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Ruhe und Geduld.

© Jörg Carstensen/dpa

Ausgebucht bis 20. August: Der Terminstau in den Berliner Bürgerämtern lässt sich kaum abbauen

250.000 unbearbeitete Termine, unzufriedene Kundschaft: Die Situation der Bürgerämter ist prekär. Ein Krisentreffen dürfte wenig ändern.

Berlin sieht rot. Wer aktuell einen Termin beim Bürgeramt benötigt, beispielsweise weil die plötzlich doch mögliche Urlaubsreise einen Reisepass erfordert, hat Pech. Im Buchungssystem, das ausgebuchte Tage rot und freie Termine blau hinterlegt, gibt es ausgerechnet für die am häufigsten nachgefragten Dienstleistungen bis einschließlich 20. August nicht einen freien Termin mehr – berlinweit.

Auf 250.000 unerledigte Termine schätzt Innensenator Andreas Geisel (SPD) den Stau in den Bürgerämtern mittlerweile. Weil er daraufhin seinem Ärger öffentlich Luft machte und Vorschläge platzierte, statt intern gemeinsam mit den Bezirken nach Lösungen zu suchen, war hinterher vom „Bashing der Mitarbeiter:innen“ und einer „absolut kontraproduktiven Vorgehensweise“ die Rede.

Bewegung in die verfahrene Lage soll am Mittwoch ein Treffen zwischen den für die Bürgerämter zuständigen Stadträten und der in der Innenverwaltung für das Thema verantwortlichen Staatssekretärin Sabine Smentek (SPD) bringen.

Kein einfaches Unterfangen, schließlich sind die Probleme groß und über Jahre ungelöst. Die Bezirksämter leiden unter Personal-, Raum- und Technikmangel, die Berliner:innen unter langen Wartezeiten und mitunter umständlichen Wegen zum Ziel.

Dem eigenen Serviceversprechen und Anspruch, jedem Terminwunsch innerhalb von 14 Tagen gerecht zu werden, waren die Bürgerämter zu Beginn des vergangenen Jahres dennoch sehr nahe gekommen. Dann kam Corona, der Lockdown, das Homeoffice. Den Terminstau zeitnah abzubauen, scheint ausgeschlossen, schließlich stehen die Ferien und damit der Urlaub vor der Tür.

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Die Ursachen für die Probleme sind so vielfältig wie die Organisation und Arbeitsweisen der Bürgerämter selbst, schließlich ist jeder der zwölf Bezirke selbst verantwortlich. Stichwort Personal: Während in einzelnen Stadtteilen alle oder fast alle Stellen besetzt sind, klaffen in anderen große Lücken.

19 offene Stellen in Neukölln

Neukölln muss derzeit nach Darstellung der Innenverwaltung 19 offene Stellen besetzen und damit fünf mehr als noch Ende Dezember angegeben, auch in anderen Bezirken herrscht Unterbeschäftigung. Sämtliche Stellen zu besetzen, ist nach Auskunft der Innenverwaltung aktuell in Marzahn-Hellersdorf sowie Friedrichshain-Kreuzberg gelungen. Dessen Stadtrat für Bürgerdienste, Knut Mildner-Spindler (Linke), führt die aktuelle Krise der Bürgerämter auf die pandemiebedingten Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit zurück.

Weil noch bis 30. Juni nur jeder zweite Büroarbeitsplatz besetzt werden darf, fallen zahlreiche Termine weg. Und ohne geht – anders als vor Corona – gleich gar nichts. „Unsere Mitarbeiter:innen drängen regelrecht darauf, dass sie wieder zurück ins Büro können“, erklärt Mildner-Spindler, kennt aber auch das Risiko. Erst im Mai hatte der Gesundheitsstadtrat das Bürgeramt an der Yorckstraße für zwei Wochen komplett schließen müssen. Ursache war die Corona-Infektion eines einzigen Mitarbeiters. Den ausgefallenen Terminen läuft der Bezirk jetzt noch hinterher.

Helfen könnte die Digitalisierung – könnte. Gerade einmal fünf der 57 von den Bürgerämtern angebotenen Dienstleistungen können komplett digital und ohne persönliches Erscheinen erledigt werden. Dazu zählt mit sämtlichen Angelegenheiten rund um den Anwohnerparkausweis lediglich eine stark nachgefragte Dienstleistung. Für den Löwenanteil der 2019 laut Innenverwaltung rund 2,6 Millionen erledigten „Produkte“ der Bürgerämter ist ein persönliches Erscheinen Voraussetzung – und damit ein Termin.

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Mindestens zwischen den Zeilen wird deutlich: Auch das Verhältnis zwischen Innenverwaltung und Bezirken – erstere zuständig für Organisation und Steuerung, letztere für die Durchführung – ist angespannt. Während sich die Bezirke allzu forsche Einmischungen von außen, wie zuletzt durch Geisel angedeutet, verbitten, kritisiert die Innenverwaltung nicht zu Unrecht die auch zwischen den Bezirken großen Differenzen in Effektivität und Einsatz.

Die Spanne der erledigten Termine pro Mitarbeiter und Arbeitsstunde schwankte vor Corona zwischen 4,89 und 10,65. Einzelne Bezirke erledigen stadtweit berechnet deutlich mehr Termine, als sie Einwohner haben, andere hinken hinterher. Vor dem Treffen betonten alle: Es geht nur miteinander. Jeder wird seinen Beitrag leisten müssen.

Absehbar ist, dass die Bezirke dem Ansinnen des Senats auf Ausweitung der Öffnungszeiten folgen werden. Statt bisher 35 sollen die Bürgerämter künftig 37 Stunden pro Woche geöffnet haben und Termine bearbeiten. Auch für die Überbuchung von Terminen, also eine Überauslastung der Terminkapazitäten, gibt es Bereitschaft, schließlich werden berlinweit 20 Prozent aller vereinbarten Termine nicht wahrgenommen.

Unklar ist, wie sich die Bezirke dem Vorschlag Smenteks nach vorübergehender Einführung von Wochenendarbeit gegenüber verhalten werden. Einzelne Bezirke praktizieren das bereits, andere nicht – in allen wird die Zustimmung der Personalräte einzuholen sein. Eine Urlaubssperre dagegen, wie von Smentek zuletzt ins Spiel gebracht, scheint unwahrscheinlich. Die Reisen sind längst gebucht und die Ferien beginnen am Donnerstag – dem Tag nach dem Treffen.

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