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Wolfgang Rabe mit Zange unterwegs.

© Mike Wolff

Aufräumen nach dem Marathon: Der Zwischenraumreiniger

Der Marxist Wolfgang Rabe säubert zwei Mal täglich die Grünflächen um einen Plattenbau in der Karl-Marx-Allee. Es soll ein Protest sein gegen die Verhältnisse.

Am Tag danach hat Wolfgang Rabe viel zu tun. Der Rentner aus der Karl-Marx-Allee räumt nach dem Marathon vor dem Haus auf. Das macht er ohnehin zwei Mal pro Tag, aber am Montag war etwas mehr zu tun. Vor allem Plastikbecher waren liegen geblieben. Als er fertig ist, kommt die Maschine der Straßenreinigung. Mit dem diesjährigen Marathon ist Rabe aber sehr zufrieden: Alles ist relativ sauber geblieben. Im April, nach dem Halbmarathon, sah das anders aus.

„Mich hat es gestört, dass so viele Menschen aus anderen Ländern zum Halbmarathon kommen und es hier so verdreckt aussieht“, erzählt er. Zwei 90-Liter-Tüten voll mit Müll habe er gesammelt. Zudem hat er das Moos aus den Ritzen vom Bürgersteig gezogen. Zum Halbmarathon startet und endet die Strecke auf der Karl-Marx-Allee.

Alles läuft nach einem festen Tagesplan

Die Wohnung von Rabe ist picobello bis ins letzte Detail. Die Weihnachtsdekoration steht Mitte September noch – unter dem Gemälde eines sowjetischen Künstlers, das Original hängt in einem Museum in Moskau. Er hat einen festen Tagesplan: Um 5 Uhr steht er auf, um Punkt 8 Uhr nimmt er sich die Grünflächen und Wege rund um den Plattenbau unweit vom Kino International vor. Mit einer Greifzange sammelt er Abfall auf, Kronkorken, Glasscherben, Zigarettenstummel und Taschentücher. Dazu trägt er sein blaues T-Shirt mit der Aufschrift „DDR-Einzelkämpfer“. Er macht das freiwillig und unbezahlt.

Der 75-Jährige würde gerne noch früher beginnen, doch ein Mann in der Wohnung über ihm habe sich beschwert: Das Klacken der Greifzange nerve ihn so früh am Morgen. An Wochenenden beginnt Rabe daher erst um 9 Uhr. Um 19 Uhr täglich wiederholt er seinen Gang ums Haus – dann liegt wieder einiges rum. Wenn er Kleidungstücke entdeckt, bringt er diese ins nahe gelegene Secondhandkaufhaus „Humana“, Geldbörsen oder Taschen gibt er beim Fundbüro ab.

Müll sammeln als „Kritik an den herrschenden Verhältnissen“

Die Wege zwischen den Plattenbauten und die Grünflächen davor – wäre Berlin ein Gebiss, würde sich hier der Karies festsetzen. Es sind unbeachtete Flächen, die kaum zum Verweilen genutzt werden. Trotzdem landet hier Müll. Er wird aus den Fenstern der oberen Stockwerke geworfen – Rabe hebt ihn auf. Seinen eigenen Balkon hat er mit einer Plastikplane vor herabfallendem Unrat geschützt. Mit dem Aufheben des Mülls betreibe er „Kritik an den herrschenden Verhältnissen“, sagt Rabe. Damals, mit dem Fall der Mauer, seien die Bürgerinnen und Bürger der DDR enteignet worden – und nun sei die Stadt nicht mal in der Lage, die landeseigenen Flächen sauber zu halten.

Wolfgang Raabe in seinem Wohnzimmer.
Wolfgang Raabe in seinem Wohnzimmer.

© Robert Klages

Rabe reinigt akkurat bis zur Grundstücksgrenze. Rund um das Nebengebäude liegen Kronkorken, die Wege sind moosbewachsen. Das Haus, in dem Rabe wohnt, gehört der Wohnungsbaugesellschaft WBM. Diese erklärt auf Nachfrage, die Flächen des Objekts würden ausreichend von einer Firma gereinigt. Die Aktivität des Mieters will man nicht kommentieren. Beschwerden lägen nicht vor.

Sein Geburtstag ist der 9. November

Einige Male hat Rabe auch den Rasen um das Haus herum gemäht. Dafür hat er ein Verlängerungskabel aus seiner Wohnung im dritten Stock gelegt. Das störte einige Nachbarn. Rabe hat seinen Rasenmäher verschenkt. Wegen seines DDR-T- Shirts wird er gelegentlich beschimpft. Dabei hat er ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Vergangenheit. Einerseits sagt er, in der DDR sei vieles besser gewesen, auch sauberer. Anderseits schimpft er auf den SED-Staat, der korrupt gewesen sei.

Rabe ist ein Mann wie ein Mahnmal. Sein Geburtstag ist der 9. November – der Jahrestag des Mauerfalls. Er bezeichnet sich selbst als Marxisten, aber nicht im Sinne der DDR-Staatsideologie. Er wünscht sich Sozialismus. Aber: „Ein Land kann nicht 1945 nationalsozialistisch sein und nur wenig später sozialistisch. Es braucht mehrere Generationen, bis die Menschen so weit sind.“ Bei der letzten Wahl hat er für die MLPD gestimmt, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands. Alle anderen Parteien kommen für ihn nicht infrage.

Über die DDR könnte er stundenlang erzählen. Von seiner Zeit bei der Volkspolizei, seiner unehrenhaften Entlassung bei der Feuerwehr. Oder wie er als „Objektbeschaffer“ Gegenstände organisieren musste, die in der DDR Mangelware waren. Doch es ist 19 Uhr, er muss los. Mit seiner Greifzange macht er sich auf den Weg. Draußen trifft er eine Nachbarin mit Hund. „Er muss sich ja irgendwie beschäftigen“, sagt sie. Sie freue sich immer, wenn sie ihn bei seiner Arbeit treffe. „Es ist schön, dass er da ist“, sagt sie.

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Gemeinsam engagiert - gemeinsam feiern: Helferinnen und Helfer der diesjährigen Freiwilligentage sind herzlich eingeladen zur Danke-Party.

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