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Am 4. November 1989 kamen rund eine Million DDR-Bürger - so damalige Schätzungen - zu einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz zusammen. Die Demonstration war genehmigt und wurde im DDR-Fernsehen übertragen.

© DPA

„Asterix ins Politbüro“: Am 4. November 1989 regierte auf dem Alex der Wortwitz

Es war die größte freie Demonstration der DDR: Ein Rückblick auf die kreativen Sprüche und Parolen vor 30 Jahren auf dem Alexanderplatz.

Der Himmel war an jenem 4. November 1989 über Berlin wolkenverhangen, doch plötzlich brach die Sonne durch. Eine kaum überschaubare Menschenmenge hatte sich auf dem Alexanderplatz versammelt, rief gerade noch Parolen wie „Wir sind das Volk“ und schwenkte nun auf die willkommene Himmelserscheinung um, skandierte plötzlich „Rei-se-wet-ter, Rei-se-wet-ter“.

Das war natürlich alles andere als touristisch gemeint, denn wenn vor 30 Jahren in der DDR von Reisen die Rede war, war meistens die Reise ohne Wiederkehr, die Ausreise gemeint. Gerade bei einer Kundgebung wie dieser, zu der sich rund eine Million Menschen zusammengefunden hatten – nach damaligen Schätzungen.

Nun gut, die Hälfte dürfte realistischer gewesen sein, und das war ja immer noch ein super Erfolg, verglichen mit den „20.000 bis 30.000 Personen“, die der Schauspieler Wolfgang Holz vom Berliner Ensemble angegeben hatte, als er am 18. Oktober 1990 eine Kundgebung für die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit anmeldete.

Bekanntlich wurde es dann doch die größte unabhängige Demonstration, die je in der DDR stattgefunden hat, mit 23 Rednern wie Christa Wolf, Stefan Heym, Christoph Hein oder Heiner Müller, aber auch Günter Schabowski und Markus Wolf. Und mit unzähligen Transparenten, Schildern, Spruchbändern – eine flatternde Parade der politischen Fantasie.

Denn dieser 4. November 1989 war nicht nur - man sehe sich die Bilder von damals an, studiere die Sprüche, lese Berichte von Zeitzeugen – eine klassische politische Protestveranstaltung, sondern ein Happening, eine Veranstaltung, bei dem sich das Volk die sich ihm eröffnende Freiheit, die erhoffte, ungeahnte Möglichkeiten bietende Zukunft und nicht zuletzt sich selbst feierte.

„Privilegien für alle“ und „Prima Egon, Wende gehst“

Nach Hawaii reisen? Dafür dürfte fast allen der Demonstranten das nötige Kleingeld gefehlt haben. Aber „Visafrei bis Hawaii“, das konnte man vorsorglich schon mal fordern, und „Pässe für alle“ sowieso. Oder besser: „Privilegien für alle“. Klar, das berühmteste Demo-Schild des 4. November ist die Karikatur des grinsenden Egon Krenz mit der Zeile „Großmutter, warum hast du so große Zähne“.

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Aber die anderen Sprüche und Losungen konnten sich ebenfalls sehen lassen. Das reichte von holperigen Reimen wie „Keine Fußtritte mehr – Macht des Volkes muss her“ bis zu eindeutigen Forderungen wie „Freie Wahlen für mündige Bürger“ oder „Schluss mit der Diktatur der SED“.

Ganz im Ernst. Eine der Parolen der Demo heute vor 30 Jahren.
Ganz im Ernst. Eine der Parolen der Demo heute vor 30 Jahren.

© imago/Rolf Zöllner

Vorschläge zur Umnutzung staatlich genutzter Immobilien waren zu lesen („Wann wird Wandlitz Feudalmuseum?“) oder ein Gruß dem sozialistischen Bruderland entboten: „Danke Ungarn!“ Noch immer wurde auch die „Internationale“, gesungen, aber ebenso inbrünstig der alte Schunkelschlager „So ein Tag, so wunderschön wie heute“.

Die Politprominenz musste auch Derberes erdulden, etwa ein Betttuch im Querformat: „Unsre Herzenssache ist, dass sich Egon Krenz verpisst!“ Dagegen nahmen sich „Glasnost statt Phrasnost“, „Glasnost und nicht Süßmost“, „Volksauge, sei wachsam“, „Prima Egon, Wende gehst“, „Freiheit, Gleichheit, Ehrlichkeit“ oder „Die Partei hat immer rechter, uns wird immer schlechter“ geradezu moderat aus.

Sogar ein gallischer Krieger mit Superkräften wurde als politische Alternative empfohlen: „Asterix ins Politbüro“. Auch für die Volksvertretung gab es Vorschläge: „Macht die Volkskammer zum Krenz-Kontrollpunkt“. Und ein Spruch des ehemals großen Vorsitzenden Erich Honecker erlebte seine Wiedergeburt, nur leicht verändert: „Die große Wende in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf“.

Schließlich wurde sogar der ungebremste Aderlass durch Bürger, die der DDR den Rücken kehrten, zum drohenden Slogan umgemünzt: „Wir wollen endlich Taten sehen, sonst sagen wir auf Wiedersehen.“

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