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Nach dem Unfall war der Ort ein Trümmerfeld.

© picture alliance / dpa

Aus dem Leben der Ku'damm-Raser: Hübsche Mädchen, viel PS und ein beschränktes Bild von Männlichkeit

Das Berliner Landgericht ist im Raser-Prozess vom Ku'damm bei Mord geblieben. Der Fall bietet Einblick in eine Subkultur. Eine Erläuterung.

Von Fatina Keilani

Erneut lebenslang wegen Mordes, für beide - die 32. Strafkammer des Berliner Landgerichts hat im Falle der Ku'damm-Raser im Ergebnis genauso entschieden wie zuvor die 35. Strafkammer, doch ging sie noch über deren Urteil hinaus. Nicht nur ein, sondern gleich drei Mordmerkmale sah die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Matthias Schertz als erfüllt an.

Dazu hatte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 1. März 2018 die Vorlage geliefert, als er das erstinstanzliche Urteil aufhob. Der BGH beanstandete nicht, dass das Landgericht das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels als erfüllt angesehen hatte, forderte aber, dass das nächste Gericht sich auch mit der Frage der Heimtücke befasst. Die 32. Kammer sah nun diese als gegeben an und nahm zusätzlich das Vorliegen niedriger Beweggründe an, weil die beiden Raser gewinnen wollten um jeden Preis - und nach Überzeugung der Kammer auch die Tötung von Menschen dafür in Kauf nahmen.

Kern der Aufhebungsentscheidung des BGH war die Vorsatzfrage gewesen. Der BGH hatte Zweifel an der Begründung des Gerichts zum Vorliegen eines Tötungsvorsatzes. Das erste Urteil hatte das Vorliegen des Vorsatzes auf einen Augenblick datiert, als ein Verhindern des Unfalls schon nicht mehr möglich war. Dann kann es aber kein Vorsatz gewesen sein, da dieser eine bewusste Entscheidung voraussetzt - also voraussetzt, dass der Unfall noch zu verhindern gewesen wäre.  

Gewinnen um jeden Preis, auch den des Lebens

Die 32. Kammer ging jetzt anders vor: Sie teilte das Geschehen und auch den Vorsatz in Etappen ein. Erst war es nur eine Verabredung zu einem Stechen, dann verlor Hamdi H. jedoch zweimal gegen Marvin N., was er nicht ertragen konnte. So gab H. an der nächsten Ampel Gas und fuhr N. davon, was dieser wiederum nicht auf sich sitzen ließ. Schließlich hatte er das PS-stärkere Fahrzeug, einen Mercedes-Benz CLA AMG 45.

Das Ganze schaukelte sich hoch, bis beide in Kauf nahmen, dass Menschen dabei getötet werden, vielleicht sogar sie selbst. 90 Meter vor der Unfallstelle erkennt N. intuitiv die Gefahr, geht kurz vom Gas, drückt dann aber wieder drauf, um das Rennen um jeden Preis zu gewinnen. Hier hätte er anders entscheiden können und tat es nicht. Gegen das neue Urteil ist wieder Revision möglich; die Verteidigung hat sie bereits angekündigt.

Der Fall ist auch über das Juristische hinaus interessant - er bietet Einblick in eine Szene junger Männer, für die ihr Lifestyle mit teuren Autos und hübschen Mädchen im Vordergrund steht und die sich wenig weitere Gedanken machen. Leisten können sie sich nichts davon - Marvin N. verdiente 1600 Euro brutto, nachdem er bei der Bundeswehr keinen Vertrag mehr bekam, sein geleaster Benz kostete aber monatlich 651 Euro. Das Cruisen über den Ku’damm und die Pflege der Boliden waren Lebensinhalt. Und natürlich die wechselnden Freundinnen auf dem Beifahrersitz, die sich dort nicht schminken durften, damit die Sitzbezüge nicht befleckt werden. Es ist zugleich ein seltsam beschränktes Bild von Männlichkeit, das die beiden Täter verkörpern.

Taten von a) bis z) - es musste so kommen

Das Urteil schreibt das Recht in dem Sinne fort, dass klargestellt ist: Der neue Paragraph 315d des Strafgesetzbuches, der nach dem tödlichen Unfall geschaffen wurde, ist nicht die Grenze. Es kann immer noch ein Tötungsvorsatz geprüft werden.

In Berlin gibt es derzeit täglich ein neues Strafverfahren wegen Raserei - insgesamt 104 seit Jahresbeginn. Jede dieser Taten birgt die tödliche Gefahr. Auch deshalb ist das Urteil zu begrüßen, als Abschreckung. Im Falle der beiden Verurteilten liegt es nahe zu denken, dass es so kommen musste, denn keiner von ihnen war unbescholten.

Hamdi H. hatte schon vor der Tat so viele Straftaten und Verkehrsdelikte begangen, dass das Gericht, in der Aufzählung bei a) anfangend, erst bei z) fertig war; bei Marvin N. reicht die Reihe bis x), allerdings mit insgesamt leichteren Taten - fast nur Parkverstöße und Geschwindigkeitsübertretungen. Marvin N. hat immerhin den mittleren Schulabschluss geschafft, war Zeitsoldat bei der Bundeswehr, wo sein Vertrag nach vier Jahren nicht verlängert wurde. Beide hatten teure Konsumwünsche und waren extrem weit davon entfernt, sich deren Erfüllung leisten zu können. Hamdi H. ist mittlerweile 30 Jahre alt, Marvin N. 27.

Das Landgericht war in einem Punkt gnädig mit ihnen: Der Führerschein wurde nicht lebenslang entzogen, sondern nur für fünf Jahre. Allerdings wird es länger als fünf Jahre dauern, bis die beiden wieder in Freiheit sind. 

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