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Auf der Landvolk-Fahne, hier rechts im Bild, ist ein weißer Pflug mit einem roten Schwert zu sehen.

© imago/JeanMW

Antisemitische Symbole bei Bauern-Protest in Berlin: Was es mit der „Landvolk“-Bewegung auf sich hat

Hunderte Bauern demonstrieren bis Sonntag in Berlin. Oft ist bei den Protesten das Wappen einer Vereinigung mit rechtsradikalen Wurzeln zu sehen. 

Es ist kalt und zugig in der Wilhelmstraße in Berlins Mitte. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) taucht trotzdem kurz vor 21 Uhr am Mittwochabend vor ihrem Ministerium auf und stellt sich der Wut der Landwirte.

Auf einer kleinen improvisierten Bühne diskutiert sie fast anderthalb Stunden über die Düngeverordnungen, Corona-Hilfen und die Produktion von Nahrungsmitteln nach deutschen Standards.

Im Publikum lauschen dutzende Landwirte den Erklärungen der Ministerin. Seit Montag blockieren ihre Traktoren die Wilhelmstraße. Sie kommen aus allen Teilen der Republik, norddeutsche Bauern aus Bundesländern wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein scheinen jedoch in der Überzahl.

Gegen 22 Uhr beendet die CDU-Politikerin die Debatte. Klöckner ist deutlich resigniert, sagt: "Ich werde mir überlegen, ob ich das nächste Mal zu so einem Gespräch rauskomme". Die Ministerin kritisiert die hohe Erwartungshaltung der Bauern in der Wilhelmstraße, die "so tun, als würden sie für die ganze Republik sprechen."

Als Klöckner wieder im Ministerium verschwindet, ergreifen jene vier Landwirte das Wort, die zuvor das Podium mit der Ministerin teilten. Man sei "sprachlos" und enttäuscht angesichts Klöckners Auftritt.

Die "Landvolk"-Bewegung hat eine rechtsextreme Vergangenheit

Einer der vier Bauern auf der Bühne trägt eine schwarze Kappe mit einem martialisch wirkenden Wappen. Zu sehen ist ein weißer Pflug mit rotem Schwert, das Symbol der sogenannten "Landvolk"-Bewegung.

Auch während der Debatte mit der Ministerin war das Symbol unter den Zuhörenden omnipräsent. Zahlreiche Traktoren vor dem Ministerium sind mit schwarzen "Landvolk"-Fahnen geschmückt, im Publikum tragen Männer Mund-Nasen-Bedeckungen mit aufgedruckter Symbolik der Organisation.

Doch worum handelt es sich bei "Landvolk"? Die Bewegung gründete sich Ende der zwanziger Jahre in Schleswig-Holstein als Sammel-Organisation, die Bauerinteressen bündelte. Schon früh waren die Strukturen von Rechtsradikalen durchsetzt, wie die Historikerin Heidrun Edelmann in der Juni-Ausgabe der Fachzeitschrift "Bauernblatt" vergangenes Jahr zusammenfasst.

Wilhelm Hamkens, einer der "Landvolk"-Anführer, war in der Weimarer Republik Mitglied rechtsextremer Wehrverbände, mit Beginn des Jahres 1929 wurden durch "Landvolk"-Mitglieder regelmäßig Sprengstoffanschläge auf öffentliche Einrichtungen und Behörden verübt.

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Zwar sei "Landvolk" keine Parteiströmung der NSDAP gewesen, dennoch attestiert Historikerin Edelmann ihr klar "völkische, nationalistische und antisemitische Denkansätze". "Jahrelange hasserfüllte, antidemokratische Propaganda hatten den Nährboden für die NSDAP bereitet (…)", schreibt die Expertin. Jüdische Institutionen teilen diese antisemitischen und nationalistischen Einordnung der Bewegung. 

90 Jahre später tauchen also Fahnen und Symbole dieser wenig ruhmreichen Organisation mitten in Berlin auf. Unter anderem als Aufdruck auf der Kappe eines Mannes, der am Abend des internationalen Holocaustgedenktages anderthalb Stunden neben der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sitzt und mit ihr diskutiert.

Die Ministerin war zuvor bereits am Mittwochmittag auf die protestierende Landwirte getroffen, als sie aus der Holocaust-Gedenkstunde des Bundestags kam. Dabei hatte sie auch die Problematik der "Landvolk"-Fahne thematisiert. In einem Audiomitschnitt, der dem Tagesspiegel vorliegt, sagt Klöckner: "Pflug und Schwert stand für eine völkisch-nationalistische Bewegung, die nicht vor Gewalt zurückschreckte."

Wer dem Bauerprotest organisiert hat, ist unklar

Fragt man die Bauern vor Ort, wollen diese von der zweifelhaften "Landvolk"-Geschichte nichts wissen. Man beziehe sich lediglich auf die Zeiten der Organisation um 1919. Die Farbe Rot im Wappen steht für Blut und soll die Verbundenheit der Landwirte zur Erde ausdrücken, erklärt ein Bauer aus dem Landkreis Cloppenburg.

Man lasse sich nicht als "rechts abstempeln", nur weil einige die Landvolk-Bewegung anders definieren. Außerdem sei man in Berlin auf der Straße, damit sich die Arbeitsumstände der Bauern verbessen. "Es kann doch nicht sein, dass auf ausländischen Früchten 'nach der Ernte unbehandelt' steht", sagt der Niedersachse. "Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die da vor der Ernte so viel Chemie reinspritzen können, wie sie wollen, während wir hier immer höhere Umweltauflagen haben". 

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Worum es außerdem geht, zeigt ein Blick auf den internen Telegram-Kanal von "Landvolk". Mehr als zweitausend Menschen sind Mitglieder in dem Channel. Die einzelnen Demo-Aktionen werden auch hierüber koordiniert.

Sowieso weiß niemand so richtig, wer den Wochenprotest der Landwirte überhaupt angemeldet hat. Offenbar steht kein größerer Verband dahinter, laut Polizei seien alle Aktionen von Einzelpersonen angemeldet worden.

Auf Telegram werden neben Beiträgen der völkisch-nationalistischen "Arminius-Bewegung" auch Bilder geteilt, auf denen Corona als "Hoax" bezeichnet wird. Außerdem heißt es "die Klimaerwärmung wird nicht vom Menschen gemacht." In dem Chat finden sich auch Fotos die an die amerikanische Verschwörungserzählung "QAnon" angelehnt sind. Doch das ist nicht das einzig irritierende.

Größter deutscher Bauernverband distanziert sich

Als Julia Klöckner am Mittwochabend in der Wilhelmstraße diskutiert, steht Rebecca Sommer im Publikum. Die rechte Aktivistin Sommer war im November von einem AfD-Parlamentarier in den Bundestag eingeschleust worden und hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bepöbelt und bedrängt.

Gleichzeitig sorgt der Traktor eines Bauern mit einem befestigten Galgen und einer gehängten Puppe für Aufsehen. Auf Anfrage des Tagesspiegels äußert sich auch der größte deutsche Bauernverband (DBV) der nach eigener Aussage zu keinem Zeitpunkt zu den aktuellen Protesten in Berlin aufgerufen hat. Die bereits mehrfach geäußerte Distanzierung zu den Symbolen "Schwert und Pflugscharen" habe selbstverständlich weiterhin Bestand, teilte der Verband mit.

Weniger klar drückt sich der Landwirte-Verband "Land schafft Verbindung" (LsV) auf Twitter aus. Dort heißt es angesprochen auf das "Landvolk"-Symbol durch einen User: "Hier scheint Symbolik wichtiger zu sein als Lebensmittelsicherheit" und weiter - "es geht letztlich um Menschen und nicht Symbole." Außerdem sei das Wappen seitens des Verfassungsschutzes völlig in Ordnung, heißt es auf der LsV-Account.

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