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Die Schrifstellerin und Journalistin Gabriele Tergit.

© Jens Brüning c/o Schöffling & Co

Aus dem Tagesspiegel-Archiv: London SW 15

Die Schriftstellerin und Journalistin Gabriele Tergit schrieb 1947 im Tagesspiegel vergleichend über Großbritannien und Deutschland.

Ich habe einen Brief aus Berlin erhalten von einem Manne, der ein Freund Englands ist. Aber schon einer der ersten Sätze reizt zum Widerspruch: „Right or wrong, my country" wird für charakteristisch für England gehalten. Diese Maxime ist jedoch lange schon überholt. Seit etwa einem Vierteljahrhundert bemühen sich die Engländer, auf die es ankommt, um die Innehaltung einwandfreier Grundsätze in der-Politik. Das englische Weitreich hat zumindest seit dem Frieden mit Südafrika eine moralische Grundlage. Dieser Frieden ist zur pax britannica geworden, unter dem Menschen aller Rassen leben und gerechtes Gericht bekommen. Der Briefschreiber sieht noch heute die Entstehung des ersten Weltkrieges, wie sie alle Leute in Deutschland sahen: „Man begrüßte ihn gewissermaßen als reinigendes Gewitter." Daß Deutschland 1911 bereits das reichste Land Europas war, hat kaum ein Mensch in Deutschland geglaubt. Schon damals war die politische Haltung: „Wir werden nicht dulden, daß wir...", und während die Welt vor Deutschland zitterte, wurde provozierend der Kreuzer „Panther" nach Agadir geschickt. Man wollte keinen Kompromiß, als die Flotten- und Friedenskommission Haldanes 1912 nach Deutschland kam, ebensowenig, wie anläßlich der Friedensbemühungen Chamberlains fünfundzwanzig Jahre später. Die Deutschen, die so wie diese Männer handelten, wurden verhöhnt oder umgebracht. Ich erinnere nur an Stresemann und Rathenau. Als Deutschland zum zweiten Male das mächtigste Land Europas war, als es sich Oesterreich und das Sudetenland einverleibt hatte, wurde dieser Höhepunkt der Macht keineswegs zu einer pax germanica benutzt, sondern zum Rassenhaß und zur Brandstiftung in Gotteshäusern. Daran mußte ich denken, als ich den Satz meines Korrespondenten las: „Es ist mir und vielen anderen unverständlich, warum noch immer in England eine Hetze gegen die Deutschen getrieben wird." Ich kann ihm nur antworten: es wird gar keine Hetze getrieben. Im Gegenteil. Man hat hier nur einen Wunsch: in Ordnung zu kommen und dabei die Freiheit, für die soviel gestorben worden ist, zu erhalten. Trotz aller Einwände begrüßte ich den Brief aus Deutschland, denn frei seine Meinung äußern ist das Allerwichtigste.

Gabriele Tergit

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