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Berlin: Anneliese Gatz-Guse (Geb. 1923)

Ihre Exzellenz Frau Konsul von Panama in Berlin

Wenn die Reihe an sie kam, hielten Staatsrepräsentanten inne, warfen neugierige Blicke und tauschten ein paar Worte mit der großen blonden Frau. „Darf ich vorstellen: Ihre Exzellenz Frau Konsul von Panama in Berlin, Anneliese Gatz-Guse.“ Als einzige Frau unter den Diplomaten fiel sie bei den Empfängen auf; umso mehr, als sie sich nach dem Tod ihres Ehemannes gern von ihrem Sohn begleiten ließ. Der wusste kaum, wie ihm geschah, als der Mann, der auf dem Mond gewesen war, sich zu ihm herunterbeugte: „Hello Boy, I’m Neil Armstrong.“

Als Willy Brandt, umwölkt von Zigarrenqualm, in ihre große Altbauwohnung am Steinplatz trat – denn dies war gleichzeitig das Panamesische Konsulat –, blieb sie selbstbewusst, bestimmt: „Aber doch bitte nicht in Anwesenheit des Kindes rauchen, Herr Oberbürgermeister!“

Anneliese wusste sich früh zu behaupten. Als älteste Tochter eines Beamten der Nürnberger Oberpostdirektion lernte sie schnell, dass ihr die Welt nur dann etwas schenkte, wenn sie sich auf sich selbst verließ. Sie machte eine kaufmännische Lehre in einer Lebensmittelkette und wurde bald Chefbuchhalterin und Chefsekretärin im Familien-Unternehmen. Spanisch brachte sie sich selbst bei, zunächst mithilfe von Musikschallplatten, dann zog sie für ein paar Monate nach Barcelona. Die Sprache war unerlässlich, denn ihr Chef war nicht nur ihr Schwiegervater in spe, sondern auch ehrenamtlicher Konsul von Panama in Nürnberg.

Der Krieg kam, ihr Verlobter blieb verschollen. Jahrelang klopften arme Rückkehrer an die Tür der Villa, um vom Sohn zu berichten. Er lebe! Einer gab schließlich zu, die Geschichte nur für den Teller Suppe zu erzählen, den jeder hier bekäme. Das habe sich herumgesprochen. 1958 wurde der Sohn offiziell für tot erklärt. An diesem Tag fuhr Anneliese nach Davos. Beim Skifahren ließ sie die Jahre Revue passieren. Ihren Eltern und Geschwistern hatte sie ein Haus gebaut. Mit einer Super Constellation war sie über den Atlantik geflogen und hatte Panama bereist. Sympathisch und politisch aufgeschlossen, hatte sie die Regierungsvertreter beeindruckt und wurde zur Vize-Konsulin ernannt. Was war das nun alles wert? Noch in Davos lernte sie einen jungen, hemdsärmeligen Spediteur aus Berlin kennen, zog ihm bald nach, heiratete ihn und baute mit ihm die Spedition weiter auf. Und wurde Konsulin von Panama in Berlin.

1961 gebar sie einen Sohn, ein Frühchen. Doch es gab nur zwei Brutkästen für die drei Frühchen jenes Tages. Ihr Kind schien das kräftigste zu sein und sollte es so schaffen. Es starb. 1963 dann erneut ein Sohn, dieses Mal weder zu früh noch zu spät. Bevor er sein erstes Modellflugzeug zusammenbauen konnte, starb der Vater an Krebs. Anneliese Gatz übernahm das Speditionsgeschäft.

Die Zeitschrift Emma wollte sie porträtieren, aber sie lehnte dankend ab. Lieber sorgte sie dafür, dass ihr Sohn und sie wieder eine dritte Seite im Familiendreieck fänden. Der Nachbar ihres Kladower Gartenhauses, selbst Witwer, sympathisch und standhaft genug, an ihrer Seite auf Empfängen zu erscheinen.

Ihrem Sohn, der kurz vor dem Abitur die Schule schmiss und gegen die Startbahn West demonstrierte, sagte sie: „So wirst du nichts erreichen. Dafür musst du schon in die Politik gehen!“ Sie vertraute auf die hergebrachten Mittel politischer Einflussnahme.

Als ihr zweiter Ehemann an Alzheimer erkrankte, übernahm sie seine Pflege. Das Amt der Konsulin gab sie ab. Ihren eigenen Lebensabend verbrachte sie komfortabel und kulturell inspiriert in einer gut geführten Alteneinrichtung. Sie vermisste nichts. Als sie starb, fragte sich der Sohn, wer von ihren drei schon länger himmelsansässigen Männern sie wohl als erster begrüßen durfte. Stephan Reisner

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