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Am Donnerstag wurde das neue Straßenschild mit der Aufschrift "Orazio-Giamblanco-Platz" enthüllt.

© Frank Jansen

Attacke durch Skinheads vor 25 Jahren: Orazio-Giamblanco-Platz in Trebbin eingeweiht

25 Jahre nach dem rassistischen Angriff auf drei Italiener benennt Trebbin einen Platz nach einem der Opfer. Zur Zeremonie kommt sogar die AfD.

Von Frank Jansen

Es ist ein kleiner Parkplatz an der alten, aufgegebenen Feuerwache. Der Verkehr der Durchgangsstraße nach Berlin tost vorbei, der Autolärm nervt. Und doch ist diese Ecke in Trebbin am frühen Donnerstagabend ein besonderer Ort.

Auf den Tag genau 25 Jahre nachdem hier Skinheads drei Italiener überfielen und einem der Opfer, Orazio Giamblanco, eine Baseballkeule gegen den Kopf geschlagen wurde, versammeln sich etwa 40 Menschen zu einer bewegenden Zeremonie.

Vizebürgermeisterin Ina Schulze und der Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung, enthüllen das neue Straßenschild mit der Aufschrift "Orazio-Giamblanco-Platz". Und eine hölzerne Stele mit vier Metallplatten, auf denen eingravierte Sätze an den Angriff vom 30. September 1996 erinnern und die Unantastbarkeit der Würde des Menschen betonen.

Trebbin erlebt einen Moment demonstrativer Menschlichkeit. Ein Vierteljahrhundert nach dem Moment des Schreckens.

"Das war eines der schwärzesten Ereignisse in der Geschichte unserer kleinen Stadt", sagte Ina Schulze. "Wir können das Geschehene nicht zurückdrehen, wir können uns nur entschuldigen, dass so etwas passiert ist und alles daransetzen, dass man aufmerksam beobachtet, dass solche schrecklichen Übergriffe nie wieder passieren".

[25 Jahre Schmerzen: 1996 schlug ein Skinhead Orazio Giamblanco halb tot. Wie es ihm heute geht lesen Sie auf Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen]

Hendrik Bartl, der seit 2008 als parteiloser Stadtverordneter immer wieder auf das Schicksal des am schwersten verletzten Italieners hinweist, sagt am Donnerstagabend: "Herr Orazio Giamblanco hat überlebt. Doch er ist schwerst behindert. Er leidet unter spastischer Lähmung. Er ist auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. Er kann nicht mehr richtig sprechen. Er hat Depressionen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und schwere Probleme mit der Verdauung".

2009 fuhren drei Kommunalpolitiker nach Bielefeld

Bartl, Schulze und einer weiterer Kommunalpolitiker haben gemeinsam mit dem Tagesspiegel Orazio Giamblanco im Jahr 2009 besucht. Die drei fuhren nach Bielefeld, wo der Italiener lebt und von seiner griechischen Lebensgefährtin Angelica Stavropolou und deren Tochter Efthimia Berdes bis an den Rand der Erschöpfung gepflegt wird.

Die Trebbiner kannten die jährlichen Reportagen des Tagesspiegels über das Opfer und waren doch geschockt von der schweren Behinderung des Mannes im Rollstuhl. Und berührt von der Herzlichkeit, mit der sie von Giamblanco und den beiden Frauen empfangen wurden. Obwohl Trebbin lange den rechtsextremen Angriff verdrängt hatte. Das ist, nun auch zwölf Jahre nach dem Besuch in Bielefeld, endgültig vorbei.

Die Trebbiner Vizebürgermeisterin Ina Schulze und der Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung, Hendrik Bartl.
Die Trebbiner Vizebürgermeisterin Ina Schulze und der Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung, Hendrik Bartl.

© Frank Jansen

Als wolle die Stadt sich selbst ermahnen, wird auf den Metallplatten an der Stele auch aus der Verfassung des Landes Brandenburg zitiert. "Niemand darf wegen der Abstammung, Nationalität, Sprache, des Geschlechts, der sexuellen Identität, sozialen Herkunft oder Stellung, einer Behinderung, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder aus rassistischen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden", steht in Artikel 12. Die Botschaft kommt am Donnerstagabend womöglich sogar bei einem Politiker an, der sich in einem zweifelhaften Milieu bewegt.

Peter Haase sitzt für die AfD im Trebbiner Stadtparlament. Und steht jetzt auf dem Orazio-Giamblanco-Platz. "Ist doch gut, dass es so gemacht wurde", sagt er dem Tagesspiegel. Wenn man überlege, dass Orazio Giamblanco so leiden müsse, "ist doch schlimm".

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Wie passt das zur Hetze vieler AfD-Mitglieder? "Rassismus finde ich furchtbar", sagt Haase. Von Björn Höcke, sagt er, halte er nichts. Die Trebbiner AfD sei "die liberale Ecke". Bei der Sitzung des Stadtparlaments im Dezember 2020, als es um die Benennung des Platzes nach Orazio Giamblanco ging, stimmten Haase und der zweite AfD-Verordnete mit der großen Mehrheit dafür.

Ein Signal für Brandenburg

Trebbin hat sich seit 1996 offenkundig verändert. Ein Signal für Brandenburg, das noch heute von rechter Gewalt und Alltagsrassismus hart getroffen wird. Trebbin ist hingegen der zweite Ort, an dem unübersehbar an ein Opfer grassierender Menschenfeindlichkeit erinnert wird. Im nahen Blankenfelde-Mahlow wurde im Juni eine Brücke nach Noël Martin benannt.

Auch er war 25 Jahre zuvor bei einem Angriff von Rechtsextremisten lebensgefährlich verletzt worden. Martin war danach vom Hals abwärts gelähmt. Im Juli 2020 starb er, mit 60 Jahren. Blankenfelde-Mahlow ist sich wie Trebbin des dunklen Kapitels bewusst.

Orazio Giamblanco ist inzwischen 80 Jahre alt. Der Tagesspiegel hat ihn im April 1997 erstmals besucht und seitdem Jahr für Jahr. Leserinnen und Leser spenden regelmäßig für den Italiener, die Lebensgefährtin und deren Tochter.

Orazio Giamblanco lebt bis heute mit den schweren Folgen seiner Verletzungen.
Orazio Giamblanco lebt bis heute mit den schweren Folgen seiner Verletzungen.

© Frank Jansen

Die Stadtverwaltung Trebbin sammelt auch schon lange. Ina Schulze spricht am Donnerstagabend von mehr als 45.000 Euro, die bis Februar 2021 eingingen. Außerdem werde eine Spende der "Omas gegen Rechts" erwartet, einer antirassistischen Initiative älterer und hartnäckiger Frauen.

Dank und auch eine Bitte an die Zeitung

Die kleine Zeremonie am Orazio-Giamblanco-Platz kündet vom Lernen einer Stadt im Kampf gegen Rechts. In Trebbin ist da auch ein Mechanismus zu beobachten, der in Zeiten weit verbreiteter Pöbeleien gegen die "Lügenpresse" selten sein dürfte.

Ina Schulze und Hendrik Bartl betonen in ihren Ansprachen, dass die Serie der Reportagen des Tagesspiegels über den Zustand von Orazio Giamblanco und der beiden Frauen gewirkt haben. "Wer weiß, ob wir heute, nach 25 Jahren dem rechtsextremen und rassistischen Anschlag ohne die jährlichen Berichterstattungen gedenken würden", sagt Bartl.

Auch die nach Trebbin gekommene Landrätin des Kreises Teltow-Fläming, Kornelia Wehlan, und der SPD-Landtagsabgeordnete Helmut Barthel sprechen Dank über die Berichterstattung aus. Und äußern die Bitte, die Reportagen fortzusetzen.

Der Haupttäter vom 30. September 1996, Jan W., ist Donnerstagabend nicht gekommen. Was er darüber denkt, dass am Ort seiner Tat jetzt ein Straßenschild mit dem Namen des Opfers steht, bleibt offen.

Jan W., der für den Angriffe acht Jahre im Gefängnis saß und mit der Naziszene brach, ist heute ein bürgerlicher Familienvater. Mit dem Tagesspiegel spricht er nicht mehr, seid über seine Sympathie für die AfD berichtet wurde.

Als der Kontakt noch bestand, erzählte Jan W., wie schwer die Jahrestage der Tat für ihn sind. Der 25., so ist zu vermuten, dürfte nun auch nicht einfach sein. Für Orazio Giamblanco allerdings ist es ein weiterer Tag einer endlosen Katastrophe. Es geht ihm schlecht. So schlecht, dass er und die beiden Frauen die Idee verwarfen, zur Einweihung des Orazio-Giamblanco-Platzes nach Trebbin zu kommen.

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