zum Hauptinhalt

Arachnophobie: Pfui, Spinne!

Der Herbst ist da, und die Krabbeltiere huschen wieder ins Haus. Manche Menschen finden’s nur eklig, viele aber haben richtig Angst. Arachnophobie nennt sich das – und die ist behandelbar.

Wenn es draußen kühler wird und drinnen wärmer, dann kommt wieder unerwünschter Besuch ins Haus. Glück haben nur die, die in oberen Stockwerken wohnen. Das ist nämlich meist zu weit. Die Jahreszeit, in der Spinnen sich einen gemütlichen Platz zum Überwintern suchen, hat begonnen. Und Biologen behaupten: Ein Haus ohne Spinnen, das gibt es nicht.

Für die meisten Menschen ist das schon keine schöne Vorstellung, für manche ist es aber ein Grund, Herzrasen zu bekommen. Der Blutdruck steigt, Schweiß rinnt, der Atem geht stoßweise, kurz: Panik bricht aus. Das sind jene, die an einer Spinnenphobie leiden. „Der Mensch tut alles, um diesem Tier nicht nahezukommen“, erklärt Alfons Hamm, Professor für klinische Psychologie an der Universität Greifswald und Vorreiter der Arachnophobietherapie in Deutschland. „Dabei ist der Leidensdruck so groß, dass sich das tägliche Leben einschränkt.“ So wie bei Patienten, die nächtelang nicht im eigenen Bett schlafen, weil dort eine Spinne an der Wand sitzt.

Betroffene sind sich durchaus bewusst, dass es sich um eine irrationale Furcht handelt. Und gerade das macht es nicht leichter, denn „den meisten ist ihr Verhalten extrem peinlich vor anderen Menschen“, erklärt Hamm. Das erzeugt weiteres Leid, verstärkt die Angst vor der Angst – wie bei einer 13-jährigen Patientin, die sich vor dem Biologieunterricht fürchtete, weil sie beim Bild einer Spinne im Biobuch immer anfing zu weinen, – und es führt außerdem dazu, dass die Betroffenen sich selten zum Arzt trauen, aus Angst, sich lächerlich zu machen.

„Zehn Prozent aller Deutschen leiden an einer Arachnophobie“, sagt Alfons Hamm. Zumeist handelt es sich um „erlerntes“ Verhalten, also etwas, das der Mensch aufschnappt, und nicht etwas, das ihm angeboren ist. Experten halten eine gewisse Scheu vor den Achtbeinern jedoch auch für genetisch bedingt. „Junge Affen in der Wildnis fürchten sich zum Beispiel auch vor Spinnen“, sagt Alfons Hamm. Diese genetische Komponente macht Sinn, weil es gefährlich wäre, sich wahllos Insekten in den Mund zu stecken. Dass 90 Prozent all jener, die panisch auf Spinnen reagieren, Frauen sind, liege daran, sagt Alfons Hamm, dass sich Jungs freiwillig öfter mit furchtauslösenden Situationen konfrontierten. Sie machen Mutproben, quälen Käfer, fassen Spinnen an. So trainieren sie sich die natürliche Scheu ab.“ Hamm selbst ekelt sich schon lange nicht mehr. Wenn er Anschauungsmaterial für seine Patienten braucht, macht er sich höchstpersönlich im Keller auf Spinnenjagd.

Von der angeborenen Scheu zur Phobie fehlt oft nur ein Schritt. Das ist die negative Erfahrung. Wie „wenn einem als Kind eine Spinne in den Kragen fällt, und das ist mit Ekel verknüpft“, erklärt Maria Jockers-Scherübel, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, Campus Benjamin Franklin. Sie beschäftigt sich mit Schizophrenie und Zwangserkrankungen, hilft aber auch Menschen mit Arachnophobie.

In Deutschland gibt es keine Spinnen, die dem Menschen etwas antun können – oder nur sehr wenige, genauer: drei Arten. Die Wasserspinne, die nur in Tümpeln oder ähnlichen Gewässern lebt und mit dem Menschen nur sehr selten in Berührung kommt; der Biss entspricht in seiner Schwere etwa einem Bienenstich. Dann die Kreuzspinne, die im Allgemeinen aber so klein ist, dass die Bisse nicht durch Haut dringen. Und der Dornfinger, die giftigste in Deutschland lebende Spinne, die sehr selten ist und nur in einigen wenigen Regionen in Deutschland, vor allem im Odenwald, zu Hause ist. Schwellung, Übelkeit, Kopfschmerzen oder erhöhte Temperatur können Folge eines Bisses sein – nach drei Tagen klingen die Symptome aber wieder ab.

Nein, die Furcht vor Spinnen resultiert eher daraus, dass sie sich so schnell bewegen im Vergleich zu ihrer Größe. Anders als ein dicker schwarzer Käfer, der behäbig über Fliesen krabbelt, huschen sie über den Boden, klettern ruckzuck am Faden in die obere Zimmerecke, balancieren eilig über ihre Netze. „Sie erscheinen unkontrollierbar“, sagt Maria Jockers-Scherübel. „Sie fallen einem erst plötzlich auf.“

Ein Schreck, ein Schrei, die Bitte, dass der Partner die Spinne entferne – das liegt noch alles im normalen Rahmen. Therapieren lassen müssen sich jene, die ihr Leben zum eigenen Nachteil ändern, um das Tier zu meiden. Am besten mit einem so genannten Expositionstraining, auch Konfrontationstraining, ein Baustein der Verhaltenstherapie. Das verspricht in 90 Prozent aller Fälle Erfolg. Oft behandeln Therapeuten mit Modellen, Bildern und Filmen wie die Charité-Ärztin Jockers-Scherübel. Am effektivsten ist es aber, am lebenden Objekt zu trainieren. Dann reicht oft eine Doppelstunde aus, um das Ziel der Behandlung zu erreichen: der Kontakt mit der Spinne.

„Die Vermeidungsstrategien müssen durchbrochen werden. Und das macht man mit einer gestuften Konfrontation“, erklärt Alfons Hamm, der an der Universität Greifswald diese Art von Therapie mit lebenden Spinnen durchführt. Bis zu zehn Patienten behandelt er im Jahr. Die können ihrer Angst nicht länger aus dem Weg gehen, weil sie in ein Land fahren, wo es viele Spinnen gibt, oder weil sie – wie zum Beispiel Möbelpacker – spinnenreiche Keller ausräumen müssen.

Bei dieser Art von Therapie beginnt der Betroffene damit, sich an ein kleines Exemplar anzunähern, es mit dem Handschuh zu berühren, dann mit einem Bleistift, später mit dem Finger. Ein Knackpunkt in der Therapie ist, wenn der Patient merkt, dass die Spinne kontrollierbar ist. „Sie ist nicht schneller als meine Hand, sie kann nicht einfach in einer Falte verschwinden oder unter den Ärmel schlüpfen, wenn ich das nicht will“ – diese Erkenntnis sei die wichtigste, sagt Alfons Hamm, wenn der Patient sich unter seiner Aufsicht das Tier den Arm hochlaufen lässt. Ist das geschafft, wird die Prozedur mit immer größeren Artgenossen wiederholt. Bis hin zu einer Vogelspinne, die Hamm in seinem Büro hält. Als geheilt gilt, wer nach dem Training eine Spinne einfangen kann.

Allerdings trauen sich 60 bis 85 Prozent der Menschen, die an Arachnophobie leiden, nicht, sich mit ihren Angstobjekten real zu konfrontieren. Leichter fällt es ihnen mit einer Therapie, die Wissenschaftler von der Universität in Washington und der spanischen Universität in Jaume anbieten. Die Forscher erschufen eine Cyber-Spinnenwelt. Dort werden Patienten mit einer Simulation, die sie dreidimensional durch einen Virtual-Reality-Helm sehen können, in eine Welt voller Spinnen versetzt. Sie stehen in einer Küche, durch die eine Spinne huscht, heben Eimer hoch, aus denen Spinnen springen, fassen Taranteln an. Nach den Sitzungen in der Scheinwelt vermindert sich die Angst – die Patienten trauen sich näher an echte Exemplare heran als vorher.

Noch bessere Ergebnisse lassen sich erzielen, wenn die virtuelle mit der realen Welt verbunden wird. Das fanden die Forscher heraus, nachdem sie eine Tarantel naturgetreu nachmodelliert hatten. Wenn die Patienten in der Cyberwelt die Vogelspinne anfassen, greifen sie nun nicht ins Leere, sondern berühren das Modell. Dadurch, sagen die Ärzte, könne die Angst noch deutlicher gemindert werden.

Arachnophobie kann in Deutschland noch nicht virtuell therapiert werden. Daher müssen sich Betroffene mit realen Spinnen konfrontieren – im Beisein eines Therapeuten. „Diese Angststörung sollte man auf keinen Fall selbst therapieren“, rät Hamm. Wenn man nämlich auf dem Gipfel der Angst einen Rückzieher macht, dann ist das wieder eine schlechte Erfahrung. Das kann die Phobie sogar verstärken.

Wiebke Heiss

Zur Startseite