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Die Idylle trügt: Die Dorfkirche in Neuruppin.

© Getty Images/iStockphoto

Aufruhr in Neuruppin: Mafia, Patronage, Korruption – wird diese Stadt von der Vergangenheit eingeholt?

Am Sonntag ist Bürgermeisterwahl in Neuruppin. Der Amtsinhaber wird bedroht, sein Dienstwagen abgefackelt. Erinnerungen an finstere Zeiten werden wach.

Jens-Peter Golde will es noch einmal wissen. Zwei Amtszeiten als Bürgermeister von Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) hat der 65-Jährige schon hinter sich, seit 2005 führt er die Geschäfte im Rathaus in der Fontanestadt 60 Kilometer nordwestlich von Berlin. 

Nun tritt er erneut für die Wählergemeinschaft Pro Ruppin an. Mehr als 26.000 Wähler können am Sonntag darüber entscheiden, ob Golde zum dritten Mal Bürgermeister wird oder ob einer seiner fünf Gegenkandidaten gewählt wird.

Die Vorwahlzeit verlief turbulent. Vor drei Wochen wurde Goldes Dienstwagen Ziel eines Brandanschlags. Unbekannte hatten sich Zugang zum Privatgrundstück des Bürgermeisters verschafft und Grillanzünder auf die Reifen des Autos gelegt. Der Bürgermeister konnte den Brand bis zum Eintreffen der Feuerwehr selbst löschen, es entstand ein geringer Sachschaden am Fahrzeug.

Golde sagte, dass er von einem gezielten Anschlag ausgehe. Sowohl in seinem Briefkasten als auch im E-Mail-Postfach des Rathauses gingen in den Folgetagen Drohschreiben ein. Eine potenzielle politische Motivation wird nicht ausgeschlossen, der Staatsschutz des Landeskriminalamtes hat die Ermittlungen übernommen.

In Neuruppin ist alles möglich, einiges vorstellbar

Einige Tage nach dem Anschlag auf Goldes Dienstwagen stand Neuruppin erneut in den Schlagzeilen der Lokalzeitungen. Ein Wahlplakat von Michael Güldener, Kandidat der Freien Wähler, wurde nach seinen Angaben durch Einschusslöcher beschädigt. Ob es sich jedoch tatsächlich um Einschusslöcher handelt, konnte eine Polizeisprecherin nicht bestätigen.

Denkbar ist ebenso eine Demolierung durch einen spitzen Gegenstand. Dennoch hat auch in diesem Fall der für politische Kriminalität zuständige Staatsschutz die Ermittlungen übernommen.

Jens-Peter Golde will sich am Sonntag erneut zum Bürgermeister der Brandenburgischen Stadt wählen lassen.
Jens-Peter Golde will sich am Sonntag erneut zum Bürgermeister der Brandenburgischen Stadt wählen lassen.

©  Soeren Stache/dpa

Im Kontext der Wahl wurden zusätzlich mehrere beschädigte und illegal abgenommene Wahlplakate entdeckt, wie die Polizei berichtet. Dies sei jedoch nichts Ungewöhnliches und würde im Vorfeld jeder Stimmabgabe regelmäßig auftreten, sagte eine Sprecherin der Polizei. Am Tag des Urnengangs werde die Polizei im Stadtgebiet präsent sein und wie bei jeder Wahl vermehrt vor Wahllokalen Streife fahren, kündigte die Behörde an.

Weshalb und womit Golde bedroht wurde, ist nicht klar. Soll er von einer Kandidatur abgehalten werden? Die Polizei und das Rathaus wollen sich nicht dazu äußern. Das Problem für Kenner der Stadt ist: In Neuruppin ist alles möglich, einiges vorstellbar. Dafür ist die Stadt bekannt, fast schon legendär.

Vor Jahren galt Neuruppin als „Klein Palermo“

Tatsächlich war die Stadt wegen zahlreicher Korruptionsfälle als „Korruppin“ oder „Klein Palermo“ betitelt worden. Das ist schon einige Jahre her. Die Stadt wächst, aus Berlin ziehen Familien nach Neuruppin, es ist der wirtschaftliche Mittelpunkt im Norden des Landes, landschaftlich reizvoll gelegen am Ruppiner See.

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Und da war jahrelang die dunkle Seite der Stadt: die XY-Bande, mafiöse Strukturen, Drogen, Glücksspiel, Prostitution, Korruption und Verbindungen ins Rathaus, in die Stadtpolitik und in die Polizei. Etwa zehn Jahre beherrschte die Bande, deren Mitglieder Nummernschilder mit „XY“ an ihren Nobelkarossen hatten, die Stadt, finanzierte mit ihren illegalen Einnahmen Immobiliengeschäfte und machte die Stadtpolitik erpressbar: Nicht wenige Lokalgrößen trafen sich bei Glücksspielen der Bande. Dann klickten 2004 die Handschellen.

Neuruppin ist nach der Wiedervereinigung umfangreich saniert worden. Mittendrin die Türme der Klosterkirche Sankt Trinitatis.
Neuruppin ist nach der Wiedervereinigung umfangreich saniert worden. Mittendrin die Türme der Klosterkirche Sankt Trinitatis.

©  Paul Zinken/dpa

Einige der Mitglieder machten weiter, als sie ihre Strafen im Gefängnis abgesessen hatten: teure Autos und gehobener Lebensstil. Der Bandenchef stieg nach seiner Entlassung groß in den Kokain-Handel ein. Er wurde erneut verurteilt. Der Vize-Boss wurde 2017 geschnappt, als er auf einem Parkplatz ein Kilogramm Amphetamine an ein Mitglied eines Berliner Rockerclubs übergeben worden.

In ihren Wohnungen fanden Ermittler Drogen, Waffen und Bargeld. Der XY-Vizechef hatte eine jüngere Helferbande, die eine Profi-Aufzuchtanlage für Marihuana und in Waldlichtungen Plantagen betrieb.

Patronage und Vorteilsnahme im Amt

Und auch die Stadtpolitik ist immer wieder durch Skandale erschüttert worden. Von einem Patronagesystem war im Rückblick die Rede. Ein Stadtverordneter der CDU war wegen Bestechlichkeit verurteilt worden: Er setze sich für ein Hotelprojekt ein und bekam im Gegenzug vom Investor ein Darlehensvertrag in Höhe von 100.000 Euro.

Und der Vorgänger von Jens-Peter Golde als Bürgermeister bekam 2008 eine Bewährungsstrafe wegen Vorteilsnahme im Amt, weil er seinem Sohn den Kredit eines Hotelinvestors vermittelt hatte.

Auch Golde hätte es fast erwischt. Sein Sandkastenfreund hatte die Stadtwerke geführt, war in einem Finanzskandal verwickelt und wurde wegen Untreue verurteilt. Der Weggefährte hatte Geld für den örtlichen Fußballverein abgezwackt, deren Vize-Chef er war. 

Der Mann, der den Ruf als unkonventioneller Macher hatte, wählte für sich den Freitod. Andere wollten Golde deshalb 2010 abwählen lassen, er überstand die Revolte. Die Krise hat ihn gestärkt. Nun hat er es mit einer ganz neuen Bedrohung zu tun.

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