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Einsatzkräfte der Polizei in der Rigaer Straße.

© Paul Zinken/dpa

Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz: Wurde Anis Amri aus politischen Gründen nicht observiert?

Die Polizei soll sich auf die Rigaer Straße konzentriert und deswegen die Überwachung von Amri vernachlässigt haben. Ein aktueller Bericht erregt Widerspruch.

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Es könnte so einfach sein. Wenn Schuldige dafür benannt werden könnten, dass der Anschlag von Anis Amri am 19. Dezember 2016 nicht verhindert wurde. Dass die Behörden versagt haben, steht außer Frage.

Inzwischen dreht die Suche nach Verantwortlichen ganz neue Kreise: Jetzt werden sogar Verbindungen zwischen fragwürdigen Entscheidungen der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA) und Drohbriefen eines Polizisten gegen Angehörige der linken Szene in der Rigaer Straße gezogen.

Bislang sind es Vermutungen und Indizien, notiert in einem Bericht der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. In der Polizeiführung provozierte der Bericht einige Aufregung.

Was war geschehen? Anis Amri war als islamistischer Gefährder eingestuft und von Observationsteams des Landeskriminalamtes beschattet worden. Doch am 15. Juni 2016 wurde die Observation trotz Anordnung der Staatsanwaltschaft abgebrochen – stattdessen wurden Personen aus dem Umfeld der linksradikalen Szene in der Rigaer Straße observiert – etwa bei einer Fahrraddemo.

Die „Zeit“ äußert nun den Verdacht, dass dafür eine Beamtin verantwortlich sein soll, die damals in der Auswerteeinheit des für Linksextremismus zuständigen Dezernats LKA52 tätig war. Und der Vorwurf steht im Raum, dass die junge Beamtin P. bestimmt ein Motiv gehabt haben könnte. Denn ihr Lebenspartner hat mit Material aus dem Polizeidatensystem 42 Drohbriefe geschrieben – allerdings erst eineinhalb Jahre später, im Dezember 2017.

Sebastian K. bekam dafür später einen Strafbefehl über eine Geldstrafe in Höhe von 3500 Euro. Seine Partnerin wurden nicht belangt, obwohl auch von ihrem Dienstcomputer Daten zu Personen abgefragt wurde, gegen die kurz danach die Drohbriefe verschickt wurden.

Gab es politischen Druck "von oben"?

Am Ende geht es um die Frage, ob eine für Linksextreme zuständige Staatsschutzbeamtin dafür gesorgt hat, dass Amri nicht mehr observiert wird. Eine Beamtin, die stattdessen Linksradikale aus dem Umfeld des besetzten Hauses in der Rigaer Straße 94 als gefährlicher als sie waren dargestellt haben soll. Möglicherweise, damit sich der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) im Abgeordnetenhaus-Wahlkampf noch mit einer Razzia in dem Haus als knallharter Law-and-Order-Politiker präsentieren kann.

Dass es politischen Druck „von oben“ gegeben haben soll, ist bekannt. Der Vorwurfe, Amris Anschlag könne eine Folge falscher politischer Schwerpunktsetzungen unter Henkel (CDU) gewesen sein, konnte nie ganz entkräftet werden. Aber auch nicht eindeutig belegt werden. Und Belege für das angebliche Motiv der Beamtin P. gibt es nicht, auch nicht für den Zusammenhang mit den späteren Drohbriefen.

Der tatsächliche Einfluss der Beamtin ist fraglich. Sie war damals erst drei Jahre im Dienst, eine einfach Kommissarin. Zwar hat sie Lagebilder und Gefahreneinschätzungen vorgelegt. Doch in den wöchentlichen Runden der Staatsschutzabteilung, in denen entschieden wird, auf wen die wenigen Observationsteams angesetzt werden, hatte sie keine Entscheidungsbefugnis.

Polizei: "Es gibt keine Fokussierung"

Die Vorlagen für die Runden erarbeitet zudem ein anderes Dezernat – das Grundsatzdezernat der Staatsschutzabteilung, kurz LKA51. Und in der Wochenrunde entscheiden keine Kommissare, sondern die Chefs – die Abteilungs- und Dezernatsleiter. „Die Observationskoordination erfolgt regelmäßig und in kurzen Abständen. Es wird das breite Spektrum der Politisch motivierten Kriminalität betrachtet“, erklärte die Polizei auf Anfrage.

„Hierbei gab und gibt es keine Fokussierung auf ausschließlich einen Phänomenbereich, wie Personen des rechts- oder linksextremen Spektrums. Die Priorisierung folgt der fortlaufend aktualisierten Erkenntnislage.“ Vor der Entscheidung, Amri nicht mehr zu observieren, seien bei Chefrunden sowohl islamistische Gefährder und auch Personen des rechtsextremen Spektrums „priorisiert“ worden – die Observationsteams also auf diese Personen angesetzt worden.

Warum Amri nicht mehr observiert wurde, war im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses mehrfach Thema. Beamte des LKA gestanden Fehler ein, LKA-Chef Christof Steiof gab eklatante Fehler im Umgang mit dem Gefährder und späteren Attentäter zu.

Im Juni 2016 war die Beobachtung der linksextremen Szene erste Priorität

Einer der schwerwiegendsten Fehler sei die Einstellung der Observierung von Amri entgegen einer Anordnung der Staatsanwaltschaft gewesen, sagte Steiof 2018 aus. Und selbst wenn eine „Prioritätenentscheidung“ im Umgang mit Amri anders gelaufen wäre, müsse man sich die Frage stellen, was dann anders geworden wäre. „Wahrscheinlich nicht viel, oder gar nichts“, sagte Steiof damals aus.

Ein anderer Zeuge des LKA sagte im Ausschuss aus, dass in der zweiten Junihälfte 2016 das LKA 5 die Beobachtung der linksextremen Szene als erste Priorität bewertet hatte.

Aber was sagt das aus? SPD-Innenpolitiker Frank Zimmermann zufolge ist die Behauptung „aus der Luft gegriffen“, die Entscheidung, die linksextremistische Szene zu beobachten, sei eine Entscheidung gegen die Überwachung von islamistischen Gefährdern gewesen. Einen Zusammenhang könne er nicht erkennen.

Damals im Juni 2016 regierte in Berlin noch Rot-Schwarz. Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux dagegen sieht einen „engen Zusammenhang“. Es habe 2016 eine große Personalnot beim LKA gegeben, deshalb habe man Prioritäten setzten müssen. „Es gab politischen Druck von oben“, meint Lux. Sachliche Anhaltspunkte dafür hat es in den bisher vorliegenden Unterlagen des Untersuchungsausschusses nicht gegeben.

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