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Im Tiergarten blühen nach mehreren milden Wochen schon Schneeglöckchen.

© Kay Nietfeld/dpa

Auf Herbst folgt Frühling: Gibt es den ersten schneefreien Winter Berlins?

Der Januar ist bisher extrem mild und sonnig. Der Winter ist weit weg. Die Natur hat damit kein Problem – aber sie hat ein anderes.

Es grenzt an eine Provokation, wie die Sonne blendet und wärmt – zwei Wochen vor Beginn der Winterferien. So war es am Mittwoch und gestern und so wird es voraussichtlich auch heute wieder. Zur Halbzeit des meteorologischen Winters sprießen in den Gärten die Schneeglöckchen und in Parks die Ziersträucher. Es scheint, als wäre der Herbst direkt in den Frühling übergegangen, weil der Klimawandel den Winter verschlungen hat.

Sollte dieser Winter tatsächlich schneefrei bleiben, wäre das eine Premiere: Seit Beginn der ständigen Wetteraufzeichnungen in Potsdam (1893) und Berlin (1908) hat es auch in den mildesten Wintern an mindestens drei Tagen mal geschneit; an mindestens fünf Tagen lag morgens eine geschlossene Schneedecke.

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„Alle Statistiken sprechen also dagegen, dass dieser Winter so durchgeht wie bisher“, sagt Jörg Riemann, Chefmeteorologe des Dienstes „Wettermanufaktur“. Schon am Wochenende soll es etwas kühler werden, und für nächste Woche zeichne sich bei Tagestemperaturen um fünf Grad zumindest leichter Nachtfrost ab.

Aus Sicht des Meteorologen ist der Winter nicht tot, sondern nur woanders: Im Westen und Norden Kanadas ist es extrem kalt, auf Teilen Islands liege so viel Schnee wie nie, an einer Forschungsstation auf Grönland wurde ein Kälterekord von minus 66 Grad gemessen, und selbst vom Balkan bis nach Griechenland sei es ungewöhnlich frisch. Nur zu uns schaufeln die seit dem ersten Dürrejahr 2018 schon fast tot geglaubten Atlantiktiefs immer weiter milde Luft.

Insofern haben sich die Wetterverhältnisse normalisiert – mit der Einschränkung, dass die Tendenz zu immer langlebigeren Wetterlagen sich fortsetzt: Seit dem Advent weht fast ständig Südwestwind. Der brachte es am Mittwoch auf 14,5 Grad; nur 0,7 fehlten für einen Januar-Rekord.

Igel schlafen unabhängig vom Wetter den Winter durch

Für die meisten dürften die Vorteile dieses Wetters überwiegen: Kein Winterdienst, kein Eiskratzen, keine Glätte, geringere Heizkosten, geringere Luftbelastung. Und für die Natur sieht Derk Ehlert, Umweltexperte beim Senat, keine gravierenden Probleme: „Alle heimischen Arten kennen diese Kapriolen. Die lassen sich von den milden Temperaturen nicht gleich täuschen.“

Der wichtigere Indikator für Tiere wie Pflanzen sei die Tageslänge. „Während wir abends im Warmen sitzen, bleiben die draußen – und registrieren sehr wohl, dass die Nächte lang und kalt sind.“ Manchen allzu früh gestarteten Sträuchern und Zwiebelgewächsen wie Schneeglöckchen dürfte eine Frostperiode in der zweiten Winterhälfte die Blüten ruinieren, aber nachhaltig schade ihnen das nicht. Igel schliefen unabhängig vom Wetter den ganzen Winter durch, Vögel fänden ohne Frost mehr Futter, und manche eher lästige Insekten wie Mücken kämen durch milde Winter schlechte als durch kalte.

Es herrscht immer noch Wassermangel

Bisher war der Januar im langjährigen Vergleich sechs Grad zu mild. „Nahe der Oberkante des Möglichen“ sei diese Abweichung, sagt Riemann. Was der Natur wirklich zusetzt, ist der noch immer kaum gelinderte Wassermangel nach zwei Dürrejahren.

Ehlert sieht das aktuelle Wetter „nicht als Grund zur Sorge, sondern als Anlass zum Durchatmen und Genießen.“ Als speziellen Tipp empfiehlt er die Japanischen Kirschbäume am Bahnhof Bornholmer Straße, die gerade prächtig aufblühen. „Wer da vorbeifährt oder umsteigt, sollte mal kurz vom Smartphone hochschauen und sich an dem Anblick der Blüten erfreuen.“

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