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Der e-tron GT (hier die etwas moderatere quattro-Version) ist für Audi „die neue elektrische Speerspitze der Marke“.

© Andreas Conrad

Audi unter Strom: Skulptur auf Rädern

Endlich enttarnt: In den beiden Modellen des e-tron GT sind Reiselimousine und Sportwagen harmonisch verschmolzen.

Oldtimer-Fahrer kennen das: Beim Warten vor roter Ampel neugierige Blicke von nebenan, anerkennendes Nicken, gelegentlich sogar lobende Worte bei heruntergefahrenem Seitenfenster. Oder man verwickelt sie an der Tanksäule in einen kurzen PS-Smalltalk: „So einen hatte ich auch mal. Welches Baujahr?“ Das macht eigene Seufzer angesichts überdurchschnittlicher Reparaturkosten allemal wett. Unter denen haben Besitzer von Neuwagen erst mal nicht zu leiden. Besondere Aufmerksamkeit aber, spontane Sympathie erregen sie selbst mit Fabrikaten der gehobenen Oberklasse eher selten. Es gibt allerdings Ausnahmen. Kleiner Fotostop bei der Testfahrt mit dem brandneuen Audi e-tron GT quattro, oben auf dem Elbdeich nahe Hamburg. Der des malerischen Hintergrunds wegen quergestellte Wagen sollte hier eigentlich niemanden stören, aber natürlich rollt gerade jetzt ein Laubenpieper aus den am Fluss gelegenen Kleingärten heran. Also rein ins Testmobil und runter vom Deich – der andere folgt, hält an, will aber nicht schimpfen, im Gegenteil: „Tolles Auto!“ Eine in den folgenden Stunden mehrfach registrierte, mal durch respektvolle Blicke, mal durch einen gereckten Daumen gezeigte Reaktion, erst auf den GT quattro in dezentem „Kemoragrau Metallic“, später auf die noch sportivere RS-Version in „Taktikgrün Metallic“. Eine Lackierung, die allein schon Blicke auf sich zieht, eine Art Edelversion von Nato-Oliv, schick changierend je nach Lichteinfall.

Das Ende des Kühlergrills

Doch, der e-tron GT, für Audi „die neue elektrische Speerspitze der Marke“, ist ein echter Hingucker, von „skulpturalem Design“, wie man gerne betont und das zu Recht. Der flachen, langgestreckten Silhouette nach eher ein Sportcoupé als eine Reiselimousine, schlank in der Hüfte, wenn man so will, doch mit kräftig modulierten, geballte Kraft suggerierenden Radhäusern, einer mittels flachem Lichtband zwischen den Heckleuchten optisch verbreiterten Rückenansicht, langgezogener Fronthaube und einem geschickt an die veränderten Bedürfnisse der E-Mobilität angepassten Singleframe. So nennt Audi den neben den vier Ringen fast zum zweiten Markenzeichen gewordenen, den Kühlergrill mal als Sechs-, mal als Achteck einfassenden Rahmen. Nun braucht ein E-Mobil keinen Kühlergrill mehr und man könnte ihn einfach durch eine glatte Fläche ersetzen – so hat es Tesla beim dadurch etwas gesichtslosen Model 3 gehalten. Oder aber man greift wie beim e-tron GT die vertraute Form auf, variiert sie nur, behält das Wabenmuster des Verbrenner-Grills als Reminiszenz bei und integriert die Form des sechseckigen Rahmens in eine dunkelgrau gehaltene Maske, die bis unter die Scheinwerfer gezogen wird und auch die seitlichen Lufteinlässe für die Bremsen und das Thermomanagement umschließt.

Auch ohne die Lackierung in "Taktikgrün metallic" wäre der Audi RS e-tron GT ein echter Hingucker.
Auch ohne die Lackierung in "Taktikgrün metallic" wäre der Audi RS e-tron GT ein echter Hingucker.

© Andreas Conrad

Auch der Innenraum des e-tron GT schmeichelt dem für Designfinessen empfänglichen Auge, etwa durch die Art, wie die in Lüftungsöffnungen auslaufende Instrumententafel und die Türverkleidungen ineinander greifen und so einen geschlossenen Bogen um die vordere Sitzreihe bilden. Fahrerfreundlich auf die Person hinterm Lenkrad hin arrangiert sind Bildschirme und Bedieninstrumente sowieso, wenngleich es etwas übertrieben erscheint, wenn Audi dem nun gleich einen „Monoposto-Charakter“ zusprechen will: Es ist und bleibt doch ein ebenso sportlicher wie bequemer und damit langstreckentauglicher Viersitzer. Kein Rennwagen mit Einzelsitz in der Wagenmitte also, auch wenn er in seinen Leistungen gerne so tut als ob und besonders die RS-Version selbst einen erfolgreichen Formel-E-Piloten wie Lucas di Grassi zu lobenden Worten veranlasst hat.

Nachhaltigkeit aus 119 Kunststoffflaschen

Immerhin sitzen Fahrer und Beifahrer sportlich-tief, fernab jeder SUV-Überhöhung, wahlweise mit 8-, 14- oder 18-facher Verstellmöglichkeit ihrer Sitze. In einigen Ausstattungsvarianten sind diese sogar ökologisch korrekt mit Bezügen versehen, bei denen pro Sitzgruppe Material von 119 Kunststoffflaschen sowie Webereiabfälle mitverarbeitet wurden – alternativ zu dem auch lieferbaren, doch bei Vegetariern und Veganern womöglich verpönten Leder.

Dem Innenraum des e-tron GT spricht Audi sogar "Monoposto-Charakter" zu.
Dem Innenraum des e-tron GT spricht Audi sogar "Monoposto-Charakter" zu.

© Audi AG

Im Fond erweist sich der e-tron GT ebenfalls als angenehm geräumig. Für lang geratene Menschen besteht keine Gefahr, oben anzustoßen. Ja, sie müssen nicht mal, trotz der im Wagenboden platzierten Batteriezellen, die Knie anziehen: Vor ihren Sitzen hat man sich diese Zellen gespart und so, wie es heißt, eine „Fuß-Garage“ geschaffen.

Mit Singleframe und Aero-Blades

Doch so ein Elektro-Renner muss nicht nur gut aussehen, sondern auch, schon der Reichweite wegen, unter dem sich ihm entgegenstemmenden Fahrtwind durchflutschen, als wäre er kaum vorhanden. Designer und Aerodynamiker haben da Hand in Hand gearbeitet, erreichten so einen Cw-Wert von 0,24. Man sieht es dem Wagen an vielen Details an: Die Schlitze etwa seitlich der Singleframe-Maske, die ihr Pendant in Schlitzen vor den Vordertüren finden und einen verwirbelungsfreien Luftstrom durch die vorderen Radhäuser hindurch erreichen sollen, bei einigen Felgentypen unterstützt durch so genannte „Aero-Blades“, die die Räder noch windschlüpfriger machen. Oder die je nach geruhsamer oder hitziger Fahrweise geschlossenen oder geöffneten Lufteinlässe in der Singleframe-Maske, der zweifach ausfahrbare Heckspoiler, der vollverkleidete Unterboden anstelle des dort gewohnten Metalllabyrinths oder das statt der serienmäßigen Glasversion auch mögliche Carbondach. Mit ihm bleibt einem der Blick in den Himmel zwar verschlossen, aber es ist zwölf Kilo leichter. Das bringt schon wieder ein paar Kilometer mehr.

Mit Schwung in die Kurve. Der e-tron GT ist dafür gut gerüstet.
Mit Schwung in die Kurve. Der e-tron GT ist dafür gut gerüstet.

© Audi AG

Maximal soll eine Batterieladung 488 Kilometer weit reichen, auch dank des je nach Fahrsituation möglichen und vom „prädiktiven Effizienzassistenten“ geregelten antriebslosen Segelns und der zweistufigen Rekuperation, der Umwandlung von kinetischer in elektrische, der Batterie zugeführte Energie etwa beim Bremsen. Und das dürfte auch hinkommen, so geruhsam, wie es heute bei der Fahrt entlang des Elbdeichs, wo oft ein Dorf bruchlos in das nächste übergeht, nun mal nur möglich ist. Zumal die überraschend wärmende Februarsonne den Betrieb der Heizung überflüssig macht. Obwohl die serienmäßige Wärmepumpe – auch in einem E-Fahrzeug entsteht thermische Energie – „den Reichweitenverlust, den die elektrische Klimatisierung verursacht, vor allem im Winter deutlich senken“ könne, wie Audi verspricht.

Extraschub für 2,5 Sekunden

Aber mit der Kraft aus den beiden E-Motoren vorn und hinten – 476 PS beim GT quattro, 598 PS bei der RS-Version und mit Overboost für 2,5 Sekunden noch einen Extraschub mehr – will man ja nicht nur cruisen, sondern auch mal Tempo machen. Wie gut das mit der Sport-Version geht, hatte Audi im Herbst 2020 auf Rhodos bei einer ersten Präsentation des noch als Erlkönig getarnten Wagens überzeugend demonstriert. Dass der etwas moderatere GT quattro dem kaum nachsteht, darf man glauben, auch wenn es auf solch einer ländlichen, strikt tempolimitierten Elbchaussee kaum zu erfahren ist. Ohnehin ist auch der Testwagen wie die später durch Hamburg gesteuerte RS-Version mit dem Dynamikpaket plus ausgestattet, verfügt also über Allradlenkung, elektromechanische Servolenkung, das „adaptive air suspension“-System mit Dreikammer-Luftfedern und geregelter Dämpfung, Allrad-Antrieb mit geregelter Hinterachsdifferentialsperre und den eigens entwickelten e-tron-Sportsound. Alles technische Errungenschaften, die man auf Dorfstraßen hinterm Deich eher selten braucht, die sich aber bei beherzterem Fahren auf dafür geeigneten Pisten als äußerst bedienungsfreundlich und schon um der Sicherheit halber als zweckmäßig erweisen.
Obwohl bereits das optionale e-tron-Soundsystem mit seinen je zwei Außen- und Innenlautsprechern in jedem Kaff Aufsehen erregen dürfte, besonders in dem auch das Klangbild beeinflussenden Fahrmodus „dynamic“. Der Wagen kommt auf leisen Sohlen angeschlichen – und röhrt am Ortsausgang davon, als hätte er Super Plus getankt.

Technische Details
Der Gran Turismo Audi e-tron GT ist das erste reine Elektroauto des Herstellers, das in Deutschland entsteht. Es baut auf der Plattform des Porsche Taycan auf und wird wie der Supersportwagen R8 in den Audi Böllinger Höfen am Standort Neckarsulm gebaut.

Abmessungen:
4,99 m (L), 1,96 m (B), 1,41 m (H), 2,90 m (Radstand)

Gepäckraum:
Heck 405 Liter/366 Liter beim RS-Modell; Front 85 Liter

Antrieb:
Zwei Elektromotoren
e-tron GT quattro: 476 PS/im Overboost 530 PS, max. Drehmoment 630 Nm, Höchstgeschwindigkeit 245 km/h, von 0 auf 100 in 4,1 Sekunden, Stromverbrauch kombiniert 19,6 - 18,8 kWh/100 km (NEFZ)

RS e-tron GT: 598 PS/im Overboost 646 PS, max. Drehmoment 830 Nm, Höchstgeschwindigkeit 250 km/h, von 0 auf 100 in 3,3 Sekunden, Stromverbrauch 20,2 - 19,3 kWh/100 km (NEFZ)

Batterie:
93 kWh (brutto), 85 kWh (netto). Es gibt zwei Ladeanschlüsse für Wechselstrom (AC) und einen für Gleichstrom (DC). Eine leere Batterie ist mit Wechselstrom bei einer Leistung von 11 kW über Nacht geladen. Mit Gleichstrom ist bis zu 270 kW Ladeleistung möglich, verfügbar etwa im europäischen Schnellstraßennetz des Anbieters Ionity. In gut fünf Minuten ist dort das Nachladen von Energie für bis zu 100 Kilometer Strecke möglich, das Laden von 5 auf 80 Prozent Batterieleistung dauert unter Idealbedingungen 22,5 Minuten.

Preis:
e-tron GT quattro ab 99.800 Euro; RS e-tron GT ab 138.200 Euro. Beide Modelle befinden sich in Europa im Vorverkauf, können also bestellt werden. Die Auslieferung der ersten Fahrzeuge ist für Anfang Mai geplant.

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