstätte Hohenschönhausen.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Dann ist da die Geschichte von Kalle Winkler, der in Jugendjahren für die Stasi arbeitete, als Teenager und Sohn überzeugter Kommunisten war er leicht dafür zu gewinnen. In dem Video in der Ausstellung hören Besucher seinen Zeitzeugenbericht: Am Anfang waren die Funktionäre des Ministeriums für Staatssicherheit wie Freunde für ihn, sie hörten ihm zu, und halfen ihm. Sie beeinflussen ihn subtil – bis er eines Tages ein Lied schreibt, dass der Stasi so gar nicht passt.

Es ist der Liedtext eines jungen Mannes, der über die Freiheit singt und der nicht mehr zu hundert Prozent unter der Kontrolle der Stasi steht. Zuschauer sehen, wie Kalle Winkler verhaftet wird. Im Video über ihn blickt man auf den Bildern bei seiner Festnahme in das Gesicht eines Jugendlichen der sein ganzes Leben vor sich hat. Auch er wurde in Hohenschönhausen inhaftiert.

Eine Stunde Zeit, sich die Geschichten anzuhören und die Karte anzusehen

Wie Interessierte sich durch die Ausstellung navigieren, ist selbstverständlich jedem selbst überlassen. Jede volle Stunde werden um die 20 Besucher in den Raum gelassen, dann haben sie eine Stunde Zeit, die Karte anzusehen, die Geschichten zu hören und vielleicht auch einfach mal zu schauen, wo sie selbst wohnen, und was in ihrem Kiez los war. Vielleicht lag dort eine konspirative Wohnung? Oder eine spannende – und oft auch tragische – Geschichte spielte sich nur ein paar Häuser weiter ab? Nach einer Stunde verlassen Besucher den Raum wieder. Sie gehen hinaus in den Hof des ehemaligen Gefängnisses, wo jetzt keine Häftlinge, sondern Touristen umhergehen und die Wachtürme schon seit Jahren nicht besetzt sind.

Die Ausstellung „Stasi in Berlin: Überwachung und Repression in Ost und West“ läuft bis zum 31. März 2020. Der Eintritt ist frei, Öffnungszeiten sind täglich von 9 bis 18 Uhr.

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