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Letzte Reise: Ein Lastwagen kippt AfD-Flyer bei einem Unternehmen in Eisenhüttenstadt zum Schreddern aus.

© Patrick Pleul/dpa

Update

Anti-AfD-Aktion „Flyerservice Hahn“: Razzia der Berliner Polizei beim „Zentrum für politische Schönheit“

Mit einer Fake-Firma haben Aktionskünstler fünf Millionen AfD-Flyer im Bundestagswahlkampf vernichtet. Jetzt ermittelt die Berliner Justiz gegen das Kollektiv.

Die Berliner Polizei hat am Donnerstagmorgen Räume von Personen aus dem Umfeld des Künstlerkollektivs „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) durchsucht. Das sagte ein Sprecher der Polizei. Grund für die Ermittlungen ist eine Aktion des Kollektivs im Bundestagswahlkampf. Mit einer Fake-Firma namens „Flyerservice Hahn“ hatte das Künstlerkollektiv die AfD getäuscht und als Dienstleister angeboten, Werbematerial für die Partei zu verteilen. Doch das landete stattdessen im Müll.

Zehn Beamte des für politische motivierte Straftaten zuständigen Staatsschutzes beim Landeskriminalamt (LKA) durchsuchten am Morgen ab 7 Uhr eine Wohnung und ein Atelier. Die Razzia dauerte bis 9 Uhr, die Ermittler stellten nach Angaben eines Polizeisprechers Datenträger sicher.

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt bislang gegen einen Tatverdächtigen und weitere unbekannte Mittäter. Ein Richter erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchungsbeschlüsse wegen des Verdachts der Fälschung beweiserheblicher Daten.

In dem entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuches heißt es: „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr beweiserhebliche Daten so speichert oder verändert, dass bei ihrer Wahrnehmung eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde, oder derart gespeicherte oder veränderte Daten gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

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Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll das ZPS mit Fake-Personal, der Fake-Firma und einer Fake-Internetseite den Eindruck erweckt haben, es handle sich um eine real existierende Firma, die gegen Geld die Verteilung von Flyern anbietet. Die Fantasie-Firma soll der AfD die Leistung aber nicht in Rechnung gestellt haben - deshalb wird auch nicht wegen Betrugs und Urkundenfälschung ermittelt.

Politikwissenschaftler hatten die Aktion des Künstlerkollektivs als problematisch kritisiert: Denn alle Parteien sollten im Wahlkampf die gleichen Chancen haben und dürften in keiner Weise behindert werden. Das Kollektiv beklagte nach der Durchsuchung nun hingegen „die erste Amtshandlung des neuen R2G-Senats in Berlin: Wohnungen von Künstlern durchsuchen“. Dies sei ein „schwarzer Tag für die Kunstfreiheit in Deutschland“.

Durchsuchungsbeschluss getwittert? Das wäre eine Straftat

Die Anwälte des Kollektivs erklärten, die Durchsuchung durch das LKA Berlin sei „ein politischer Skandal“. Die Durchsuchungsbeschluss genannten Gründe seien vorgeschoben. „Die Vorwürfe reichen niemals auch nur für eine Anklageerhebung.“

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Zudem twitterte das ZPS per Foto den Ausschnitt eines offensichtlich amtlichen Schreibens, es könnte ein Auszug aus dem richterlichen Durchsuchungsbeschluss sein. Die Staatsanwaltschaft prüft den Tweet nun, denn auch dabei könnte es sich um eine Straftat handeln – nämlich „verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“. Wer amtliche Dokumente eines Strafverfahrens „öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist“, kann mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden.

In dem vom ZPS getwitterten Schreiben heißt es: „Ziel des Beschuldigten und seiner Mittäter war es dabei, Untergliederungen der Partei ,Alternative für Deutschland (AfD) sowie dieser angehörige Einzelpersonen zur Übersendung von Wahlflyer zu veranlassen. Indem sie mit diesen zum Schein deren entgeltliche Verteilung vereinbarten. Tatsächlich war eine Verteilung der Flyer jedoch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt. Vielmehr kam es dem Beschuldigten und seinen Mittätern darauf an, die Flyer jedenfalls bis nach der Wahl des 20. Deutschen Bundestags am 26. September 2021 zu behalten und so eine Verteilung zu verhindern.“

Die krassen Aktionen des „Zentrums für politische Schönheit“

85 Aufträge von der AfD erhalten

Das ZPS hatte mit der fingierten Firma "Flyerservice Hahn" bei der AfD darum geworben, ihre Wahlkampfflyer im Bundestagswahlkampf zu verteilen. Insgesamt 85 Aufträge soll der vermeintliche niedersächsische Mittelständler von der rechtspopulistischen Partei erhalten haben, darunter waren Kreisverbände aus Bayern, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Hessen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Mitarbeiter des Flyer-Verteilservice holten das Wahlkampfmaterial bei den jeweiligen Kreisverbänden ab und sollten es mithilfe der vielfach beworbenen Verteilstruktur des Unternehmens in die Briefkästen der Wähler und Wählerinnen bringen.

Philipp Ruch gründete das Künstlerkollektiv "Zentrum für politische Schönheit".
Philipp Ruch gründete das Künstlerkollektiv "Zentrum für politische Schönheit".

© imago images/Thomas Müller

Nur dazu kam es nie. Die Aktionskünstler sammelten das Material ein, bunkerten es und vernichteten es schließlich - insgesamt fünf Millionen Flyer, 72 Tonnen. Zwei Tage nach der Wahl bekannten sie sich zu der Aktion. Schon damals betonten sie, der AfD kein Wahlkampfmaterial gestohlen zu haben. Man habe der Partei lediglich das Angebot gemacht, die Verteilung zu übernehmen, hieß es.

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Das Kollektiv zeigte sich überrascht, wie viele AfD-Verbände trotz fehlender Steuernummer, Handelsregistrierung und fälschlicher Adresse auf den "Flyerservice Hahn" reingefallen seien. Kein einziger Auftrag sei formell bestätigt oder durch einen unterzeichneten Vertrag besiegelt worden, teilen die Künstler mit.

AfD kündigte umgehend Strafanzeige an

Allerdings gab es seinerzeit schon Zweifel an der Darstellung: Nach einer ARD-Recherche soll die Website der fingierten Firma nachträglich bearbeitet worden sein. Zuvor seien demnach eine Registriernummer und eine Steuernummer im Impressum der Website angegeben gewesen. Zusätzlich soll der "Flyerservice Hahn" mit angeblichen Kunden wie der FDP und der Deutschen Post als Kooperationspartner geworben haben.

Die AfD hatte bereits zwei Tage vor dem Wahltag über den Verlust des Wahlkampfmaterials berichtet und das ZPS verdächtigt. Nachdem sich die Künstler dazu bekannt hatten, kündigte die Partei eine Strafanzeige an. Sie basiere auf Vertragsunterlagen, E-Mail-Korrespondenzen und Fotos, die von den betroffenen AfD-Kreisverbänden und Mandatsträgern zu dem Sachverhalt an die AfD-Bundesgeschäftsstelle geschickt wurden.

Das "Zentrum für politische Schönheit" bereitete sich dann auch umgehend auf eine juristische Auseinandersetzung vor - und rief dafür zu Spenden auf. Nach den Durchsuchungen am Donnerstag erneuerte das Kollektiv seinen Appell.

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