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Andreas von Welczeck, 64.

© Thomas Loy

Amtsarzt von Treptow-Köpenick: „Wir wissen nicht genau, wie sich das Virus verhalten wird“

Nimmt die Bevölkerung das Virus ernst? Und wie gut ist Berlin vorbereitet? Der Amtsarzt von Treptow-Köpenick teilt seine Einschätzung im Interview.

Andreas von Welczeck ist Amtsarzt von Treptow-Köpenick. Bei diesem Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Interview, das am Montag im Leute-Newsletter für Treptow-Köpenick veröffentlicht wird. Behalten Sie den Überblick über Corona in Ihrem Kiez: In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de

Dass Schulen und Kitas nächste Woche schließen, halten Sie das auch persönlich für richtig?
Es gibt ja kein Alternative. Ein Virus, das man nicht sieht, das sich durch Husten überträgt und vielleicht noch eine Zeit lang an Türklinken haftet, wie soll man sich sonst davor schützen? Und wenn man irgendwo hingeht, auch im Freundes- oder Familienkreis, sollte man auf Abstand achten, 1,5 Meter links und rechts. Auch wenn man in Kinos geht oder Restaurants. Ein Hustenstoß reicht ungefähr einen Meter weit. Abstand halten ist kein absoluter Schutz, aber man wird vielleicht 99 Prozent weniger Viruspartikeln ausgesetzt. Das Virus vermehrt sich im Rachen, aber die Infektion beginnt viel tiefer in der Lunge, daher sind viele Abstriche, die wir nehmen, oft negativ, obwohl die Betreffenden den Virus schon in sich tragen. Deswegen ist es sinnlos, Menschen, die keine Symptome haben und nicht in Risikogebieten waren oder Kontakt mit Infizierten hatten, zu testen – und dabei wertvolle Test-Kits und Laborkapazitäten zu verschwenden. Aus meiner Sicht ist es unerträglich, dass die Abklärzentren überrannt werden, weil immer mehr Arbeitgeber ihre Leute auffordern sich testen zu lassen. Einige werden dann aggressiv, wenn wir sagen: Ihr kriegt das nicht, wir brauchen die Tests für die Verdachtsfälle, wenn jemand aus Südtirol kommt und erkältet ist.

Glauben Sie, dass die Menschen die Gefahren des Virus schon ausreichend ernst nehmen?
Die Bevölkerung teilt sich halt in verschiedene Charaktere. Die einen sagen wie die Kölner im Karneval, et is noch immer jut jejange, die halten sich dann seltener an Sicherheitsregeln und erkranken eher. Andere neigen zu Pessimismus oder werden hysterisch, aber ich denke, die meisten reagieren halbwegs vernünftig.

Und wie reagieren Sie persönlich?
Ich war gestern in der brasilianischen Botschaft, im letzten Konzert, das dort gegeben wurde. Da war es schon ziemlich leer, und ohne dass dort ein Hinweisschild gestanden hätte, haben sich alle Paare und Grüppchen auseinandergesetzt. Die Botschaft unterbricht übrigens ihre Veranstaltungen für ein ganzes Jahr, die sehen es also realistisch. Das hat ja auch der Virologe der Charité, Christian Drosten, so gesagt. Im Sommer wird es etwas abklingen, aber im Herbst kommt die Epidemie wahrscheinlich zurück.

[Die aktuellen Informationen und Entwicklungen zum Coronavirus in Berlin können Sie hier im Berlin-Newsblog lesen.]

Bis jetzt reichen die Schließungen und Absagen nur bis nach den Osterferien.
Das wird nicht reichen. Wir hoffen ja auf diesen Sommereffekt. Das war bei anderen Infektionswellen auch so. Aber der Coronavirus ist neu, wir wissen nicht genau, wie er sich verhalten wird.

Sie schicken ja alle Kontaktpersonen, die ein Infizierter über 14 Tage getroffen hat, in häusliche Quarantäne. Wird das eigentlich eingehalten? Bleiben die Leute wirklich zuhause?
Das wird in der Masse eingehalten, aber wir haben schon Anrufe von Nachbarn, dass da jemand munter durch die Straße läuft. Wir ermahnen sie dann, und wenn das nichts bringt, verhängen wir Bußgelder. Im schlimmsten Fall drohen bis fünf Jahre Gefängnis. Das ist alles im Infektionsschutzgesetz geregelt. Solche Leute gefährden ja nicht sich, sondern die Gesellschaft.

Wie gut ist eigentlich Berlin, sind die Bezirke auf diese Pandemie vorbereitet?
Das kann man letztlich erst im Nachhinein einschätzen. Das ist ja auch alles eine Kostenfrage. Man könnte leerstehende Krankenhäuser errichten, teure Beatmungstechnik anschaffen, für den Ausnahmefall einer Pandemie, dann muss man aber alle zehn Jahre die Geräte wegschmeißen, alle fünf Jahre die Computer ausbauen. Da würden dann viele sagen: Die spinnen, die Mediziner.

Wie sieht´s denn bei uns im Bezirk aus. Es gibt beispielsweise kein Abklärzentrum, was einige schon bemängeln.
Es werden wahrscheinlich weitere Abklärzentren mittelfristig noch geöffnet. Aber wir müssen auch die Krankenhäuser dazu kriegen, das zu machen.

Wie sieht’s mit Schutzkleidung und Atemmasken aus?
Haben wir hier nur begrenzt. (Er zeigt auf ein halbes Dutzend Kartons, die auf zwei Schränken gestapelt sind). Deshalb ist das unter meiner persönlichen Kontrolle. Das sind nicht alle Vorräte, sondern das, was wir hier selber brauchen, wenn wir rausfahren und Abstriche machen. Etwa FFP3-Masken, die sind teuer.

Kann man nicht auch Staubmasken aus dem Baumarkt nehmen?
Das sind FFP2-Masken, die schützen ein bisschen, mindern das Übertragungsrisiko vielleicht auf zehn Prozent. Einen Abstrich kann ich damit nicht machen, weil ich in den Rachen rein muss, das löst oft einen Hustenreiz aus. Als ich die 20 Heimkehrer aus Wuhan, die bei uns in Quarantäne waren, abgestrichen habe, haben mich drei direkt angehustet.

Wie geht´s Ihnen eigentlich persönlich in diesen Tagen. Haben Sie Angst sich anzustecken?
Ich habe selber schon 28 Abstriche gemacht, aber da trage ich halt die Schutzausrüstung. Ich sehe für mich die größte Gefahr in der überfüllten S-Bahn, die ist ja eh unerträglich. Ich muss immer die S 5 fahren, von Kaulsdorf bis Ostkreuz. Heute war sie allerdings relativ leer.

Was wäre denn die nächste Eskalationsstufe, nach Schließung von Schulen und Kitas.
Das wäre dann, Geschäfte für den nicht alltäglichen Bedarf und Restaurants zu schließen. Man fährt jetzt auf Sicht, schaut sich die Infektionsraten an und legt dann mit der nächsten Maßnahme nach, und dann nochmal nach. Aber man kann Staat und Wirtschaft nicht auf Grund laufen lassen. In dem Moment, wo alle zuhause in Quarantäne sind, wie in Italien, und bestimmte Sachen funktionieren nicht mehr, etwa das Internet, dann wird´s sehr schwierig. Das haben wir ja beim Stromausfall in Köpenick erlebt. Supermärkte und Apotheken werden wir auf alle Fälle immer offenhalten.

Wie sieht es zurzeit im Bezirksamt aus. Sie bekommen Verstärkung aus anderen Abteilungen?
In einer ersten Phase können wir 50 Leute abrufen, die uns bei der Ermittlung der Kontakte helfen. Davon bilden wir jetzt 24 aus, damit sie die richtigen Fragen stellen. Ich weiß aber nicht, wer davon jetzt zuhause bleiben muss, um sich um seine Kinder zu kümmern. Das Bezirksamt hat 1600 Beschäftigte und die müssen, wenn wir das fordern, bis zum letzten Mann und zur letzten Frau zur Verfügung stehen. Auf jeden Infizierten kommen ja 50 bis 100 Personen, die ermittelt werden müssen, um sie dann in Quarantäne zu setzen. Wenn sich nur ein Prozent der Treptow-Köpenicker mit dem Virus anstecken würde, hätten wir rein rechnerisch ganz Treptow-Köpenick in Quarantäne. Das funktioniert natürlich nicht. Das werden wir so nicht durchhalten können, wenn die Zahlen deutlich ansteigen.

Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer bei den Infizierten ein?
Es haben derzeit vielleicht eine Million Menschen einen Infekt, also Schnupfen oder Influenza oder eben den Corona-Infekt. Bei 1000 Infizierten kann man die Infekte vielleicht noch unterscheiden, aber bei 10.000 oder 20.000 geht das nicht mehr. Dann muss vielleicht jeder zuhause bleiben, der einen Infekt hat. Aber das geht nicht überall, wenn Krankenhäuser und Pflegeheime nicht ohne Personal dastehen sollen. Ich vermute, dass auf jeden positiv Getesteten zehn weitere kommen, die wir nicht sehen.

Wie ist derzeit ihr Tagesablauf – wie lange arbeiten Sie, 16 Stunden?
16 Stunden kann ich nicht. Der Tagesablauf ist extrem chaotisch, es kommen ständig neue Anweisungen aus der Senatsverwaltung, Abfragen für Statistiken, komplizierte Mail-Anfragen müssen dokumentiert werden, und ich als Amtsleiter versuche das zu koordinieren. Die zwölf Amtsärzte sitzen oft zusammen, sprechen sich ab, was als nächstes zu tun ist.

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