zum Hauptinhalt
Oktoberfeststimmung das ganze Jahr, das verspricht das Hofbräuhaus.

© picture alliance / Felix Hörhage

Arbeitsbedingungen in der Corona-Pandemie: Das Maß ist voll im „Hofbräu Berlin“

Erst in die Kurzarbeit, dann gekündigt: Eine Kellnerin berichtet über die Zustände im Wirtshaus „Hofbräu Berlin“ in Mitte.

Im „Hofbräu Berlin“ geht’s hoch her. „Bayerische Lebenskultur im Herzen der Hauptstadt“ – so beschreiben die Betreiber des Wirtshauses am Alexanderplatz die Atmosphäre. 

Dazu gibt’s deftige Speisen, das original „Hofbräu“-Bier aus München, Kellner und Kellnerinnen tragen Tracht und die passende Live-Musik bringen „Oktoberfeststimmung 365 Tage im Jahr pur“, wie es auf der Website heißt.

Oans, zwoa, g’suffa nonstop.

Doch was für Touristen und Berliner Gäste nach bierseliger Gemütlichkeit klingt, funktionierte schon vor der Coronakrise offenbar nur unter Arbeitsbedingungen, die manche Beschäftigten als unzumutbar bezeichnen: Schichten von 13 bis 15 Stunden, teilweise ohne Pausen, keine Zuschläge, die Verpflichtung zur Trinkgeld-Abgabe, kein Schutz gegen den andauernden zu hohen Lärmpegel, und Zechpreller mussten jahrelang aus eigener Tasche bezahlt werden.

Das berichtet die langjährige Mitarbeiterin Maria Messner (*Name geändert) dem Tagesspiegel. Mit der Coronakrise kamen nun die wirtschaftlich bedrohlichen Folgen: Nach einem Monat Kurzarbeit wurde Messner gekündigt – ebenso wie zehn weiteren Kollegen und Kolleginnen. „Und das, obwohl uns bei Einführung der Kurzarbeit Versprechungen gemacht worden sind, man müsse sich keine Sorgen machen“, sagt sie.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Gastronomie-Themen. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Mit Ausnahme von drei Mitarbeitern sei nur Beschäftigten gekündigt worden, die jahrelang in dem Betrieb tätig waren, viele hätten Kinder. „Wir hatten sowieso extrem schwere Arbeitsbedingungen, jetzt sind wir die Verlierer der Krise“, sagt die Angestellte.

Das Hofbräu Berlin in der Karl-Liebknecht-Straße am Alex.
Das Hofbräu Berlin in der Karl-Liebknecht-Straße am Alex.

© imago stock&people

„Der Betrieb ist uns seit längerem durch Beschwerden dieser Art bekannt“, bestätigt Sebastian Riesner, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Auch, dass es zu Kündigungen während der Kurzarbeit durch die Coronakrise gekommen ist. „Wir raten allen Gekündigten, sich rechtlich zur Wehr zu setzen.“

Zwar sei es nicht verboten, während der Kurzarbeit betriebsbedingt zu kündigen, doch Riesner weist darauf hin, „dass eine Kündigung in Kurzarbeit das Instrument Kurzarbeitergeld konterkariert“.

Denn: Beschäftigte in Kurzarbeit bekommen 60 Prozent ihres Gehalts (mit Kind 67 Prozent) vom Staat und arbeiten entsprechend weniger oder – wie während der Komplettschließung – gar nicht.

Somit soll dem Arbeitgeber geholfen werden, die Jobs zu erhalten. Die Leute seien doppelt bestraft: Erst hatten sie in der Kurzarbeit nur 60 Prozent ihres Nettolohns bekommen und seien so vom Arbeitgeber warm gehalten worden, dann folgte die Kündigung, und sie stehen ohne Job da „mit extrem schlechter Perspektive in dieser Zeit, schnell etwas Neues zu finden“.

Eine Bedienung in Vollzeit erhält 1100 Euro - plus Trinkgeld

Der „Hofbräu-Fall“ ist laut Riesner symptomatisch für das Gastgewerbe. „Das ist nur der Anfang, es wird noch schlimmer kommen“, sagt er voraus. Die Branche sei eine, in der traditionell wenig Interessenvertretungen oder Betriebsräte vorhanden sind. Auch beim Hofbräu Berlin habe es in den vergangenen Jahren Bestrebungen von einzelnen aus der Belegschaft gegeben, einen Betriebsrat zu gründen.

Maria Meier bestätigt dies. „Man hat sich dann mit dem Arbeitgeber auf eine Interessenvertretung geeinigt.“ Diese habe immerhin bewirkt, dass der Mindestlohn pro Stunde von den gesetzlichen 9,35 auf 9,50 Euro pro Stunde aufgestockt worden sei.

Eine Bedienung, die im Hofbräu in Vollzeit arbeitet und pro Station – das sind Tische mit insgesamt 80 bis 100 Personen – bedient, erhält laut Meier 1100 Euro brutto. Plus Trinkgeld. „Wir mussten aber je nach Umsatz am Abend gestaffelt Trinkgeld abgeben. Ab 2000 Euro Umsatz waren das 20 Euro pro Schicht.“ Die Begründung des Arbeitgebers sei gewesen, dass die Leute in der Küche oder an der Bar keine Trinkgelder bekommen und man die Kollegen somit unterstütze. NGG-Geschäftsführer Riesner hält dagegen: „Das Trinkgeld geht den Arbeitgeber nichts an. Wir halten diese Abgabe arbeitsrechtlich für unzulässig und steuerrechtlich für äußerst bedenklich.“

Früher habe sie sogar Zechprellern hinterher laufen müssen

Immerhin habe die Interessenvertretung damals bewirken können, dass Zechpreller nicht mehr vom eigenen Gehalt bezahlt werden müssen. Maria Messner erzählt, dass es in der riesigen, vollbesetzen Wirtshaushalle häufig vorkam, dass ganze Gruppen am Tisch gegangen sind, ohne zu zahlen. Die Bedienungen seien dann selbst hinter den Flüchtenden her gerannt, Hilfe von der Security habe es nicht gegeben, „weil die sich nicht von ihrem Ort wegbewegen durften“, schildert Meier. „Bis vor zwei Jahren mussten wir das vom eigenen Lohn zahlen. Das waren bei mir 500 Euro. Manchmal konnte mit Hilfe von Restaurantrabbattierung daraus 350 Euro gemacht werden“, schildert sie.

Das sei dann abgeschafft worden, weil der wirtschaftliche Schaden der Kellner zu groß ist und eigentlich über die Versicherung abgedeckt werden könne. „Das hätte man auch gleich ändern können“, sagt Riesner. „In einem Tarifvertrag sind diese Dinge geregelt. Aber dieser Betrieb ist nicht tarifgebunden.“

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Der aktuelle Geschäftsführer des „Hofbräu Berlin“, Björn Schwarz, bestätigt dem Tagesspiegel, dass elf Mitarbeitern gekündigt wurde. Aber es sei niemandem etwas versprochen worden, betont er.

Die „grundsätzliche Stornierungswelle von 100 Prozent“ habe dazu geführt. Er habe aufgrund der wirtschaftlichen Lage handeln müssen. Die Touristen seien weggeblieben, aber auch die Konzert- und Veranstaltungsvermietungen.

Vor allem das „Cruise and Lunch“-Geschäft, wo Reisende von den Kreuzfahrtschiffen aus Warnemünde für einen zünftigen Mittagstisch im Hofbräu nach Berlin gebracht wurden, hätte zu Buche geschlagen. Auch nach der Wiedereröffnung mache der Betrieb nur ein Zwanzigstel des Umsatzes. „Ich beschäftige zwei statt 25 Kellner am Abend“ und sagt, dass er nicht wisse, ob der Laden es wirtschaftlich schafft. Die Lage sei ernüchternd.

Der Geschäftsführer sagt, die Arbeitszeiten werden genau dokumentiert

Schwarz bestreitet, dass es Schichten von bis zu 15 Stunden nicht gebe. Über eine elektronische Arbeitszeiterfassung sei alles dokumentiert. „Wir haben 110 Mitarbeiter, wir sind auch im Fokus der Behörden, dass ist alles nachprüfbar“, sagt er.

Allenfalls beim „Wies’n-Anstich oder wenn es eine Konzertsituation gibt, kann es auch mal eventuell Ausnahmen gegeben haben“.

Dass Trinkgelder an Bar- und Küchenkollegen abgegeben werden, sei mit der Interessenvertretung vereinbart, zudem „gibt es einen Maximalbetrag, und es geht nicht willkürlich in die Höhe“.

Und was die Lärmbelästigung betrifft, die die ehemalige Angestellte beklagt, sagt der Geschäftsführer: „Jeder, der hier herkommt, weiß, dass wir eine Unterhaltungsgastronomie sind und live Musik bieten.“ Die Musikfirma halte sich aber an die angegebene Dezibel-Beschränkung. Zudem hätten alle Mitarbeiter, denen gekündigt wurde, einen Güte-Termin vor Gericht, damit sie eine Abfindung erhalten.

Maria Messner kann mit den Erklärungen des Geschäftsführers nicht viel anfangen. Sie sagt, sie habe es viel zu lange in dem Betrieb mitgemacht.

Auch, weil ihr die Kollegen, die nett waren, am Herzen lagen. Aber die Bedingungen seien unmöglich gewesen. NGG-Chef Riesner stimmt dem zu: „In dieser Branche wird mit den Mitarbeitern leider so umgegangen. Woanders würde man das nicht wagen.“

Zur Startseite