zum Hauptinhalt
Freizügigkeit. In über 160 000 deutschen Haushalten arbeiten ausländische Pflegekräfte, viele davon aus osteuropäischen EU-Staaten.

©  Imago

Ausländische Pflegekräfte: Grenzenlose Zuwendung

Die offenen Binnengrenzen machen’s möglich: Pflegekräfte aus der EU können unbürokratisch in anderen Mitgliedsstaaten arbeiten. Doch bei der Anstellung man muss einiges beachten.

Schon seit Längerem schließen Pflegekräfte aus anderen Ländern Lücken in der häuslichen Betreuung. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung arbeiten sie in 163 000 deutschen Haushalten. „Das sind meist keine speziell ausgebildeten Pfleger, helfen aber im Haushalt und können einfache pflegerische Tätigkeiten verrichten“, sagt Petra Hegemann, Juristin bei der Verbraucherzentrale Berlin. Die meisten sind Frauen aus Polen, Rumänien und anderen Staaten Osteuropas. Sie arbeiten zu deutlich günstigeren Konditionen als deutsche Pflege- und Versorgungsanbieter und sind zur attraktiven Alternative geworden. Kostenvoranschläge ambulanter Pflegedienste für eine 24-Stunden-Betreuung kommen hierzulande schnell in den fünfstelligen Bereich pro Monat. Genau genommen ist diese Bezeichnung nicht korrekt. Kein Arbeitszeitgesetz würde erlauben, dass ein Arbeitnehmer Tag und Nacht schuften muss. „Die Beschäftigten sind – wenn sie über einen Arbeitsvertrag verfügen und sozialversicherungspflichtig angestellt sind – offiziell für acht Arbeitsstunden angeworben“, sagt Margret Steffen, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi im Bereich Gesundheitspolitik. Die meisten Helferinnen würden die acht Stunden aber nicht am Stück ableisten. Mit 24-Stunden-Betreuung sei gemeint, dass über den Tag verteilt jemand für den Pflegebedürftigen da ist. Die Betreuerinnen wohnen in einem separaten Zimmer. Die Nähe macht es möglich, dass sie die Patienten bei Mahlzeiten oder nächtlichen Toilettengängen unterstützen können. Eine Betreuerin wohnt maximal drei Monate bei dem Pflegebedürftigen, dann muss sie der Dienstleister auswechseln. Pflegebedürftige oder Angehörige müssen für die Kosten selbst aufkommen. „Liegt ein Pflegegrad vor und wird Pflegegeld ausgezahlt, kann dies zur Finanzierung beitragen“, so Hegemann.

Legale Betreuung durch Pflegekräfte aus anderen EU-Staaten

Seit dem 1. Juli 2015 gilt für alle osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU die Arbeitnehmerfreizügigkeit. „Pflegebedürftige oder Angehörige dürfen EU-Bürger offiziell anstellen“, sagt Juristin Hegemann. Die Arbeitsagentur ist der richtige Ansprechpartner, um Fachkräfte für individuellen Bedürfnisse zu finden. Sie arbeitet mit anderen europäischen Agenturen zusammen. Daneben existieren deutschlandweit über 250 Vermittlungszentralen, die Kontakte zu ausländischen Pflege- und Betreuungsunternehmen herstellen. Diese arbeiten in der Regel nicht kostenfrei. Wer sich an eine private Vermittlungsagentur wendet, sollte wichtige Fragen klären, etwa welche Angaben ihr zu Expertise, Referenzen und Sprachkenntnissen potenzieller Anbieter vorliegen. „Seriöse Agenturen erkennt man oft daran, dass sie kirchlichen Trägern angehören und im Idealfall ohne Sprachhürden dem Interessenten transparent erklären können, nach welcher Arbeitsweise sie Haushaltshilfen oder Betreuungskräfte vermitteln“, sagt Margret Steffen von Verdi. Idealerweise machen sich die Agenturen erst ein möglichst umfassendes Bild von der individuellen Situation, bevor sie eine Pflegekraft vermitteln. Wer die Dienste einer Vermittlungszentrale nutzt, schließt häufig – so erklärt es die Stiftung Warentest – zwei Verträge ab: einen Vermittlungsvertrag mit der Agentur, einen Dienstleistungsvertrag mit der ausländischen Firma. Grundsätzlich ist eine „24-Stunden-Betreuung“ also eine legale Angelegenheit.

Bei jeder der drei folgenden Beschäftigungsformen muss man jedoch andere Rahmenbedingungen einhalten.

Variante 1: Man stellt Helferinnen aus dem EU-Ausland eigenständig an. „Wenn man einen Arbeitsvertrag aufsetzt, wird man formal zum Arbeitgeber und muss wie ein Unternehmen Vorgaben des deutschen Arbeitsschutzes berücksichtigen“, erklärt Steffen. Etwa, dass die ausländischen Helferinnen für höchstens acht Stunden pro Werktag oder maximal 48 Stunden in der Woche angestellt werden. Sind sie ausschließlich für hauswirtschaftliche Arbeiten eingestellt, müssen sie den aktuellen Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde erhalten. Verfügt die Fachkraft über eine Pflegeausbildung, sollte sie mindestens 10,20 Euro bekommen. Außerdem gibt es einen Urlaubsanspruch von sechs Wochen pro Jahr und einen Kündigungsschutz von einem Monat. „Als Pflegebedürftiger oder Angehöriger sollte man sich fragen, ob man sich in der häufig schon anspruchsvollen Pflegesituation auch noch zutraut, selbst zum Arbeitgeber zu werden“, so Steffen. Bei Fragen stehen die Minijobzentrale oder regionale Arbeitsämter zur Verfügung.“

Variante 2: Man beschäftigt Betreuerinnen, die bei einem Dienstleister im Ausland angestellt sind. Wer den Aufwand scheut, selbst eine Betreuungskraft einzustellen, kann den Weg über ausländische Dienstleister gehen. „Die Helferinnen bleiben weiterhin beim ausländischen Unternehmen angestellt, das die Weisungsbefugnis hat“, sagt Petra Hegemann. Es sorgt dafür, dass die Kräfte instruiert sind. „Entsendemodell“ heißt diese am häufigsten genutzte Form. „Gleich zu Anfang sollte man überprüfen, ob die Betreuungskraft auch in der Heimat sozialversichert ist“, sagt Margret Steffen. Als Nachweis muss der Vordruck A1 („Bescheinigung über die Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit“) vorliegen. Da die Fachkraft von ihrem Arbeitgeber im Heimatland einen Mindestlohn erhalten soll, Sozialabgaben fällig werden und der Pflegedienst Gewinn erzielen will, muss man mit höheren Kosten rechnen. In einer im Jahr 2017 von der Stiftung Warentest veröffentlichten Qualitätsprüfung von 13 Vermittlungsagenturen in Deutschland schwankten die Betreuungskosten zwischen 1470 und 3400 Euro im Monat.

Variante 3: Man beschäftigt selbstständige Kräfte aus dem Ausland. Verbraucherzentrale, Verdi und Stiftung Warentest warnen vor potenzieller Scheinselbstständigkeit. Eine 24-Stunden-Betreuung bedeutet Eins-zu- eins-Versorgung. Die selbstständige Betreuungskraft hat entsprechend nur einen Auftraggeber. Für eine legale Selbstständigkeit müssen jedoch mindestens zwei Auftraggeber nachgewiesen werden. „Das heißt in diesem Fall Scheinselbstständigkeit, denn eigentlich handelt es sich um einen Arbeitnehmer, der versicherungspflichtig angemeldet sein müsste“, sagt Verdi-Vertreterin Steffen.

Das kann juristische Konsequenzen für Pflegebedürftige oder Angehörige bedeuten. „Bevor man eine selbstständige Hilfskraft bei sich arbeiten lässt, die etwa über Mund-zu-Mund-Propaganda empfohlen wurde, sollte man sich bei Pflegestützpunkten oder Verbraucherzentralen über rechtlich abgesicherte Beschäftigungsmöglichkeiten informieren“, sagt Steffen.

Unter dem Link www.pflegevertraege.de/aktionen/marktcheck-24stunden-betreuung-13344 bietet die Verbraucherzentrale einen Marktcheck zur 24-Stunden-Betreuung an. Weitere Artikel rund ums Thema Pflege finden Sie im Magazin „Tagesspiegel Pflege Berlin 2017/2018“. Es kostet 12,80 Euro, ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop und im Zeitschriftenhandel.

Von Leonard Hillmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false