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Sperrmüll-Mafia in Berlin: Sobald das Gerümpel auf der Straße steht, verlangen die Betrüger Wucher-Preise.

© imago/Jürgen Ritter

Amtsgericht Tiergarten: Mitglied der Sperrmüll-Mafia verurteilt

Immer wieder werden Berliner Opfer von Sperrmüll-Betrügern. Diese handeln angeblich im Auftrag der BSR und nehmen Wucher-Preise. Ein Fall kam nun vor Gericht.

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Als Bugra G. in den Gerichtssaal geht, beachtet er den Senior auf dem Flur nicht weiter. Der 86 Jahre alte Mann ist eines von vielen Opfern, die durch G. und seinen Komplizen bei der Entsorgung von Sperrmüll getäuscht, unter Druck gesetzt und mit Wucherpreisen abgezockt wurden. Rudolf A. erinnert sich mit Grausen an die Szene in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg. „Er kam mit fünf Männern.“ Sie sollten eine alte Couch abholen. Es seien 95 bis 115 Euro abgemacht gewesen. Als der Sperrmüll auf der Straße stand, habe G. erklärt: „Kostet 1300 Euro.“ Rentner A. zahlte. „Aus Angst“, sagt er. Seine Frau habe geweint. „Rentner haben doch Geld“, habe G. gerufen. Und gedroht, die demolierte Couch wieder nach oben zu tragen. „Das kostet trotzdem 400 Euro“, habe G. ihm erklärt. Knapp drei Jahre später ist der 86-Jährige mit im Saal, als der 38-Jährige G. verurteilt wird. Zwei Jahre Haft auf Bewährung verhängt das Amtsgericht Tiergarten am Dienstag. Bugra G. sei des Wuchers in neun Fällen, des Betrugs und der Erpressung schuldig. Rund 18 000 Euro seien als Wertersatz einzuziehen.

BSR warnt bereits seit Jahren vor Betrügern

Bugra G. sei als Vorarbeiter einer privaten Firma unterwegs gewesen, „die ihren Namen oft wechselt“, heißt es weiter im Urteil. Die Webseite sei so gestaltet, dass man sie auf den ersten Blick für die der BSR halten könnte. Am Telefon habe man freundlich gute Preise gemacht. Doch dann sei G. mit kräftigen Tagelöhnern aufgetaucht. Wenn das Gerümpel auf der Straße stand, seien Wucher-Preise verlangt worden mit falschen Behauptungen wie: „Die Menge ist nicht richtig.“ Die verlangten Summen waren viel höher als das Marktübliche – in einem Fall um mehr als das Zehnfache. „Vor allem ältere Menschen wurden unter Druck gesetzt.“

Die Berliner Stadtreinigung warne schon seit Jahren vor den falschen Sperrmüll-Männern, sagt BSR-Sprecherin Sabine Thümler. „Aber uns erreichen immer noch Briefe und Anrufe, weil viele Menschen bis zuletzt glauben, dass die vermeintlichen Sperrmüllentsorger von der BSR sind oder als Subunternehmer beauftragt wurden.“ Deshalb trügen die Täter oft auch orangefarbene Westen oder behaupteten, für die angeblich total überlastete Stadtreinigung einzuspringen. „Aber die BSR beschäftigt keine Dritten, keine Subunternehmen“, stellt Sabine Thümler klar: „Nur, wo BSR draufsteht, ist auch BSR drin.“ Sie rät Betroffenen, sich die Betriebsausweise zeigen zu lassen und dabei auch auf die Anordnung der drei Buchstaben zu achten. Auch im Internet firmiere die BSR ausschließlich unter www.bsr.de und unter sonst keinerlei abenteuerlichen Konstruktionen. Wer sicher gehen wolle, dass er es mit der richtigen Stadtreinigung zu tun hat, könne auch anrufen, sagt Thümler: „Alle unsere Nummern beginnen mit den Ziffern 7592, man kann sich also vor dem Abschluss eines Vertrags rückversichern.“

Die sogenannte Sperrmüll-Mafia ist nicht nur in Berlin aktiv, sondern auch in anderen Großstädten wie Hamburg oder Leipzig. Dazu wirbt sie geschickt im Internet mit sich ständig ändernden Firmennamen, die ebenso schnell und oft verschwinden wie Kontoverbindungen, an die Kunden ihre Rechnungen zahlen.

Das mache die Aufklärung oft schwierig, sagt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner: „Außerdem handelt es sich bei vielen Sperrmüll-Delikten um unseriöse und teilweise kriminelle Verhaltensmuster, die manchmal aber noch nicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschreiten.“

Die schwierige Suche nach Hintermännern

„Im Grunde genommen haben wir die Spitze des Eisberges verhandelt“, sagt Richter Sascha Daue. „Wir sind überzeugt, es gibt eine viel größere Anzahl von Tätern im Hintergrund.“ Bugra G., der als „Herr Morgenstern“ auftrat, sei in die Firma eingebunden gewesen. Er habe Provisionen erhalten – bis zu 50 Prozent vom ergaunerten Gewinn. Bedauerlicherweise seien die Hintermänner noch nicht ermittelt worden. Bugra G. hatte gestanden, Auftraggeber aber nicht genannt.

„Die Beweisführung in solchen Fällen ist auch deshalb schwierig, weil es sich um einen rechtlichen Graubereich handelt“, sagt Oliver Klau vom Landeskriminalamt Berlin: „Nötigung ist schwer nachzuweisen. Zwar sagen viele, vor allem ältere Opfer aus, dass sie sich genötigt fühlten, aber das heißt noch lange nicht, dass der Straftatbestand objektiv erfüllt ist.“

Oliver Klau beschäftigt sich seit Jahren mit der Sperrmüll-Mafia und ist froh, dass es in den vergangenen Monaten in Berlin erstmals einen Rückgang der entsprechenden Anzeigen gegeben hat. „Es geht ja nicht nur um den Betrug und die Abzocke, sondern oft um moralisch grenzwertiges oder gar sehr verwerfliches Verhalten“, sagt er. „Gerade wenn es sich um ältere Menschen handelt, die vielleicht den Hausstand eines geliebten Angehörigen auflösen müssen. Da werden die Schwachen und Hilflosen unserer Gesellschaft schamlos angegriffen“, sagt Oliver Klau. „Das macht schon traurig.“

Bugra G. stellte sich vor Gericht selbst als Opfer dar: Er sei zur Tatzeit von September 2015 bis Juni 2016 mittellos gewesen. Er habe „die Preise ordentlich in die Höhe getrieben“. Mit Lügen wie „Da wird auch noch eine Umweltsteuer fällig“ oder „Da brauchen wir eine Schutzausrüstung“. Doch auch er sei von der Firma ausgenutzt worden, behauptete der mehrfach vorbestrafte Angeklagte.

Im Prozess gab es eine Verständigung: Bewährungsstrafe bei Geständnis. G. habe den inzwischen zum Teil pflegebedürftigen Zeugen eine Aussage im Prozess erspart, so das Gericht. Außerdem habe er die finanziellen Ansprüche der Geschädigten anerkannt.

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