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 Als der Bezirk vor neun Jahren für den Platz direkt am Ostkreuz einen neuen Namen suchte, schlug Amrei Bauer ihre Mutter vor.

© Doris Spiekermann-Klaas

Annemirl Bauer: Wie ihre Tochter um die Erinnerung an die DDR-Künstlerin kämpft

Vor 30 Jahren starb die Malerin und DDR-Regimekritikerin Annemirl Bauer. Ihre Tochter kämpft seitdem dafür, dass sie nicht in Vergessenheit gerät.

Amrei Bauer fühlte sich betrogen. „Ich dachte, die wollen mich verarschen“, sagt sie. Neun Jahre liegt der Anruf beim Amt, der so vieles in Bewegung setzte, zurück. Amrei Bauer klingt trotzdem noch wütend, wenn sie davon erzählt. Wütend, wie auch ihre Mutter klingen konnte.

„Ich dachte: So nicht, nicht mit mir!“ Mit dem Telefonat begann ein Kampf, an dessen Ende ein Platz in Friedrichshain den Namen wechselte. Heute ist die Grünfläche am Ostkreuz nach Bauers Mutter benannt, der Frau, die ihrer Tochter beigebracht hatte, dass kleines Unrecht genauso so schwer wiegt wie großes.

An jenem Tag vor neun Jahren kam das Unrecht in Gestalt einer Amtsmitarbeiterin daher. Die Frau sagte zu Amrei Bauer am Telefon, dass die Entscheidung über den neuen Namen für den Platz schon gefallen sei. Erst am Vortag hatte Amrei Bauer jedoch einen Brief vom Bezirk bekommen, es hieß, sie könne Namensvorschläge einreichen.

„Da sollte Bürgerbeteiligung bloß vorgegaukelt werden.“ Sie sammelte ein paar hundert Unterschriften für ihre Idee, mobilisierte Weggefährten ihrer Mutter. Und sie sitzt heute, an einem warmen Sommertag, auf einer Bank am Annemirl-Bauer-Platz, gleich um die Ecke wohnt sie und blickt vom Balkon jeden Tag hinunter auf den Park, der seit 2010 nach ihrer Mutter benannt ist.

Die Malerin und DDR-Regimekritikerin Annemirl Bauer wäre in diesem Jahr 80 geworden. Doch vor 30 Jahren starb sie an Krebs. Seitdem hält ihre Tochter das Andenken hoch, hat ihr Leben dem Vermächtnis ihrer Mutter verschrieben. Einer Frau, die mit Haut und Haaren Künstlerin war, die manisch alles bemalte, was ihr unter den Pinsel kam, vom Waschbrett bis zum Spiegel – und 16.000 Werke hinterließ. Die Geschichte der beiden Frauen, sie handelt von Wurzeln. Von Erinnerungen. Und von der Frage, wie man sie aufrechterhält, wenn alles Gewohnte wegbricht.

Ein Künstlerchaos im Prenzlauer Berg

„Meine Mutter ist im Sommer 1989 gestorben, wenig später fiel die Mauer. Mit 20 stand ich allein da“, sagt Amrei Bauer, die ihren Vater erst als Erwachsene wiedertraf. „Meine Familie war weg, mein Land war weg.“ In einem modrigen Pfarrhaus im Niederen Fläming, wo Amrei Bauer ihre Jugend verbracht und Annemirl Bauer sich ein Landexil eingerichtet hatte, stapelten sich Zeichnungen, Bilder, Zettel und Holzreste.

In Prenzlauer Berg, der Wahlheimat von Annemirl Bauer, lagerten bemalte Teppiche, Liegestühle und Fensterrahmen in einer Ladenwohnung, von deren Wänden der Putz bröckelte. „Das war Künstlerchaos“, sagt Bauer. Und doch gab es ihr Halt, den Nachlass zu sortieren. „Das hat mich gerettet“, sagt sie heute. „Es war, als würde ich die Kommunikation mit meiner Mutter weiterführen.“

Stunden um Stunden blickte sie in immer neue Frauengesichter, die ihre Mutter so oft gemalt hatte, meist bunt, heiter und kindlich, manchmal auch düster, als wollten die Porträtierten von den Zersetzungsmaßnahmen berichten, mit denen das Regime Annemirl Bauer schikanierte.

Kein Geld, kein Ruhm: „Es ging ihr um Gerechtigkeit“

In den 60er Jahren hatte sich die Künstlerin in der Ladenkammer am Helmholtzplatz niedergelassen. Den Kinderwagen mit der Tochter stellte sie manchmal vor der Tür ab, am Verdeck klebte dann ein Zettel mit den Worten: „Bitte nicht füttern.“ Die Nachbarn erzogen Amrei Bauer mit, während ihre Mutter malte – tagein, tagaus, oft bis spät in die Nacht.

Sie malte nicht für Ruhm oder Geld, daraus machte sich die kleine Familie nie viel. Sie malte auch nicht aus Protest oder für die Sache der Frauen, obwohl viele Bilder mit politischer Botschaft daherkommen. „Es ging ihr um Gerechtigkeit“, sagt Amrei Bauer. Ihre Mutter fand es nicht fair, wenn jemand einen Baum für ein Haus fällte. Genauso fand sie es nicht fair, als die Behörden Liedermacher Wolf Biermann ausbürgerten oder als sie Bauers Malerfreundin Bärbel Bohley verhafteten. Auch die Mauer – für Annemirl Bauer ein einziger, großer Ungleichmacher.

Eines ihrer bekanntesten Werke heißt „Der Himmel über Berlin ist unteilbar“ und zeigt die entzweite Stadt. Dass der DDR-Führung solche Bilder nicht gefielen, liegt nahe. Annemirl Bauer wurde Mitte der 80er Jahre aus dem Verband Bildender Künstler der DDR ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam.

Bauer wollte die DDR trotz Spionage nicht verlassen

Die Staatssicherheit spionierte sie aus, verwüstete die Ladenwohnung am Helmholtzplatz und ließ es wie einen Einbruch aussehen, das erfuhr Amrei Bauer später aus der Stasi-Akte. Dennoch wollte ihre Mutter die DDR nicht verlassen, als man ihr die Ausreise nahelegte. „Es war ihre Heimat“, sagt die Tochter. „Sie hat an den Staat geglaubt und wollte ihn verändern.“

Auch Amrei Bauer bezeichnet sich noch heute als „Ossi“. Nicht das System hat sie zu der Frau gemacht, die sie heute ist, sehr wohl aber die Verbundenheit unter den Nachbarn, damals am Helmholtzplatz. Das Auskommen mit wenig, die Geburtstage ohne Geschenke, aber mit Frühstück an einem bemalten Geburtstagstisch.

Auch an die faulige Ladenwohnung in der Lychener Straße hat sie warme Erinnerungen. „Meine Mutter war störrisch, robust und laut“, sagt Bauer. „Beim Malen entrückte ihr Blick, raus aus der Umgebung und hinein in das Bild.“ Trotzdem fühlte Amrei Bauer sich immer gesehen. Und sei es, weil die Gesichter auf den Leinwänden ihre Nase hatten.

„Ostdeutsche, regimekritische Kunst von Frauen ist noch immer im Dunkeln“

Während sie davon erzählt, schaut sie über den Annemirl-Bauer-Platz. Ein Spielplatz mit einem modernen Klettergerüst aus Holz und Alustangen, daneben ein Basketballkäfig, drumherum eine gestutzte Wiese: Etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld ist die Grünfläche. Optisch, sagt Amrei Bauer, wäre der Park ihrer Mutter zu funktional gewesen, zu glatt.

Sie hatte auch keinen Bezug zu dem Ort, war zu DDR-Zeiten bloß mal hier vorbeigegangen. Und doch wusste die Tochter, dass ihr die Umbenennung bei ihrer Mission helfen würde, ihre Mutter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. „Ostdeutsche, regimekritische Kunst von Frauen ist noch immer im Dunkeln“, sagt Amrei Bauer.

„Seit 30 Jahren klappere ich: Hier eine Lesung, dort eine Ausstellung, die ein einzelnes Bild zeigt.“ In der Humboldt-Universität hängen zwei Wandbilder, ein weiteres Werk ist in der Kunstsammlung des Bundestags zu sehen. Das alte Pfarrhaus im Niederen Fläming hat Amrei Bauer zu einem Kunsthof ausgebaut, sie vermietet Seminarräume, Zimmer und führt Interessierte durch ein Archiv mit den Werken ihrer Mutter. Ein Museum in Cottbus widmete Annemirl Bauer im Jahr 2015 erstmals eine eigene Ausstellung und zeigte 100 Arbeiten.

Pippi-Langstrumpf-Look. Die Künstlerin auf einer Leiter in ihrer Ladenwohnung am Helmholtzplatz.
Pippi-Langstrumpf-Look. Die Künstlerin auf einer Leiter in ihrer Ladenwohnung am Helmholtzplatz.

© privat

„Aber die Berliner und Potsdamer Museen habe ich noch nicht erreicht“, sagt Amrei Bauer. Dabei brauche der Nachlass ihrer Mutter dringend professionelle Zuwendung: Viele Werke müssten restauriert werden – „und zwar nicht von einer Laiin wie mir, die seit drei Jahrzehnten im Staub wühlt“, sagt Bauer. „Frauenrechte, Naturschutz, die Teilung, die Themen meiner Mutter sind aktueller denn je. Nur fehlt jemand, der den Schatz hebt.“

Von der Baustelle am Bahnhof Ostkreuz dringt Lärm herüber, rund um den Annemirl-Bauer-Platz steht ein Bauzaun. Arbeiter ersetzen die langen Bänke um den Park durch Zweisitzer. „Damit hier keine Leute mehr schlafen“, sagt ein Mann mit Bauhelm. Nachts campieren hier Obdachlose, und Touristen aus den vielen Hostels in der Nähe bevölkern die Bänke. Anwohner beschwerten sich schon vor Jahren in der Bezirksverordnetenversammlung über Müll, Lärm und Rattenbefall.

Amrei Bauer würde sich für den Platz eine Skulptur mit Erklärtafel wünschen, denn viele Touristen und Nachbarn wissen nicht, wer Annemirl Bauer war. Ihre Tochter freut sich einerseits über die neuen Sitze, haben die Zustände dem Park doch einst wenig ruhmreiche Spitznamen wie „Asimirl-Bauer-Platz“ eingebracht. „Andererseits soll niemand vertrieben werden“, findet sie.

Ihrer Mutter hätte es gefallen, dass sich hier abends die Welt bei einem Bier trifft, dass hier nachts Menschen, die nicht viel haben, einen Schlafplatz suchen. Sie davonscheuchen? Das hätte Annemirl Bauer nicht gerecht gefunden.

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