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Am Haken. Die Anschaffung neuer U-Bahn-Züge hat sich bereits verzögert. Nun könnte es nochmals länger dauern.

© Paul Zinken/dpa

Anschaffung neuer U-Bahnen verzögert sich: Unterlegene Firma klagt gegen BVG-Auftragsvergabe

Die BVG hat einen Drei-Milliarden-Auftrag für neue U-Bahnen vergeben. Ein Gericht könnte das Geschäft am Freitag noch stoppen.

Ein halbes Jahr Verzögerung gibt es schon jetzt. Berliner Fahrgäste wären froh, wenn es dabei bliebe. Vor Gericht könnte es am morgigen Freitag einen Gau für die BVG und die Stadt geben, wenn nämlich die Vergabe des Drei-Milliarden-Auftrags für neue U-Bahnen vollständig gekippt wird. Brancheninsider halten das für sehr wohl möglich.

Am 20. Mai wollte die BVG verkünden: „The winner is ...“, nämlich bekannt geben, welche Firma die neuen Züge bauen darf. Es kam anders. Ziemlich genau ein halbes Jahr später verhandelt das Kammergericht über die Beschwerde der bei der Ausschreibung unterlegenen Firma Alstom. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der U-Bahn.

Die Züge sind völlig überaltert, im Schnitt 30 Jahre alt. Viel zu lange waren keine neuen Züge geliefert worden, beim sogenannten Großprofil (das sind die Linien 5 bis 9) zuletzt im Jahr 2002. Berlin musste sparen.

Erst im Oktober 2016 hatte die BVG den Großauftrag ausgeschrieben. Für drei Milliarden Euro sollen 440 Wagen für das Kleinprofil (Linien 1 bis 4) und 1060 für das Großprofil gebaut werden. An der Ausschreibung beteiligten sich das Konsortium Siemens/Bombardier, die Schweizer Firma Stadler und der französische Konzern Alstom. Mit diesen 1500 Wagen soll die U-Bahn-Flotte bis 2033 komplett erneuert werden, das Projekt trägt den Titel „Zukunftssichere Schienenfahrzeugbeschaffung“.

Die ersten Prototypen sollten im Jahr 2021 geliefert werden, jeweils zwölf Wagen des Kleinprofils (Typ JK) und des Großprofils (Typ J). Der Zeitplan dürfte schon jetzt nicht mehr zu halten sein. Im Jahr 2022 sollten 76 Wagen geliefert werden, anschließend von 2023 bis 2032 jährlich 136 Wagen.

Keine Klage von Siemens/Bombardier

Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass der Schweizer Hersteller Stadler, der in Pankow bereits Züge vom Typ IK für die U-Bahn baut, das beste Angebot abgegeben hat. Das sahen die beiden unterlegenen Konkurrenten natürlich anders. Siemens/Bombardier kritisierte die Ausschreibung als dilettantisch und voller Fehler, verzichtete aber auf eine Klage. Stattdessen schickte das Konsortium einen Protestbrief an BVG-Chefin Sigrid Nikutta.

Alstom dagegen legte sofort Einspruch bei der Vergabekammer des Kammergerichts ein. Diese lehnte den Einspruch zwar zügig ab, dagegen wiederum legte Alstom nun vor dem Kammergericht Beschwerde ein. Das Aktenzeichen lautet „Verg. 7/19“, es ist also erst das siebte Vergabeverfahren in diesem Jahr, solche Beschwerden sind selten.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hatte das Alstom-Vorgehen als „bedauerlich“ kritisiert, der Konzern „verzögere die Modernisierung der BVG“. Es ist nicht einmal bekannt, ob Alstom formale Gründe geltend machte oder den Inhalt der Ausschreibung.

Wie könnte das Gericht entscheiden? Drei Möglichkeiten gibt es. Erstens: Die Vergabekammer ordnet Nachbesserungen an, die drei beteiligten Firmen wären wieder im Rennen. Der Fahrgast müsste ein halbes Jahr länger auf neue Züge warten. Zweitens: Das Gericht kippt die ganze Ausschreibung – der Gau für die BVG. Mindestens vier Jahre würde sich dann die Lieferung neuer Züge verzögern. Dritte Möglichkeit: Das Gericht weist den Einspruch zurück, Stadler kann mit dem Bau beginnen. Denkbar ist auch, dass die Kammer einen außergerichtlichen Vergleich vorschlägt.

Alstom investiert Millionen

Brancheninsider halten es für kaum denkbar, dass das Gericht den Einspruch von Alstom zurückweist. Der Konzern würde nicht nur auf Verdacht viele Millionen in Anwälte investieren, hieß es. Andererseits hatte die erste Instanz im Mai die Beschwerde von Alstom als „teilweise unzulässig und im Übrigen als unbegründet“ zurückgewiesen.

Wieso Branchenexperten dennoch einen Erfolg für Alstom erwarten, bleibt unklar. Unklar ist auch, ob der Vergabesenat bereits am 15. November eine Entscheidung fällt oder einen Verkündungstermin für einen späteren Tag festsetzen wird. Dies hatte das Kammergericht in der vergangenen Woche mitgeteilt.

Im Durchschnitt sind die U-Bahn-Wagen derzeit 27 Jahre alt und zunehmend störanfällig. Seit 2012 sind die Fahrgastzahlen um 15 Prozent gestiegen, bei nahezu identischer Flotte von 1300 Wagen. Die Not ist vor allem im Großprofil-Netz so groß, dass Kleinprofil-Fahrzeuge provisorisch für die breiteren Tunnel umgerüstet werden. Sie rollen nun auf der U-Bahnline 5.

Marode Fahrzeuge

Fahrgäste schimpfen immer lauter über ausfallende Fahrten und zunehmendes Gedränge. Verschärft wurde die Situation, als überraschend eine ganze Fahrzeugserie den Geist aufgab. Ausgerechnet in der neuesten Version der Baureihe F bildeten sich Risse, die nicht zu reparieren sind. Nur noch 12 von 70 Wagen dieser Serie von 1979 fahren noch, der Rest rollte bereits auf den Schrottplatz.

In der Not umging die BVG die nach EU-Recht erforderliche Ausschreibung und stockte eine laufende Bestellung neuer Wagen auf. Allerdings zettelte Siemens eine Klage an, die zu einer monatelangen Verzögerung führte. Wie Alstom im aktuellen Fall, unterlag auch Siemens zunächst bei der Vergabekammer.

Wie Alstom zog auch Siemens vor Gericht. Es waren letztlich wohl Drohungen aus der Berliner Politik hinter den Kulissen, dass Siemens später einknickte und die Klage um den 120-Millionen-Auftrag zurückzog. Verstanden hatte niemand die Taktik von Siemens – denn Berlin-geeignete Züge hätte der Konzern nicht parat gehabt.

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