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Delovan Moustafa (l.) engagiert sich beim Deutschen Roten Kreuz und schauspielert. Zaina Alkurdi ist demonstriert mit Fridays for Future.

© Julian Daiber; privat

Aus Syrien nach Berlin: Vor sechs Jahren geflüchtet, jetzt das Abi mit 1,0 bestanden

Zaina Alkurdi und Delovan Moustafa kamen erst vor wenigen Jahren nach Berlin. Sie konnten kein Wort Deutsch. Nun können sie sich ihre Uni aussuchen.

Als Zaina Alkurdi im Dezember 2015 in Deutschland ankam, konnte sie kein Wort Deutsch. Mit ihrer Mutter und ihren zwei kleinen Schwestern war die damals Zwölfjährige aus Syrien geflohen. Zwei Monate waren sie unterwegs gewesen. Ihre erste Unterkunft in Berlin war eine Sporthalle in Kreuzberg.

Fünfeinhalb Jahre später spricht die jetzt 18-Jährige perfekt und ohne jeden Akzent Deutsch – und hat die Qual der Wahl: Soll sie an die University of Toronto gehen, an die University of British Columbia oder doch lieber in Berlin bleiben und hier Psychologie studieren?

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An beiden kanadischen Elite-Universitäten wurde ihre Bewerbung angenommen, aber „ich muss noch ein bisschen überlegen, was ich genau will“, sagt Alkurdi. Mit ihrem Abiturschnitt von 1,0 kann sie sich ein wenig Zeit zum Nachdenken nehmen, um den Numerus clausus muss sie sich keine Sorgen machen.

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Als Jahrgangsbeste hat sie dieses Jahr am Max-Delbrück-Gymnasium in Pankow ihr Abitur abgelegt, Auszeichnungen in Politik, Deutsch und Englisch und den Preis des Fördervereins ihrer Schule hat sie bekommen. Delovan Moustafa hat eine ganz ähnliche Erfolgsgeschichte zu erzählen.

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Auch sie kam vor wenigen Jahren aus Syrien nach Berlin – und hat jetzt ebenfalls als Jahrgangsbeste an einem Gymnasium im Berliner Nordosten ihr Abitur mit 1,0 abgelegt. Den Namen der Schule will die 19-Jährige nicht veröffentlichen, er ist dem Tagesspiegel aber bekannt.

Sie kam mit ihrer Familie im Winter 2014/15 nach Deutschland. Ein Onkel, der bereits in Berlin wohnte, half der Familie beim Ankommen. Auch Delovan Moustafa konnte kein Deutsch, als sie ankam. Mittlerweile spricht sie es perfekt.

Sie wollte nicht Deutsch sprechen – aus Angst vor Fehlern

Wie haben die beiden jungen Frauen es geschafft, solche Spitzenleistungen in der Schule hinzulegen – in einem Land, in dem für sie zu Anfang vieles neu war?

Schon in Damaskus war sie sehr gut in der Schule, sagt Zaina Alkurdi. „Ich bin Perfektionistin.“ Als sie 2016 in einer Willkommensklasse in Berlin Unterricht hatte, habe sie sich erst nicht getraut, Deutsch zu sprechen, „weil ich keine Fehler machen wollte“. In wenigen Monaten hatte sie die Sprache dennoch so gut gelernt, dass sie schon im September 2016 in die achte Klasse des Delbrück-Gymnasiums wechseln konnte.

Dort sei sie anfangs ziemlich überwältigt gewesen: so viele neue Leute, neue Fächer, neue Aufgaben. Sie musste zum Beispiel ein Jahr Spanisch nachholen, weil ihre Mitschüler:innen damit schon in der siebten Klasse angefangen haben. Nach kurzer Zeit fand sie sich aber zurecht.

„Die neunte Klasse war dann besser als die achte, die zehnte besser als die neunte und in der Oberstufe war es dann noch besser“, erzählt sie. Eine Vier hatte sie ohnehin nie auf dem Zeugnis.

Auf ihre Abitur-Leistungskursklausuren in Englisch und Politikwissenschaften hat sie sich nur ein paar Tage vorbereitet. „Ich habe immer aktiv im Unterricht mitgemacht, das hat mir geholfen. Für Mathe und die Präsentationsprüfung habe ich aber lange gearbeitet.“

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Auch Delovan Moustafa war nur kurz in einer Willkommensklasse, zwei Monate lang im Frühjahr 2015, und lernte dann in Windeseile Deutsch, damit sie nach den Sommerferien in die sechste Klasse einer Grundschule wechseln konnte.

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Dort war es ihre Klassenlehrerin, die die Begabung des Mädchens schnell erkannte. „Sie war der Grund, warum ich schnell Boden unter den Füßen bekommen habe.“ Die Lehrerin habe an sie geglaubt und sie gefördert – und es fühlte sich nicht wie Mitleid an.

„Sie sagte zu mir: Du hast Feuer in den Augen. Und dann habe ich gedacht: Ja, ich kann es auch hier schaffen.“ Lernen fiel ihr schon immer leicht, in Aleppo übersprang sie die erste Klasse. Auch ihre Eltern, beide Mediziner, haben sie sehr unterstützt. „Sie haben mir emotionale Sicherheit gegeben und die Grundlage für mein Selbstbewusstsein gelegt.“

Die Beiden haben auch Diskriminierung erlebt

Auf dem Gymnasium war es erst nicht leicht. Fachtexte in Geschichte oder Geografie waren schwer zu verstehen, auch an die Unterrichtsweise in deutschen Schulen musste sie sich erst gewöhnen. In Geschichte sollte sie einen Vortrag halten, „aber ich wusste gar nicht, was ein Vortrag ist“. Als sie es dann doch geschafft hatte, „habe ich herausgefunden, dass mir Vorträge total liegen“.

Wie es jetzt für Moustafa nach ihrem Spitzen-Abitur weitergeht, das weiß sie noch nicht genau. Studieren will sie, vielleicht Jura, oder doch lieber eine Naturwissenschaft? Musik und Biologie waren ihre Leistungskurse. „Ich muss da in den nächsten Wochen mal genau in mich hineinhören.“

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Haben die beiden in der Schule Diskriminierung erlebt? Da gab es zum Beispiel einen Mitschüler, der sich lustig machte, als ihre Aussprache noch nicht so perfekt war, erzählt Zaina Alkurdi. „Aber es gab auch viele, die das nicht gemacht haben oder dagegen angegangen sind.“ Delovan Moustafa erinnert sich an Ähnliches, etwa, dass sie blöde Sprüche über ihren Namen bekommen hat.

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Die beiden Mädchen aus Syrien sind selbstbewusste Berlinerinnen geworden. Alkurdi ist politisch sehr interessiert, geht auf Demos von Fridays for Future und Black Lives Matter.

Moustafa probiert gern neue Dinge aus und hatte schon immer viele Hobbys: Sie spielt Tennis, hat in einem Kurzfilm mitgespielt, war in mehreren Jugendgruppen aktiv, engagierte sich beim Deutschen Roten Kreuz, tanzt und macht derzeit viel in den sozialen Medien, besonders auf der Plattform Tiktok.

Dort erzählt Moustafa unter anderem von ihrer Geschichte und wie sie es geschafft hat, so ein gutes Abitur zu machen. „Ich will andere inspirieren und darin bestärken, dass sie im Leben alles erreichen können, trotz Hürden und Schwierigkeiten“, sagt sie.

Musik lieben beide. Moustafa spielt seit sechs Jahren Geige, Alkurdi mag Pop und Rock, sie geht leidenschaftlich gern auf Konzerte. Unter anderem um sich das leisten zu können, jobbte sie schon während der Schule in einem Büro als Hilfskraft. „Musik ist für mich ein Safe Space. Auch als wir auf der Flucht waren, war es die Musik, die mir geholfen hat, mit manchen Situationen klarzukommen und auch mal abzuschalten.“

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