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Kürzlich ist Sido im Autokino in Schönefeld aufgetreten – vor mehr als 900 Autos.

© DAVIDS/Christina Kratsch

Auftritt von Nena und Alligatoah auf der Kippe: Streit um Autokino Berlin – Betreiber klagt gegen Teilnehmergrenze

Das Kino in Schönefeld soll bis zu 3000 Zuschauer empfangen. Doch die Verordnung des Landes sieht maximal 1000 Teilnehmer vor – inklusive Crew.

Es geht um den Versuch, größere Veranstaltungen wie Konzerte auch mehr als 1000 Fans zugänglich zu machen – und zwar im beliebten „Autokino Berlin“ in Schönefeld. Für 928 Wagen ist das Gelände zugelassen, im Juli sollen hier noch Hundeprofi Martin Rütter, Alligatoah , das DJ-Duo „Gestört aber geil“ und Nena auftreten.

Tickets werden pro Auto inklusive zwei Personen angeboten, Karten für die Rücksitze können dazugekauft werden. Somit hätte der Veranstaltungsort eine Kapazität von 3000 Zuschauern – die auf ihrem Platz fixiert und fein voneinander getrennt durch Blech und Autoglas per Stereo-UKW-Kanal die Shows durch ihre Windschutzscheibe verfolgen können. Fenster und Türen müssen geschlossen bleiben – als Corona-Schutz.

Doch das Landratsamt Dahme-Spreewald besteht auf der maximalen Zahl von 1000 Personen auf dem Gelände – inklusive Mitarbeiter der Veranstalter, Parkwächter, Security, Catering, Künstler-Crew, sogar Zaungäste. Da rechnet sich der Aufwand nicht, schon gar nicht bei prominenten Künstlern – oder es müssten astronomisch hohe Eintrittspreise aufgerufen werden.

Nun verweigerte die Leiterin des Ordnungsamts Dahme-Spreewald dem Veranstalter per Fax ihre Zustimmung, mehr als 1000 Personen in ihren Autos auf den Platz zu lassen. Unter Berufung auf die Landesverordnung erklärte sie: „Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die beschriebenen Autokinoevents Großveranstaltungen im Sinne der Regel sind.“

Dabei dient die mehrfach geänderte Verordnung vor allem dem Zweck, Ansteckungen zu verhindern. Doch die Amtsleiterin hat sich ihrem Schreiben zufolge gleich ganz oben abgesichert: „Meine Rechtsauffassung wird durch den Verordnungsgeber geteilt.“ Und das ist die Landesregierung, zuständig ist Sozial- und Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne).

Gericht soll über Teilnehmergrenze entscheiden

Der Betreiber der Autokinos klagt nun vor dem Verwaltungsgericht Cottbus gegen die Entscheidung des Landratsamtes. Zugleich lässt es per Normenkontrollklage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Verordnung prüfen, der Eilantrag ging am Montag ein. Das Gericht will offenbar zügig entscheiden, es setzte dem Sozialministerium in Potsdam eine Frist zur Stellungnahme bis Donnerstagmittag.

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In anderen Städten wie Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg oder Hannover können Autokino-Konzerte auch mit mehr als 1000 Zuschauern stattfinden, Nordrhein-Westfalen hat solche Veranstaltungen von der Verbotsverordnung ganz einfach ausgenommen.

Dieser direkte Weg zur Bühne steht auch der Landesregierung in Potsdam offen – mit der Änderung der Verordnung. Bleibt Brandenburg stur, werden die Konzerte wohl abgesagt, trotz aller Hygiene-, Schutz- und Abstandsmaßnahmen – und gegen die Interessen von Veranstaltern, Künstlern und Fans.

„Das ist eine Frage des Wollens“

Anwalt Christoph Partsch, der das Autokino vertritt, sagte: „Das Land Brandenburg sollte sich genau überlegen, ob es Kultur gerade nach den schweren Monaten der Coronakrise verhindern oder ermöglichen will. Verordnungen können auch ausgelegt werden, das ist aber eine Frage des Wollens.“

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In der nächsten Woche will das OVG entscheiden, wie eine Sprecherin sagte. Am Donnerstag ging die Stellungnahme des Sozialministeriums ein, der Tenor lautet: Wenn die Besucher das Auto verlassen, um auf die Toilette zu gehen oder sich Pommes zu holen, könnten sie sich anstecken.

Auch die Sängerin Nena hat einen Auftritt im Autokino geplant, sie freue sich auf eine „völlig neue Live-Erfahrung“.
Auch die Sängerin Nena hat einen Auftritt im Autokino geplant, sie freue sich auf eine „völlig neue Live-Erfahrung“.

© Christoph Schmidt/dpa

Alligatoah, dessen Konzert kurz vor der Absage steht, erklärte: „Wir hätten es in diesen schwierigen Zeiten nicht für möglich gehalten, wieder auf einer Bühne zu stehen.“ Es freue ihn, bei den Autokinokonzerten mit den Fans „ein Stück Normalität erleben zu dürfen“. Nena spricht von einer „völlig neuen Live-Erfahrung“ – „das hat ja auch fast schon was Historisches“. Sie wolle „aus diesen absurden Umständen etwas Schönes und Abgefahrenes gestalten“.

Das Deutsche Symphonie Orchester, dessen Konzert im August schon abgesagt werden musste, erklärte: „In Zeiten geschlossener Konzerthäuser und Kultureinrichtungen ist das Orchester der Überzeugung, dass das Erlebnis von Live-Musik keinen Luxus, sondern die Befriedigung eines existenziellen menschlichen Bedürfnisses darstellt.“ In der Notlage für Musiker, Techniker, Beleuchter und Helfer seien Formate wie das Autokino für sie „eine der wenigen Möglichkeiten, ihrem Beruf nachzugehen“.

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