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Ein Bild aus frühen Tagen der Ufa-Fabrik. Musik und Spaß gehörten immer dazu.

© Ufa-Fabrik

Alternatives Lebens- und Kulturprojekt in Berlin: Die Ufa-Fabrik feiert 40. Geburtstag

Am 9. Juni 1979 wurde die Ufa-Fabrik besetzt. Seitdem wird dort Kultur gemacht, gelernt, an alternativen Konzepten gewerkelt. Wie es war und was wird.

Wie gut, dass die U-Bahn-Station Ullsteinstraße in der Nähe war. Sonst hätten sich die Besetzer vielleicht nicht gerade dieses Gelände mit den vielen großen und kleinen Gebäuden ausgesucht. Das frühere Filmkopierwerk der Ufa lag aus damaliger Sicht nicht unbedingt ideal. Mitten im spießigen Tempelhof – gefühlt meilenweit entfernt von Kreuzberg oder Schöneberg, wo die Szene zu Hause war. Aber so machten sich rund 100 Aktivisten an diesem Sonnabend im Juni 1979 auf, um das knapp 19 000 Quadratmeter große Areal zwischen Teltowkanal und Viktoriastraße zu erobern. Diesen Pfingstsonntag jährt sich der Tag zum 40. Mal, an dem sie das Gelände „wieder friedlich in Betrieb nahmen“, wie Sigrid Niemer sagt, die seit damals dazugehört. An diesem Sonntag wird mit einem umfangreichen Programm gefeiert. (Infos finden Sie hier)

1978 gab's das Umweltfestival "Umdenken, umschwenken"

Niemer, im Juni 1979 gerade 24 Jahre alt, hatte Kunst und Pädagogik studiert, war in der Kurfürstenstraße im Projekt „Fabrik für Kultur, Sport und Handwerk“ aktiv. Ein Jahr zuvor fand das Umweltfestival „Umdenken, umschwenken“ statt. Dort entstand die Idee, einen Ort zu suchen, an dem man gemeinsam arbeiten und leben kann, wo Ökologie und Kultur gleichermaßen ihren Raum finden, wo Erwachsene und Kinder sich nach ihren Vorstellungen entfalten können. Dafür war das Tempelhofer Gelände ideal, von dem Tag an wurde die Ufa-Fabrik aufgebaut. Und die ist schon lange nicht mehr aus Berlin wegzudenken mit ihren vielen Angeboten wie dem Nachbarschaftszentrum NUSZ, dem Kinderbauernhof, dem Café Olé, den Yoga- und Gesundheitsangeboten, den Trommelkursen, den vielen Veranstaltungen, Musik, Theater, Kabarett, der Freien Schule, die noch in den ersten Wochen gegründet wurde und bis heute Bestand hat. Den Bioladen und die Bäckerei gibt’s auch noch, sie werden inzwischen aber von dem Biomarktunternehmen LPG geführt. Rund 200 Menschen arbeiten heute auf dem Gelände.

Sigrid Niemer gehört seit dem ersten Tag zu den Aktivisten der Ufa-Fabrik.
Sigrid Niemer gehört seit dem ersten Tag zu den Aktivisten der Ufa-Fabrik.

© Kai-Uwe Heinrich

„Wir wollten uns von Anfang an nicht abschotten, sondern immer auch nach außen öffnen“, sagt Sigrid Niemer. Schnell hing ein Transparent „Herzlich willkommen“ über dem Eingang. Man ging mit Clowns und Musikern auf die Straße, wollte bunt und freundlich sein, die Gesellschaft auch durch Freude und Spaß ändern. Von den rund 100 Leuten, die die Ufa-Fabrik besetzten, blieben damals rund 45, um auch dort zu leben. Nach drei Wochen gab es ein erstes Bleiberecht; im Spätherbst kam der Mietvertrag. Erst 1986 wurde ein langfristiger Erbbaurechtsvertrag unterschrieben. Das war hilfreich, wenn bei Umbau- oder Sanierungsarbeiten ein Kredit aufgenommen werden musste.

Es herrschte das Prinzip der gemeinsamen Kasse

„Die ersten Jahre sind wir komplett ohne Förderung ausgekommen“, sagt Niemer. In den Anfängen war es wichtig, sich immer wieder zu sagen: „Wir packen das komplett aus eigener Kraft.“ Damit das funktionierte, herrschte das Prinzip der gemeinsamen Kasse. Keiner hatte privates Geld, alles wurde gemeinschaftlich verwaltet. Brauchte man etwas für eine private Anschaffung, dann musste gefragt werden, und manchmal gab’s die Kasse nicht her. In den ersten 25 Jahren war die finanzielle Situation immer „extrem angespannt“.

Ein regelmäßiges Plenum gibt es nach wie vor

„Wir wollten neue Formen des Wirtschaftens ausprobieren“, erklärt Sigrid Niemer. Das führte irgendwann zu Konflikten mit dem Finanzamt, die Steuergesetze kamen damit nicht zurecht. Es mussten andere Strukturen aufgebaut werden: Ein Verein wurde gegründet, die verschiedenen Aktivitäten einzelnen Organisationen zugeordnet. Und auch Gehälter wurden dann gezahlt. Kein Einheitslohn. „Aber das Gefälle ist bei uns immer noch sehr klein.“ Geblieben ist, dass alle großen Planungen für die Ufa-Fabrik gemeinsam im Konsens entschieden werden. Nach wie vor gibt es regelmäßig ein Plenum, in dem alles diskutiert wird. Mitunter dauern die Planungsprozesse sehr lange, aber wenn eine Entscheidung getroffen sei, gehe es mit der Realisierung vergleichsweise zügig, sagt Niemer. Alle Eventualitäten seien eben vorher schon durchgekaut worden.

Auf der Bühne der Ufa-Fabrik. Das Bild stammt aus dem Jahr 1982.
Auf der Bühne der Ufa-Fabrik. Das Bild stammt aus dem Jahr 1982.

© Ufa-Fabrik

Sie hat seit den ersten Tagen so ziemlich alles ausprobiert, was man in der Ufa-Fabrik machen konnte: im Druckereikollektiv gearbeitet, Flugzettel designt und gedruckt, im Laden gearbeitet, renoviert, bei den Veranstaltungen Karten abgerissen, das Abendbrot für die Kinder gemacht, geputzt, auf der Bühne gestanden, getanzt. Ein Foto aus den frühen Jahren zeigt Niemer – langes, gewelltes Haar, runde Nickelbrille. Mit einigen Ufa-Aktivisten macht sie Musik irgendwo auf der Straße, spielt Geige. Zu sehen ist neben ihr auch der Mann, den alle nur Juppy nennen und der über die Jahrzehnte das bekannteste Gesicht der Ufa-Fabrik geworden ist. Inzwischen hat sich Sigrid Niemer längst von der Bühne zurückgezogen, ist schon seit Jahren für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sie braucht auch ihre Rückzugsorte, lebt mit ihrem Mann in einer Wohnung auf dem Gelände, erzählt sie beim Gespräch im Café.

Ein Ökohaus ist das nächste große Projekt

Rund ein Drittel der derzeit knapp 40 Bewohner sind von Anfang an dabei, ein weiteres Drittel stieß innerhalb der ersten fünf Jahre dazu. Die übrigen leben noch nicht ganz so lange dort. Einige Kinder der Gründergeneration sind als junge Erwachsene vor Jahren ausgezogen, um ihr eigenes Leben zu leben, abseits der Ufa-Gemeinschaft. Manche sind wieder zurückgekommen. Auch Sigrid Niemers Sohn, jetzt Mitte 30. Nach einem Wirtschaftsstudium arbeitet er inzwischen in der Verwaltung der Ufa-Fabrik, wohnt jedoch nicht auf dem Gelände. Die alten Mitstreiter kommen in die Jahre, einige sind schon gestorben. Man macht sich Gedanken, wie es weitergehen soll, wie Jüngere die Ufa-Fabrik aufrechterhalten und weiterentwickeln können. Niemer nennt es „Generationenerweiterung“. Deswegen steht ein wichtiges Projekt an: Es soll ein neues Wohngebäude auf dem Areal gebaut werden. Ein rundum ökologisches Haus in Lehmbauweise. Vor drei Jahren begannen die ersten Diskussionen. Die Planungen möchten nicht die Ufa-Alten übernehmen. Das soll die Jüngeren übernehmen, die dort wohnen wollen. „An diesen Aufgaben wächst man“, sagt Sigrid Niemer. Sie hat damit Erfahrung.

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