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Seit zehn Monaten läuft das Vergabeverfahren für die S-Bahn, es geht um bis zu elf Milliarden Euro.

© Paul Zinken/picture alliance/dpa

Exklusiv

Ausschreibung der Berliner S-Bahn: Deutsche Bahn, Siemens und Stadler gründen gemeinsames Unternehmen

Das Bundeskartellamt prüft eine Firmenneugründung der drei Wettbewerber in der milliardenschweren S-Bahn-Vergabe. Konkurrent Alstom gerät noch mehr unter Druck.

Im Kampf um die milliardenschwere Ausschreibung der Berliner S-Bahn werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Die Bahn, Siemens und Stadler haben nach Informationen des Tagesspiegels jetzt ein gemeinsames Unternehmen gegründet, um ihre Position noch weiter zu verbessern – eine Art Dachgesellschaft. Das Bundeskartellamt prüft das jetzt.

Der einzige ernst zu nehmende Konkurrent – der französische Konzern Alstom – gerät noch mehr unter Druck. Denn eine Dachgesellschaft kann Kosten intern so verteilen, dass es für die Ausschreibung günstig ist.

Am 25. Mai 2021 veröffentlichte das Bundeskartellamt eine unscheinbare Notiz, die es in sich hat. Mit dem Aktenzeichen B4-61/21 wurde ein „laufendes Fusionskontrollverfahren“ bekannt gemacht: „S-Bahn Berlin GmbH, Siemens Mobility GmbH und Stadler Deutschland GmbH, alle Berlin, Gründung zweier Gemeinschaftsunternehmen mit gemeinsamer Kontrolle“.

Ziel der Neugründungen: „Infrastrukturleistungen für Schienennetze, Lieferung von Triebwagen, Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr, Wartungs- und Instandhaltungsleistungen für Schienenfahrzeuge“. Dass laut Notiz zwei Gesellschaften gegründet wurden, hat rein formale Gründe.

Diese Notiz ist mittlerweile wieder aus der im Internet veröffentlichten Liste der Behörde verschwunden. Ein Sprecher des Bundeskartellamts sagte auf Nachfrage, dass die Veröffentlichung „ein technisches Versehen“ gewesen sei, „der Vorgang hätte dort gar nicht auftauchen sollen und wurde daher wieder runtergenommen“. Weitere Angaben machte das Kartellamt nicht. Zurückgezogen haben die Bahn, Siemens und Stadler ihre Firmengründung nicht, dann hätte die Notiz weiter zugänglich sein müssen – „aus Gründen der Transparenz“, wie es bei der Behörde hieß.

„Wirtschaftskrimi“, kommentieren Insider

Beobachter sagen, dass erst durch die Anfrage des Tagesspiegels vom 1. Juni auffiel, dass die Notiz von der Behörde veröffentlicht wurde. Dem Vernehmen nach verstieß die Veröffentlichung schlicht gegen die Geheimhaltungsvorschriften der Ausschreibung.

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Die knappe Antwort kam übrigens einen Tag später. Eine Bahn-Sprecherin bestätigte darin, dass eine solche Superfirma gegründet wurde: „Die Komplexität des Ausschreibungsdesigns für die Ausschreibung der zwei Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd erfordert es, verschiedene Bieterkonstellationen zu prüfen.“ Mehr wollte die Bahn nicht verraten: „Zu Einzelheiten können wir im laufenden Verfahren keine Stellung nehmen.“

Insider kommentieren die Entwicklung so: „Wirtschaftskrimi“. Sie reagieren auch verwundert auf die Formulierung „prüfen“. Die Bahn habe doch längst Fakten geschaffen, hieß es, zu „prüfen“ sei da nichts mehr. Bevor man einen Antrag beim Kartellamt einreiche, gebe es viele Vorgespräche mit den Behörden, damit der Antrag alle Anforderungen erfüllt. Der Sprecher der Verkehrssenatorin sagte, dass „der Vorgang bekannt“ sei. Mehr könne er wegen des laufenden Verfahrens nicht sagen.

Siemens und Stadler bauen derzeit für die S-Bahn die neuen Züge der Baureihe 483/484, die seit Januar 2021 im Fahrgastbetrieb unterwegs ist. Das Trio hat deshalb einen Riesenvorteil gegenüber der Konkurrenz: Für die Ausschreibung muss kein neues Fahrzeug mehr konstruiert werden, es kann unverändert angeboten werden. Experten schätzen den Kostenvorteil auf eine halbe Milliarde Euro.

Alstom erwägt Rückzug aus der Ausschreibung

Wie durch einen Bericht des Tagesspiegels im Mai bekannt wurde, erwägt der Großkonzern Alstom deshalb einen Rückzug aus der Ausschreibung. Alstom hat sich für  diese Ausschreibung mit dem Betreiber „Transdev“ verbündet – aber keine Firma gegründet. 

Seit zehn Monaten läuft das Vergabeverfahren für die S-Bahn, es geht um bis zu elf Milliarden Euro. Berlin wollte mit dieser Ausschreibung der Superlative das Monopol der Deutschen Bahn brechen. Gesucht werden Unternehmen, die zwei der drei Teilnetze betreiben und dafür die Züge bauen. Für die elf Linien der Nord-Süd- und die Ost-West-Strecken werden mindestens 1308 und bis zu 2160 Wagen benötigt. Die neuen Fahrzeuge sollen zwischen 2027 und 2034 geliefert werden.

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Die Vergabe der S-Bahn per Wettbewerb war ein Projekt von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne). Ihre Argumente: Die Deutsche Bahn hatte ihre S-Bahn-Tochter 2009 mit einem übertriebenen Sparprogramm in die Krise manövriert. Zudem sei die Bahn teuer.

Bekanntlich war 2015 das erste Teilnetz („Ring/Südost“) ohne echten Wettbewerb wieder an die S-Bahn vergeben worden. Für jeden Zugkilometer kassiert die Bahn 15,66 Euro, fast 50 Prozent mehr als zuvor und deutlich über dem Schnitt in anderen Großstädten. 

Sollte Alstom abspringen – was  nach Gründung der Superfirma aus Bahn und Siemens-Stadler wahrscheinlicher geworden ist –, bliebe alles beim Alten: Die Deutsche Bahn fährt die S-Bahn und diktiert die Preise. Für einen echten Wettbewerb hätte es eine sogenannte „Loslimitierung“ geben müssen – dann wären beide Netze automatisch an unterschiedliche Bewerber gegangen. Mit dem Vorschlag war Senatorin Günther am Protest von SPD, Linkspartei und Gewerkschaften gescheitert.

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