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Berlin: Aufstand gegen das Sitzenbleiben

PDS, Grüne und FDP wollen im Schulgesetz Wiederholungsjahr weitgehend streichen. Nicht-Versetzen kostet Berlin pro Jahr 80 Millionen Euro

Nach jahrelangem Tauziehen kommt jetzt endlich das neue Schulgesetz ins Abgeordnetenhaus. Schon jetzt steht aber fest, dass es nicht nur mit der Opposition harte Auseinandersetzungen geben wird: Selbst die PDS sieht Nachbesserungsbedarf. „Das Sitzenbleiben muss eingeschränkt werden“, fordert ihre bildungspolitische Sprecherin Siglinde Schaub. Sie ärgert sich darüber, dass die SPD trotz Gegenvorschlägen des Koalitionspartners an der jetzigen Versetzungsregelung festhalten will, in deren Folge Jahr für Jahr 17000 Kinder die Klasse wiederholen müssen. „Dabei darf es nicht bleiben“, meint Schaub. Auch Landeselternausschuss, Grüne und FDP haben ihre Bedenken angemeldet, da laut Pisa-Studie Sitzenbleiber spätestens nach zwei Jahren wieder zu den schlechtesten Schülern gehören.

„Das Sitzenbleiben bringt rein gar nicht“, lautet für Landeselternsprecher René Schindler die Schlussfolgerung aus Pisa. Er plädiert dafür, dass nicht versetzte Schüler noch ein halbes Jahr in ihrer Klasse bleiben können und dann die Chance einer Nachprüfung erhalten. Allerdings müssten sie in dieser Zeit zusätzlich gefördert werden. Bisher gibt es die Möglichkeit einer Nachversetzung nur an den Gymnasien und nur unmittelbar nach den großen Ferien. Davon machen hunderte Schüler Gebrauch. Diese Nachprüfung ist aber nur dann sinnvoll, wenn ein Schüler überschaubare Lücken hat, die er in wenigen Wochen „stopfen“ kann.

Der PDS geht diese Möglichkeit von Nachprüfungen nicht weit genug. Sie fordert, dass Schüler nur in Ausnahmefällen die Klasse wiederholen müssen. Dass dies selbst an Hauptschulen funktionieren kann, beweist die Werner-von-Stephan-Schule in Tempelhof: Hier erhalten nicht versetzte Schüler eine Art „Gastrecht“ in ihrer alten Klasse. Sie dürfen dort weiterhin den Unterricht besuchen und bekommen im Laufe des folgenden oder übernächsten Schuljahres die Möglichkeit einer Nachversetzung. „In 50 Prozent der Fälle sind wir erfolgreich“, berichtet Schulleiter Siegfried Arnz.

Die Schulverwaltung zeigt sich von solchen guten Beispielen nicht unbeeindruckt: Laut Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall ist es denkbar, im Rahmen der Profilbildung und Eigenverantwortung von Schulen solche Sonderregelungen gesetzlich abzusichern. Außerdem müsse das Schulgesetz ohnehin noch durch Verordnungen ergänzt werden. Auch auf diesem Wege könne man noch die Bestimmungen zum Sitzenbleiben verändern, meint Pokall.

Das Sitzenbleiben ist nicht nur aus pädagogischen, sondern auch aus finanziellen Gründen umstritten. Zwar war lange Zeit unklar, was für Kosten das Sitzenbleiben tatsächlich verursacht. Eine kleine Anfrage des bündnisgrünen Abgeordneten Özcan Mutlu, die dem Tagesspiegel vorliegt, bringt aber nun Licht ins Dunkel. Der Bildungssenator hat dort erstmals aufgelistet, was ein Berliner Schüler pro Jahr kostet. Demnach ist ein Grundschüler in den ersten vier Klassen mit 4000 Euro am preiswertesten, gefolgt von Realschüler (4500 Euro), Gymnasiasten (5300), Gesamtschüler (6200), Hauptschüler (6900). Am teuersten sind Sonderschüler mit 13 900 Euro, allerdings müssen sie nur ausnahmsweise eine Klasse wiederholen.

Wenn man diese Kosten mit den Wiederholern pro Jahr multipliziert, kommt man auf Gesamtkosten von über 80 Millionen Euro pro Jahr. Allein für die Hauptschulen sind es knapp 18 Millionen Euro, denn sie sind Spitzenreiter unter den Wiederholern: Bei ihnen müssen rund 17 Prozent der Schüler einer Klasse das Jahr nochmal machen, während es im Oberschul-Durchschnitt etwa 8,2 Prozent sind.

Für die Grünen steht fest, dass der „tausendfache Lernfrust“ der Sitzenbleiber ein Ende haben und durch individuelle Förderung ersetzt werden muss. Die FDP fordert zwar keine Abschaffung, aber doch eine deutliche Einschränkung. Das Sitzenbleiben dürfe nur das „letzte Mittel“ sein. Sie stimmt mit dem Landeselternsprecher darin überein, dass die Lehrer selbst viel tun könnten, um das Sitzenbleiben überflüssig zu machen – durch bessere Diagnostik. Pisa hatte ergeben, dass viele Lehrer nicht wissen, wo die Stärken und Schwächen ihrer Schüler liegen.

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