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Der U-Bahnhof Mohrenstraße in Mitte. Das Bündnis "Decolonize Berlin" will die Straße in Anton-W-Amo-Straße umbenennen.

© Thilo Rückeis

Update

Antrag der rot-rot-grünen Koalition: Berlin soll sich seiner kolonialen Vergangenheit stellen

Eine Gedenkstätte, Straßenumbenennungen, mehr Herkunftsforschung: Die Kolonialgeschichte der Stadt soll aufgearbeitet und sichtbar werden.

Von Laura Hofmann

2019 jährt sich das formale Ende des deutschen Kolonialismus zum 100. Mal: Mit dem Versailler Vertrag 1919 musste das Deutsche Reich am Ende des Ersten Weltkriegs auf alle Kolonien verzichten.

Doch jüngste Debatten über Kunst aus der Kolonialzeit im Humboldt Forum, Herkunftsfragen rund um Berliner Museenbestände und Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel zeigen, dass dieses düstere Kapitel der deutschen Geschichte noch lange nicht abgeschlossen ist – erst recht nicht in Berlin, der ehemaligen Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs im Zeitalter des deutschen und europäischen Kolonialismus.

Das rot-rot-grüne Regierungsbündnis des Landes hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, Berlins Rolle in der Kolonialzeit aufarbeiten. Nun gibt es einen entsprechenden Antrag dazu, der am Donnerstag im Abgeordnetenhaus diskutiert wurde.

„Ein postkoloniales Berlin ist möglich“, sagte Daniel Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion und einer der Antragssteller, bei seiner Rede im Parlament. Die Koalition fordert vom Senat ein gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept, das Berlins Rolle und „historischer Verantwortung“ gerecht werden soll.

Das Ziel klingt zunächst etwas sperrig: „Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des mit Berlin verbundenen Kolonialismus zu intensivieren, das Thema in Wissenschaft und Bildung zu verankern, zur Versöhnung beizutragen und würdige Formen des Erinnerns zu entwickeln“. Dahinter stecken aber ganz konkrete Maßnahmen..

Straßen, deren Namen Bevölkerungsgruppen herabwürdigen, sollen umbenannt werden

Die Abgeordneten fordern etwa, dass Namen von Straßen und Plätzen, die sich auf die koloniale Vergangenheit beziehen, auf Zusatzschildern im Straßenraum kritisch begleitet werden. Straßen sollen umbenannt werden, wenn durch den Namen die Herabwürdigung von Bevölkerungsgruppen fortgeschrieben oder das koloniale Unrecht durch die Heroisierung von Personen, Orten oder militärischen Ereignissen verharmlost werde. „Wir hätten das schon längst tun müssen“, sagte Regina Kittler, Sprecherin für Kultur der Linke-Fraktion.

Das erste Kriterium ist zum Beispiel auf die „Mohrenstraße“ und den gleichnamigen U-Bahnhof in Mitte anwendbar. Im Bezirk Mitte, der für eine Namensänderung zuständig ist, gäbe es dafür wohl eine Mehrheit. Der Bezirk will aber erst einmal die Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel abschließen.

Auf die trifft das zweite Kriterium zu: Drei Straßen in Wedding sind nach Gustav Nachtigal, Carl Peters und Adolf Lüderitz benannt, drei Wegbereiter des deutschen Kolonialismus, der im Völkermord an den Herero und Nama gipfelte.

Hier ist die Umbenennung zwar bereits beschlossene Sache, doch mehr als tausend Widersprüche gegen die Dekolonisierung im Weddinger Straßenraum zeigen, wie schwer vermittelbar das Thema ist – und dass einige Bürger, in diesem Fall zu einem großen Teil Gewerbetreibende, die Umbenennung „ihrer“ Straße als einen entscheidenden Eingriff in ihr Geschäft und ihr Leben werten.

Eine zentrale Gedenkstätte und dezentrale Erinnerungsorte

Eine weitere Forderung des Koalitionsantrags ist eine zentrale Gedenkstätte, die gemeinsam mit dem Bund als Lern- und Erinnerungsort konzipiert werden soll. Aufgabe der Einrichtung soll es sein, die deutschen Kolonialverbrechen aufzuarbeiten und anzuerkennen.

Weitere Orte in der Stadt, die Spuren der deutschen Kolonialgeschichte aufweisen, sollen auch dezentral sichtbar werden und sich mit Aspekten des Kolonialismus auseinandersetzen, die bis heute in der Berliner Stadtgesellschaft spürbar sind: Rassismus, Selbst-und Fremdbilder, Exotismus.

Was die Museen betrifft, soll der Senat eine transparente Herkunftsforschung fördern. Dabei sollen auch Besitzverhältnisse, Entschädigungs- und Rückgabeansprüche bei Exponaten, die in der Kolonialzeit nach Berlin gekommen sind, geprüft werden.

Um eine transnationale Erinnerungskultur zu ermöglichen, sieht der Antrag vor, bereits bestehende Städtepartnerschaften zwischen Berlin und Städten in ehemaligen Kolonien auszubauen. Eine besondere Bedeutung soll dabei die Partnerschaft mit Windhoek, der Hauptstadt Namibias, bekommen, die zuletzt von offizieller Seite eher eingeschlafen war.

CDU wirft Rot-Rot-Grün "Symbolpolitik" vor

All dies soll nach dem Willen von Rot-Rot-Grün im Dialog mit der Zivilgesellschaft und den Nachkommen der ehemals Kolonisierten entstehen. „Wir dürfen gerade in der postkolonialen Debatte nie wieder den Fehler begehen, nur ,unter uns‘ und über ,die Anderen‘ zu reden“, sagte Wesener.

Die CDU wirft Rot-Rot-Grün „Symbolpolitik“ vor – „die einzige übrig gebliebene Paradedisziplin“ der Koalition, sagte der Abgeordnete Robbin Juhnke.

Stefan Förster von der FDP argumentierte, dass der Völkermord an den Herero und Nama „historisch und völkerrechtlich schwierig“ zu bewerten sei. Dafür bekam er Applaus von der AfD, deren Abgeordneter Martin Trefzer in Hinblick auf den Antrag von „Verantwortungs-Anmaßung“ sprach. Der fraktionslose Kay Nerstheimer warf den Fraktionen vor, es ginge ihnen nur darum, Deutsche wieder schlecht zu machen.

Der Antrag wurde zunächst in die Ausschüsse verwiesen. Eine Veranstaltungsreihe der Grünen zur postkolonialen Erinnerungskultur beginnt am Donnerstag, 11. April. Es diskutieren: Prof. Dr. Rebekka Habermas (Universität Göttingen), Tahir Della (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland), Peggy Piesche (Diversifying Matters/Adefra), Annemie Vanackere (HAU Hebbel am Ufer), Wolfgang Kaleck (European Center for Constitutional and Human Rights). Mehr Infos hier.

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