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Auf Abruf: Bildungssenatorin Sandra Scheeres will im Herbst ihr Amt aufgeben.

© Kitty Kleist-Heinrich

Aufstand der Berliner Schulen: Protest verhindert Rückkehr von 100.000 Schülern

Schulen machten mobil gegen die Pläne, schrittweise zum Präsenzunterricht zurückzukehren - mit Erfolg. Die GEW kündigt Mitgliedschaft im Hygienebeirat.

Am dritten Tag hatten die Proteste Erfolg: Ab Montag wird es nun doch keinen verbindlichen Schulbeginn für rund 100.000 Schüler der Abschlussjahrgänge geben. Das teilte die Senatsverwaltung für Bildung am Freitagabend mit. Bis zum 25. Januar wird es beim Digitalunterricht bleiben. Das gilt auch für die Grundschulen.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (beide SPD) waren nach dem Senatsbeschluss am Mittwoch nicht nur politisch massiv unter Druck geraten: Es gab Brandbriefe, eine Onlinepetition gegen die Rückkehr zum Präsenzunterricht mit mehr als 30.000 Unterschriften sowie Schulleitungen, die angekündigt hatten, trotz Senatsbeschluss beim Onlineunterricht zu bleiben.

Scheeres' Darstellung nach erreichten sie aber auch „ganz viele Mails“, die sie ermutigten, bei der Entscheidung zu bleiben, sagte sie dem Tagesspiegel. Mit der ursprünglich geplanten stufenweisen Rückkehr zum Präsenzunterricht ab Montag, beharrt die Senatorin, habe sie „genau das gemacht, was Eltern und Schulleitungen sich gewünscht haben“.

In einer Sondersitzung am Montag habe sich der Hygienebeirat sogar für noch weitergehende Öffnungen ausgesprochen – dem Gremium gehören unter anderem Vertreter aus Eltern- und Schülerschaft, Schulleitungen, Gewerkschaften, Medizin und Wissenschaft an. „Aber dass es auch Kritikpunkte und andere Stimmen gibt, kann man nicht ignorieren“, sagte Scheeres.

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Später am Abend folgte dann die Erläuterung, wie es weiter gehen soll. Demnach werden die Grundschulen frühestens am 25. Januar wieder im Wechselunterricht starten, vorbehaltlich des Infektionsgeschehens. Eine Notbetreuung wird es weiterhin geben. Am 19. Januar soll darüber entschieden werden, wie es ab dem 25. Januar mit dem Schulbetrieb an Grundschulen weitergeht.

Auch an den weiterführenden Schulen wird es bis „mindestens 25. Januar“ keinen verpflichtenden Präsenzunterricht geben. Nur für die Abschlussklassen gelten besondere Regelungen: „Die Schulleitungen können in Abstimmung mit den Elternvertretungen und der Schulaufsicht entscheiden, ob die Abschlussklassen im Wechselunterricht in kleinen Lerngruppen oder im schulisch angeleiteten Lernen zu Hause unterrichtet werden“, lautet nun die Ansage.

Stufen 9 und 11 werden nicht mehr einbezogen

Als Abschlussklassen gelten nur noch die Jahrgangsstufe 10 an allen weiterführenden Schulen sowie die Jahrgangsstufe 12 an Gymnasien und Jahrgangsstufe 13 an Sekundarschulen. Zuvor sollten die Stufen 9 und 11 ebenfalls einbezogen werden. An den beruflichen Schulen können die Abschlussklassen der Berufsschulen und der 13. Jahrgang „in Abstimmung zwischen Schulleitung und Schulaufsicht“ in kleinen Lerngruppen unterrichtet werden.

„Einmal mehr stellt sich die Frage, warum die Senatorin immer erst mit dem Rücken zur Wand grundsätzlichen Forderungen der Praktiker nachkommt“, kommentierte Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren die Entscheidung. Er hatte sich seit langem dafür eingesetzt, dass die Schulen je nach Infektionsgeschehen eigenverantwortlich über die Schulöffnung entscheiden können.

Bevor es zur Kehrtwende der Senatorin kam, wollten sich Dutzende Berliner Oberschulen der Anordnung widersetzen, ihre Schulen am Montag zu öffnen. Dies war in zahlreichen Protestbriefen angekündigt worden.

Der Regierende Bürgermeister hatte sich am Mittwoch erst gegen und dann für die Schulöffnung ausgesprochen.
Der Regierende Bürgermeister hatte sich am Mittwoch erst gegen und dann für die Schulöffnung ausgesprochen.

© dpa/Christophe Gateau

In den Schulen brodelte es

Die Gegenwehr rührte vor allem daher, dass am 11. Januar – dem zunächst vorgesehenen Start der Teilöffnung – noch nicht absehbar sein wird, wie sich die Weihnachtstage auf die Entwicklung der Inzidenzwerte auswirken. Zudem handelt es sich bei den Abschlussklassen um Altersgruppen, die überdurchschnittlich häufig infiziert sind.

Etliche Kollegen waren daher entschlossen, gegen die Öffnung zu remonstrieren, also als Beamte Widerstand zu leisten. Diesen Weg wollten etwa die Spandauer Oberschulen offiziell gehen. Allerdings wurde ihnen von der Bildungsverwaltung mitgeteilt, dass dies kein Fall für eine Remonstration sei, da die Verwaltung nicht gegen das Gesetz verstoße.

Daraufhin ließen die Schulleitungen ihre Schulkonferenzen darüber abstimmen, Digitalwochen abzuhalten. Da Schulkonferenzbeschlüsse rein rechtlich höherwertig seien als der Stufenplan der Bildungsverwaltung, sei dieses Vorgehen möglich, berichtete die Leiterin der Spandauer Schule an der Jungfernheide, Karin Stolle. Die Initiative kam dem Vernehmen nach von der Martin-Buber-Schule und wurde angeblich von allen 13 Oberschulen aufgegriffen.

Digitale "Projektwochen" als Ausweg

Personalräte hatten erfreut auf soviel Kampfgeist reagiert: Er könne sich kaum erinnern, dass es so viel Geschlossenheit unter Schulen gegeben habe, sagte ein erfahrener Gewerkschafter. Andere Schulen wie etwas das Zehlendorfer Dreilinden-Gymnasium und die Wilma-Rudolph-Oberschule hatten schon am Mittwoch entschieden, eine gemeinsame digitale Projektwoche abzuhalten, wie Dreilinden-Schulleiter Jens Stiller berichtete.

Mehrere Oberschulen aus Zehlendorf taten sich zudem zu Protestbriefen zusammen. Die Gesamtkonferenz des Leibniz-Gymnasiums schrieb, sie sei „entsetzt und enttäuscht“, dass die Verwaltung ihre Verantwortung für die Gesundheit „aller am Schulleben Beteiligten“ nicht wahrnehme. Die Schulöffnung sei „unverantwortlich“.

"Unverantwortlich und fahrlässig"

Ähnlich äußerte sich der Leiter des Steglitzer Fichtenberg-Gymnasiums, Andreas Steiner: "Nach meiner Meinung ist die geplante Öffnung der Schulen unverantwortlich und fahrlässig. Das diesbezügliche Wirken unseres Arbeitgebers stellt eine Gefährdung für die Bemühungen der gesamten Gesellschaft zur Eindämmung der Pandemie dar und riskiert die Gesundheit der Lehrkräfte, der Schüler*innen und Schüler und die Gesundheit der betroffenen Familien in unverhältnismäßiger Weise", lautete Steiners Anklage.

Zuvor hatten sich schon die Neuköllner Gymnasien gemeinsam gegen die Schulöffnung positioniert sowie Florian Bublys von der Initiative "Bildet Berlin!"

Kritik an Scheeres auch aus den eigenen Reihen

Die ursprüngliche Entscheidung der Bildungssenatorin, die Schulen zu öffnen fand auch unter Sozialdemokraten keine uneingeschränkte Unterstützung. Zwar hatte sich der Regierende Bürgermeister im Abgeordnetenhaus demonstrativ hinter Sandra Scheeres gestellt und sie sogar gelobt. Das aber überzeugte nicht alle Sozialdemokraten.

So verschickte die Neuköllner SPD am Freitag eine Erklärung, in der sie dafür votierte, „angesichts der aktuell dramatischen Pandemielage, der verschärften Kontaktbeschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger sowie der in dieser Woche erst getroffenen Vereinbarung der Ministerpräsidentenkonferenz die Schulen bis Ende Januar zu schließen.“

Grüne gehen ebenfalls auf Abstand

Auch der grüne Koalitionspartner fand kritische Worte: „Unsere Linie war Schulöffnung frühestens ab dem 18. Januar“, teilte Fraktionschefin Silke Gebel auf Anfrage mit. Es sei in der Debatte im Senat nur um Lernanfänger in der Grundschule ab dem 18. Januar bei einer Inzidenz, „die es vertreten lässt“ gegangen – mit Abstand, also mit dem Wechselmodell, Schnelltests und FFP2-Masken. Über die Zeit vorher sei gar nicht diskutiert worden, erklärte Gebel weiter. Die Jusos gingen ebenfalls auf Abstand zu Scheeres.

Vorwürfe aus dem Hygienebeirat - und ein Austritt

Am Abend kündigte die GEW ihre Mitgliedschaft im Hygienebeirat mit dem Argument, der Gesundheitsschutz und die Interessen der Beschäftigten fänden im Beirat kaum Berücksichtigung. Andere Beiratsmitglieder warfen GEW-Chef Tom Erdmann vor, seine Kritik an der Schulöffnung sei unglaubwürdig, weil er sich bei der Sitzung noch für die Öffnung ausgesprochen habe.

Auf Nachfrage räumte Erdmann ein, im Hygienebeirat für die Öffnung der Grundschulen votiert zu haben - allerdings unter dem Vorbehalt, was die Runde der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten entscheiden würde, wehrte sich Erdmann gegen die Vorwürfe des Hygienebeirats, seinen Mantel nach dem Wind zu hängen, um die aufgebrachten Mitglieder nicht zu verprellen..

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