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Im Oktober Ort eines Vorfalls: die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße.

© imago/Rolf Zöllner

Antisemitische Kriminalität in Berlin: Beobachtungsstelle RIAS meldet für 2019 weniger Angriffe von Judenhassern

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus hat 2019 einen Rückgang einschlägiger Vorfälle in Berlin registriert. Doch die Sorgen bleiben.

Von Frank Jansen

Antisemitische Kriminalität scheint in Berlin im vergangenen Jahr etwas nachgelassen zu haben. Es seien 881 Vorfälle und damit knapp 19 Prozent weniger als im Vorjahr erfasst worden, meldet die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) in ihrem Bericht zu 2019. Im Jahr 2018 hatte RIAS insgesamt 1085 Vorfälle registriert.

Einen deutlichen Rückgang gab es 2019 vor allem bei antisemitischen Gewalttaten. Hier registrierte RIAS insgesamt 33 Angriffe, im Jahr zuvor waren es 46. Dennoch handele es sich um die zweithöchste Anzahl von antisemitischen Gewaltvorfällen seit Beginn der Erfassung 2015, schreibt RIAS. Die Zahl der direkten Attacken auf Jüdinnen und Juden und Menschen, die als Juden wahrgenommen werden, stieg sogar von 19 auf 25.

Die Recherchestelle betont, besonders beeinträchtigt worden sei das Sicherheitsempfinden der Berliner jüdischen Community durch den Angriff eines Mannes mit einem Messer auf die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße.

Am 4. Oktober war ein Syrer über die Absperrung geklettert und mit dem Messer in der Hand auf die Wachleute zugelaufen. Sie setzten Pfefferspray ein und konnten den Angreifer überwältigen.

Erwähnt wird im Bericht auch der Schrecken, den der Angriff des Judenhasser Stephan Balliet im Oktober am Feiertag Jom Kippur auf die Synagoge in Halle auslöste.

Parolen wie "Kindermörder Israel" gesprüht

Die 2014 gegründete Recherchestelle wurde vom Senat initiiert. Sie sammelt offizielle Meldungen wie auch Hinweise von Privatpersonen zu antisemitischen Vorfällen. Im vergangenen Jahr registrierte RIAS auch 38 gezielte Sachbeschädigungen, 59 Bedrohungen und 103 "antisemitische Massenzuschriften" , damit sind vor allem Hassmails gemeint.

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Die Recherchestelle nennt außerdem 648 Fälle "verletzenden Verhaltens". Das sind Beschimpfungen gegen tatsächliche oder vermeintliche Jüdinnen und Juden im Alltag, aber auch antisemitische Kommentare gegen das Judentum an sich und gegen Israel. So beleidigte in Charlottenburg ein Mann eine Frau mit den Worten, "halt deine Klappe du dreckige Jüdin". In Wilmersdorf sprühten Unbekannte Parolen wie "Kindermörder Israel" und "Juden sind Kindermörder".

Mitte am stärksten getroffen, Marzahn-Hellersdorf am geringsten

Nach Erkenntnissen von RIAS ereigneten sich 449 Fälle im Stadtgebiet und 432 online. Bei den Bezirken wurde Mitte mit 140 Vorfällen am stärksten getroffen, gefolgt von Charlottenburg-Wilmersdorf (77), Friedrichshain-Kreuzberg (48) und Neukölln (45). Die wenigsten Meldungen, lediglich sechs, gab es in Marzahn-Hellersdorf.

RIAS sagt, insgesamt 400 Vorfälle und damit mehr als 45 Prozent seien unbekannten Tätern zuzuordnen. Die größte Tätergruppe, die für RIAS zu identifizieren war, sind Rechtsextremisten mit 258 Taten, das sind knapp 30 Prozent. Die Recherchestelle gewichtet schon seit Jahren Delikte von Judenhassern anders als die Polizei es bundesweit tut.

In den vom Bundeskriminalamt gesammelten Bilanzen aus den Ländern sind politisch rechts motivierte Täter in der Regel die weit überwiegende Gruppierung. Für RIAS ist jedoch beispielsweise ein geschmiertes Hakenkreuz nicht automatisch ein Beleg für ein rechtes Tatmotiv.

Insgesamt 86 Vorfälle rechnet RIAS dem Spektrum des "Antiisraelischem Aktivismus" zu und weitere 59 der "Politischen Mitte". Weitere 13 Vorfälle stuft RIAS als "links/antiimperialistisch" ein und elf als islamistisch.

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