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Gerade in Berlin wird eine Anhebung des Spitzensteuersatzes fatale Auswirkungen haben, warnt unser Autor.

© imago/Ralph Peters

Anhebung des Spitzensteuersatzes: Warum die Reichensteuer den Mietern schadet

Wie kann man sich in Berlin über die Anhebung des Spitzensteuersatzes freuen! Sie macht Wohnungskäufe noch attraktiver. Um Steuern zu sparen, stürzen sich Besserverdiener in Immobilienabenteuer. Darunter werden Mieter leiden.

Es gilt als gerecht, Menschen mit hohem Einkommen höhere Steuern aufzubürden. Deshalb ist der Jubel jedes Mal groß, wenn wie jetzt die SPD unter Kanzlerkandidat Martin Schulz den Spitzensteuersatz anhebt und es als Maßnahme für mehr gesellschaftlichen Ausgleich preist. In Berlin sollte man solche Ankündigungen allerdings mit Grausen betrachten. Das Einkommensniveau ist ohnehin niedrig. Sollte es kommen, wie die SPD es sich wünscht, dürfte der Druck auf den Mietmarkt weiter zunehmen und die Umwandlung von Mietshäusern in Eigentumsparzellen forciert werden. Also hört auf, euch über „Reichensteuern“ zu freuen.

Dabei habe ich nichts gegen Steuererhöhungen an sich. Auch ich finde es obszön, wie sich die Kluft zwischen Spitzenverdienern und einfachen Lohnempfängern rasant vergrößert. Die Balance der sozialen Marktwirtschaft zwischen Arbeit und Verdienst ist längst abhandengekommen. Noch nie ist der Unterschied zwischen kommt-gerade-so- durch und wohlhabend so eklatant gewesen und von der Frage abhängig, ob jemand einfacher Lohnempfänger ist oder über Kapitalerträge verfügt.

Hohe Steuern erhöhen nur den Drang, sie zu umgehen

Debatten um Spitzensteuersätze helfen da leider nur überhaupt nicht weiter, wie der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nicht müde wurde zu betonen. Denn unter den Bedingungen eines Steuerrechts, das weitreichende Möglichkeiten zur Abschreibung vorsieht, sind Steuersätze an der 50-Prozent-Marke kontraproduktiv. Sie erhöhen nur den Drang, sich dem Fiskus durch Ausnutzung ebenjener Regeln zu entziehen, die bei Steuererhöhungen unangetastet bleiben. Das System korrigiert sich in dieser Hinsicht quasi selbst. Stattdessen müsste man Abschreibungswege versperren. Derer gibt es etliche. Ein ganzer Geschäftszweig der Steuerberater verdient prächtig daran. Denn bei höherer Steuerlast rechnet es sich für Besserverdiener noch mehr, in Eigentumswohnungen zu investieren und Schulden zu machen, für die sie bei der derzeitigen Zinslast sogar belohnt werden.

Das kann man in Berlin nicht ernsthaft wollen. Schon jetzt treibt das billige Bankengeld viele Menschen in riskante Finanzierungsmodelle. Sie kaufen Wohnraum, sei es als Altersvorsorge, als Kapitalparkplatz oder um den steigenden Mietpreisen durch eine verlässlichere Bankbürgschaft zu entgehen. Der Staat will das sogar. Er fördert Wohnungsbesitzer steuerlich, die Mietraum für andere schaffen, und rechnet ihnen ihre Investitionen und Betriebskosten an.

Noch mehr Geld aus vermögenden Städten würde in die Hauptstadt gelenkt

Für die Mittelschicht mag viel Segensreiches in dem Steuerkonzept von Schulz zu finden sein. Aber was passieren würde, wenn Jahreseinkommen ab 76 200 Euro mit 45 Prozent und ab 250 000 Euro mit 48 Prozent besteuert würden, kann man sich ausmalen. Der Run auf Grundstücke in Berlin nähme zu. Dass deren Preise vielleicht bereits überhöht sind, zählte nicht mehr – sie zahlten sich steuerlich ja aus. Und das Verhängnis der Überschuldung nähme weiter seinen Lauf.

Diese Dynamik birgt vor allem für Berlin große Gefahren. In München und Hamburg sind die Grundstückspreise traditionell auf einem hohen Niveau, sodass steuerliche Effekte dort trotz der hohen Durchschnittseinkommen nicht so stark ins Gewicht fallen. In Berlin aber bewegen sich die Immobilienpreise auch nach etlichen Boomjahren noch auf einem von Zukunftserwartungen durchfluteten Rendite-Niveau. Mit dem Effekt, dass noch mehr Geld aus den reichen Städten des Westens in die Hauptstadt gelenkt würde und es für Berliner schwieriger würde, hier selbst Wohneigentum zu erwerben. Oder eben unter noch ungünstigeren Konditionen.

Schon jetzt haben Mieter unter der fortschreitenden Parzellierung ihrer Wohnhäuser zu leiden. Die Hausverwaltung muss unterschiedliche Interessen bedienen, Unruhe entsteht, Kosten dürfen nicht anfallen. Und dann ist da die Unsicherheit über die ökonomischen Ziele des Vermieters. Was will er mit der Wohnung, die man als das eigene Zuhause betrachtet? Große Immobiliengesellschaften haben ihren Zweck in sich selbst. Auch nicht immer einfach. Aber bei Steuersparmodellen wird’s kompliziert.

Dieser Text erschien zuerst am 24. Juni 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

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