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Raymond Chemo lebt seit 13 Jahren in Berlin und möchte Deutscher werden, seine israelische Staatsbürgerschaft aber nicht ablegen.

© Mike Wolff

Ausnahmeregelung gilt nicht für alle: Israeli wird mehrfache Staatsbürgerschaft in Berlin verweigert

Raymond Chemo wird in Berlin die Einbürgerung verweigert, weil er seine israelische Staatsbürgerschaft nicht ablegen will. Er fühlt sich unwillkommen.

Raymond Chemo möchte deutscher Staatsbürger werden. Seit 2006 lebt der Israeli, Mitte 30, in Berlin, ein hoch qualifizierter Fachmann in der Musiksoftwarebranche. Seiner Einbürgerung dürfte eigentlich nichts entgegenstehen. Aber die zuständige Berliner Senatsverwaltung für Inneres hat seinen Antrag abgelehnt. Denn Chemo möchte die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, seine israelische aber nicht aufgeben.

„Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, hier nicht recht willkommen zu sein“, sagt er. Dass Chemo mehrere Staatsbürgerschaften besitzen soll, will die Behörde nicht akzeptieren und beruft sich auf die strengen Vorgaben des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Gedanke hinter dem Gesetz: Es soll zu keinen Konflikten zweier Staaten um den gleichen Staatsbürger kommen, für den beide Seite gleichermaßen Sorge tragen. Aber das Gesetz lässt auch Ausnahmen zu.

Und eine solche liege vor, argumentiert Chemos Anwalt, Christoph Tometten. Israelis könnten nämlich ihre Staatsbürgerschaft nicht durch eine einfache Erklärung aufgeben, das israelische Innenministerium müsse sie erst genehmigen. Das könne für seinen Mandaten Schwierigkeiten bedeuten. Aber vor allem wolle Chemo seine Verbindung zu Israel gar nicht aufgeben, dort lebt auch noch ein Teil seiner Familie.

Ausnahmen zum Verbot sollten „großzügig gehandhabt“ werden

Der Anwalt fühlt sich durch die Bundesregierung bestärkt in seiner Rechtsauffassung. Das Bundeskanzleramt habe deutlich gemacht, dass Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung israelischer Staatsangehöriger wohlwollend behandelt werde. Es seien auch keine Fälle bekannt, in denen es damit Probleme gegeben hätte. Dies geht aus einem Schreiben des damaligen Kanzleramtschefs Peter Altmaier (CDU) aus dem Jahr 2017 hervor.

Eine entsprechende Änderung im Staatsangehörigkeitsgesetz wurde damals abgelehnt – mit der Begründung, dass Fälle israelisch-deutscher Mehrstaatigkeit „ohne Weiteres hingenommen“ werden. Ausnahmen zum Verbot sollten „großzügig gehandhabt“ werden, wie es in dem Schreiben heißt.

Umso mehr wundert es Tometten, dass sein Mandant mit seinem Antrag aus dem Herbst 2018 in Berlin keinen Erfolg haben soll. Zumal doch auch die Parteien der in Berlin regierenden rot-rot-grünen Koalition sich generell für die Mehrstaatigkeit aussprechen würden. Tometten verweist auf das SPD-Regierungsprogramm von 2017, die Grünen-Bundestagsfraktion hätte Ende 2018 einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht und die Linke-Fraktion betone Mehrstaatigkeit in einem Themenpapier.

Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg teilt auf Anfrage des Tagesspiegels mit, dass in den vergangenen fünf Jahren zwischen 20 und 50 Israelis pro Jahr in Berlin eingebürgert wurden.

Die Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) sieht sich im Fall von Chemo an das Gesetz gebunden. Aus dem Wiedergutmachungsgedanken nach den Verbrechen der Nazis schreibe das Gesetz zwar Ausnahmen vor, aber nur für Bewerber, die selbst oder deren nahe Angehörige unter der Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus zu leiden hatten.

Die Wiedergutmachungs-Ausnahme gelte nicht für alle Israelis

Chemo und seine Familie waren nicht unmittelbar vom Nazi-Terror betroffen. Die Behörde sieht deshalb keinen Spielraum und lehnte im Mai 2019 seinen Antrag ab. Die Wiedergutmachungs-Ausnahme, so die Senatsverwaltung, gelte nicht pauschal für alle israelischen Staatsbürger jüdischen Glaubens.

„Aus der Leidensgeschichte des jüdischen Volkes kann daher im vorliegenden Fall kein individueller Anspruch auf Einbürgerung unter Beibehaltung der israelischen Staatsbürgerschaft hergeleitet werden“, heißt es in dem Ablehnungsschreiben. Hätte der Gesetzgeber das vorsehen wollen, hätte er eine Ausnahmeregel in das Gesetz geschrieben.

Auf Anfrage des Tagesspiegels teilt ein Sprecher der Innenverwaltung mit: „Auch bei Einbürgerungen im Wege des Ermessens ist der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zu beachten. Dies ist geltendes Bundesrecht und keine ,Berliner Regelung‘.“ Bei der Entscheidung in Bezug auf mögliche Ausnahmen orientiere man sich an den ermessensleitenden Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums.

In der Vergangenheit sei es in Berlin bereits vorgekommen, dass Einbürgerungsanträge abgelehnt worden seien, weil keine Bereitschaft zur Aufgabe der israelischen Staatsangehörigkeit bestanden habe, so der Sprecher. Genaue Zahlen lägen hierzu allerdings nicht vor.

Chemo sagt: „Das Judentum ist nicht nur eine Religion, sondern es ist auch eng verknüpft mit dem Staat Israel, ein kollektives Erbe.“ Bisher besitzt er neben der israelischen Staatsbürgerschaft noch eine britische. Die Staatsbürgerschaft des Noch-EU-Staates Großbritannien kann er ohne Probleme beibehalten, dort lebt der andere Teil seiner Familie.

„Was, du ziehst nach Deutschland?“

Der nahende Brexit habe für viele Israelis in Europa die Frage verschärft, wo sie eigentlich leben wollen. „Berlin ist ein guter Ort, hier fühle ich mich frei“, sagt Chemo. Aber er vermisst es auch, dass er in der Hauptstadt nicht politisch mitbestimmen kann. Ohne Staatsbürger zu sein, darf er nicht wählen. Als er von Israel nach Deutschland gezogen sei, hätten ihn viele Israelis nicht verstehen können, erinnert er sich heute. „Was, du ziehst nach Deutschland?“, hätten sie gefragt. Doch das sei lange vorbei.

Er folgte damals seiner deutschen Freundin. Wenn er von Berlin spricht, spricht er von seiner „Heimat“. Im Namen seines Mandanten hat Anwalt Tometten Anfang August eine Petition beim Abgeordnetenhaus eingereicht. Die Parlamentarier sollen die Innenverwaltung auffordern, Chemo unter Beibehaltung der israelischen Staatsbürgerschaft einzubürgern.

Markus Sehl

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