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Bitte eine Weiße mit Schuss. In diesem Falle mit Waldmeister. Der Umsatz steigt.

© dpa/picture-alliance

Arche des Geschmacks: Berliner Weiße - Das erste deutsche Bier mit regionalem Kulturerbe

Als Erfrischungsgetränk ist sie wieder gefragt: die Berliner Weiße. Jetzt wurde sie als erstes Bier nachhaltig geehrt. Das einstige Traditionsgetränk ist zur bunten Bierbrause verkommen. Aber Kleinbrauer beleben nun das Original wieder.

Spritzig, leicht säuerlich und mit knapp drei Prozent Alkohol selbst bei knallender Sonne gefahrlos konsumierbar – das ist Berliner Weiße. Das perfekte Sommerbier. Jetzt wurde sie im beginnenden Winter von der Slow Food Stiftung für Biodiversität in die "Arche des Geschmacks" aufgenommen. Die Weiße ist seit Freitag damit das erste deutsche Bier, das den Status eines regionalen kulturellen Erbes besitzt.

Doch was als Traditionsmarke daherkommt, hat mit der ursprünglichen Berliner Weiße, welche einst von Napoleons Soldaten als „Champagner des Nordens“ gerühmt wurde, kaum noch etwas zu tun. Das gilt für Rezeptur und Geschmack wie auch für die Darreichung mit Sirup und Strohhalm.

Andreas Bogk setzt auf traditionelle Brautechnik und würde seiner Berliner Weiße nie etwas Buntes dazugießen.
Andreas Bogk setzt auf traditionelle Brautechnik und würde seiner Berliner Weiße nie etwas Buntes dazugießen.

© Kai-Uwe Heinrich

„Bis vor ein paar Jahren war die echte Weiße in Berlin faktisch ausgestorben“, erzählte Andreas Bogk vom Chaos Computer Club schon im Sommer. Der Berliner Hacker und IT-Sicherheitsexperte versuchte sich seit 2010 hobbymäßig als Brauer und baute in einem Kreuzberger Hinterhofkeller seine eigene Mini-Brauerei mit zwei kleinen Gärkesseln auf. Als er den Niedergang der Berliner Weiße erkannte, beschloss er, das Traditionsgetränk wieder zu beleben – und da ist er nicht der Einzige.

Das Bier gibt es schon seit dem 16. Jahrhundert

Doch was ist die echte Berliner Weiße? Ausgeschenkt wurde das Bier vermutlich schon im 16. Jahrhundert, die erste urkundliche Erwähnung des „Berliner Weizenbiers“ fällt auf 1680. Schnell avancierte es zum Lieblingsbier der Berliner, um 1800 herum gab es rund 700 Weißbierlokale in der Stadt. Getrunken wurde es aus drei Pfund schweren Zwei-Liter-Gläsern in Wannen- oder Zylinderform, die mit beiden Händen gehoben werden mussten. Das heute bekannte Halbkugel-Glas mit Stiel ist erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitet.

Seinen charakteristischen Geschmack erhält die Berliner Weiße unter anderem durch Milchsäurebakterien, die für die Säuerlichkeit sorgen. Die Weiße wird dabei nicht in Fässer abgefüllt, sondern reift durch Flaschengärung. Sprich: Das Bier kommt „lebendig“ in die Flasche und wird wie Wein erst mal stehen gelassen. Ganz entscheidend für den Geschmack ist eine spezielle Hefe, die Brettanomyces: „Das macht die fruchtigen Aromen“, erläutert Bogk, der 2012 auf Ebay eine noch verschlossene Weißbierflasche des VEB Getränkekombinats Berlin aus den 80er Jahren ersteigerte. Aus dieser gewann er seinen Brettanomyces-Stamm, mit dem er seitdem Weiße nach traditionellem Vorbild braut. Genau diese Hefe fehle jedoch in der Berliner Weiße von Kindl, die heutzutage in den Biergärten getrunken wird, sagt Bogk.

Es gab mal 100 Weiße-Brauereien

Die zur Radeberger-Gruppe gehörige Kindl Brauerei ist der einzige Anbieter, der noch Berliner Weiße in großen Mengen produziert – kein Vergleich zu den über 100 Weiße-Brauereien, die vor circa 100 Jahren in Berlin existierten. Das Fehlen der Brettanomyces wirke sich auf den Geschmack aus, klagt Bogk: „Diese Weiße schmeckt für mich wie saures Pils“, findet Bogk. Auch Flaschengärung gebe es bei Kindl heute nicht mehr, das Bier reife in Gär- und Lagertanks.

„Die letzte Berliner Weiße nach traditioneller Herstellung wurde vermutlich 1984 gebraut“, sagt Oliver Lemke, Leiter des Brauhauses Lemke. Den ersten Anlauf zur Rettung der Berliner Weiße hatte er bereits 1999 gestartet, aber „der Markt war noch nicht reif dafür“. Nun, da aus den USA der Trend zu Kleinstbrauereien buchstäblich nach Deutschland herübergeschwappt ist, will Lemke ab 2015 wieder echte Berliner Weiße produzieren – mit den richtigen Hefen und ohne Sirup und Strohhalme. „Ich habe nichts vom Bier, wenn ich da Sirup reintue“, meint Lemke.

Tatsächlich ist das Hinzufügen von Waldmeister- oder Himbeersirup ein Marketing-Gag der 1920er Jahre, den Strohhalm gibt es laut Bogk erst seit den 70er Jahren. Doch pur wird die Weiße heute kaum noch getrunken: „Es gibt ab und zu ein paar Gäste, die wollen das Bier ohne Sirup“, sagt Dominik Ries vom Traditions-Biergarten Schleusenkrug, wo an Sommertagen etwa 20 bis 25 Flaschen Berliner Weiße ausgeschenkt werden. „Es wird mehr von Touristen getrunken“, sagt Ries, insgesamt sei die Nachfrage in den letzten Jahren leicht gestiegen.

Wie sauer Bier

Auch bei Kindl wachse der Absatz „kontinuierlich“, sagt Radeberger-Sprecher Georg Sladek, ohne genaue Zahlen zu nennen. Andras Bogk produzierte im Jahr 2013 rund 700 Liter, die er per Hand abfüllte und in den Getränkeläden „Ambrosetti“, „Berlin Bier Shop“, „Bier Spezialitäten Berlin“ und „Hopfen & Malz“ verkauft. „Das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Bogk. „Wenn ich nach Übersee exportieren würde, könnte ich mehrere Container voll machen – die Nachfrage dort ist unglaublich.“ In Amerika gebe es einen „Boom an Sauerbieren“, bestätigt Lemke: „Die sind ganz wild auf Berliner Weiße – die Welt wartet auf eine richtige Weiße ohne Sirup!“

Bogk ist mit seiner Brauerei mittlerweile in „Emils Biergarten“ in der ehemaligen Willner-Brauerei gezogen, wo bis zur Wende ebenfalls Weiße gebraut wurde. Ab 2015 können dann auch Gäste des Biergartens die originale Weiße bestellen. Neben Bogk gibt es derzeit in Berlin nur noch die Brewbaker-Brauerei, die Berliner Weiße herstellt – nur einmal im Jahr, aber dafür mit Brettanomyces. In Potsdam produzieren die Braumanufaktur und die Meierei Potsdam Berliner Weiße ohne Sirup, in der Meierei sogar mit Brettanomyces. Da es sich jedoch um eine Regionalmarke handelt, darf nur in Berlin gebraute Berliner Weiße auch so heißen – die Braumanufaktur nennt ihr Erzeugnis daher „Potsdamer Weiße“.

„Die Craftbrauer in den USA versuchen sich ebenfalls an der Berliner Weiße, aber sie machen noch vieles falsch“, sagt Bogk. Dennoch ist es deren Verdienst, das nun endlich wieder die Vielfalt der europäischen Bierlandschaft wächst: „Die Amerikaner haben nach dem Brauereisterben der letzten Jahrzehnte unglaublich viel von dem europäischen Wissen gerettet. Gewisse Hefen kriegt man nur noch da.“

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