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Besucher nehmen unter Einhaltung der Sicherheitsabstände an einem Gottesdienst in der evangelischen St. Marienkirche teil.

© Christoph Soeder/dpa

Ausnahmen der Corona-Auflagen: Berliner Gemeinden glauben an Sicherheit in Kirchen

Die Kirchen fühlen sich getroffen durch die Kritik, sie würden bei den Corona-Auflagen geschont. Ein Besuch im Gottesdienst.

Die Orgel tönt, bevor Bernd Krause seinen Sonntagsgottesdienst in der Weißenseer Kirche St. Josef beginnt. „Sie haben gut gewählt, heute hierherzukommen“, sagt der Pfarrer seinen Zuhörern, die in vorgeschriebenen Abständen auf den Bänken Platz genommen hat. Gerade jetzt, zu Zeiten von Corona, sei es wichtig, „das Öl in der Lebenslampe“ wieder aufzufüllen.

Doch während in Weißensee die Lichter brennen, bleibt es anderenorts dunkel. Gegenüber Museen, Theatern und Konzerthäusern genießen die Berliner Kirchen bei den neuerlichen Auflagen einen Sonderstatus. Neben dem Thema Gottesdienste erhitzt auch eine Regelung für Beerdigungen die Gemüter. Wo auf außerkirchlichen Beerdigungen zwischen 20 und 50 Menschen trauern dürfen, gilt für sogenannte „religiös-kultische Veranstaltungen“ keine Obergrenze. Für Jan Gabriel, Präsident des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, ist das unverständlich. „Religion macht nicht immun gegen Corona“, sagte er dem Tagesspiegel. Es sollten „gleiche Regeln für alle Menschen“ gelten.

In einer neuen Studie des Meinungsforschungsinstituts INSA haben sich nun 62 Prozent der Deutschen gegen Ausnahmen für Gottesdienste ausgesprochen. Martina Steffen-Elis ist Pfarrerin der Apostel-Paulus-Gemeinde in Schöneberg und stellvertretende Superintendentin des Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg. Von den Forderungen nach einem Ende der Gottesdienste zeigt sie sich verwundert: „Im ersten Lockdown wurde uns vorgeworfen, dass wir uns nicht wehren“, sagt sie. „Jetzt heißt es plötzlich, dass wir keine Solidarität zeigen.“

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Gerade wegen der Pandemie sei es wichtig, dass die Kirche für die Menschen da sei. Wie sehr die Krise den Einzelnen zusetze, erlebe sie täglich. „Wenn die Menschen uns tagsüber besuchen kommen, bleiben länger sitzen als sonst“, sagt Steffen-Elis. Seit dem Beginn der Pandemie seien auch die Anfragen zur Seelsorge deutlich gestiegen.

Dass Gottesdienste Halt geben können, zeigt sich in Weißensee. „Ich gehe seit 70 Jahren jeden Sonntag in die Kirche. Mir ist das sehr wichtig“, sagt eine 80-jährige Besucherin auf Nachfrage. Ein mulmiges Gefühl beim Besuch des Gottesdienstes habe sie nicht: „Wir achten hier alle auf den Abstand und singen auch nicht.“ Auch ein 58-Jähriger, der Zeit seines Lebens in die Kirche geht, hat keine Angst: „Ich finde, dass all das, was sich im Rahmen bewegt, auch stattfinden muss“, sagt er.

In der Kirche gilt Abstand, Maske und Desinfektion

Theoretisch wäre der Gemeinde das Singen erlaubt – mit zwei Metern Abstand statt der üblichen 1,5. Ansonsten gilt: Desinfektionsmittel, Anwesenheitsliste und Maskenpflicht. In Weißensee hat sich Krause gegen das Mitsingen entschieden. Er meint: „Besser schön gehört, als irgendetwas in die Maske gemümmelt“, sagt der Pfarrer. Lediglich fünf Sänger stehen auf der Empore und werden von der Orgel begleitet. Mit den neuen Hygieneauflagen passen laut Krause 180 Personen in die Kirche. Diesen Sonntag mögen es vielleicht 120 Menschen sein, die ihren Weg in das Gotteshaus gefunden haben. Um die Einhaltung der Auflagen zu gewährleisten, hat die Gemeinde Ordner engagiert. Sie achten darauf, dass die Abstände eingehalten werden. Weil genug Platz da ist, haben sie nicht viel zu tun.

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In der Dorfkirche von Nicolas Budde im Spandauer Ortsteil Kladow dürfte das schon schwerer fallen. Das Volumen der Einrichtung ist von knapp 200 Besuchern auf etwa 60 geschrumpft. An singen lässt sich hier gar nicht erst denken. „Ich glaube, dass man in der Kirche vorsichtiger ist, als an vielen anderen Orten“, sagt Budde, der seit dreieinhalb Jahren in Kladow arbeitet. Gerade in der Kirche werde darauf geachtet, dass sich jeder wohl und sicher fühle: „Aufeinander Rücksicht zu nehmen ist nunmal Teil der Religion.“ Für alle, die keinen Platz mehr in der Kirche finden, habe man Lautsprecher vor der Kirche aufgestellt.

Den Herausforderungen der Corona-Pandemie begegnen die Kirchen mit Kreativität. In Schöneberg bietet Steffen-Elis Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, Auftritte in der Kirche zu geben. Ziel ist es, die unter der Krise leidende Szene zu unterstützen. In Weißensee bot Krause Livestreams der Gottesdienste an, als die Kirchen während des ersten Lockdowns geschlossen wurden. „Wir haben damals viel Lob bekommen“, sagt der Pfarrer, „aber natürlich ist es schöner, wenn man sich treffen kann.“

Mit einer erneuten Schließung könnte Krause laut eigener Aussage leben. Die finanzielle Lage der Gemeinde würde sich aber verschlechtern. „Die größten Spendeneinnahmen haben wir in den Gottesdiensten“, sagt der Katholik, „die bleiben dann aus.“ Jammern wolle er aber nicht: „Es gibt gerade so viele Menschen, die größere Probleme haben.“

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