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Ein Prost auf die DDR: Schriftsteller Simon Urban hat sich ausgemalt, wie das östliche Deutschland ohne den Mauerfall heute aussähe.

© Soeren Stache/dpa

Alternative Geschichte: Darauf eine Bionier-Brause!

„Die Mauer steht in 100 Jahren noch“, sagte Honecker am 19. Januar 1989. Der Autor und Werbetexter Simon Urban hat die Produkte für eine heutige DDR entworfen.

Simon Urban, 43, ist Schriftsteller und Werbetexter, hat für seinen Roman „Plan D“ (Schoeffling, 552 Seiten, 24,95 €) die DDR weitergesponnen: Die Wiedervereinigung hat es nie gegeben, Egon Krenz ist seit 22 Jahren an der Macht, Berlin ein maroder Moloch, verpestet und verdreckt von Millionen Ölmotoren des Trabant-Nachfolgers Phobos. Für den Tagesspiegel hat Simon Urban die Produkte seiner Dystopie weiterverfolgt: Was würden wir trinken, fahren, essen in einer heutigen DDR - und wie telefonieren?

MINSK

Mobiltelefone und DDR, das schien lange nicht zusammenzupassen - doch dann legte der VEB Telemedien auf der Leipziger Herbstmesse 1992 zum Erstaunen des Fachpublikums den selbst entwickelten Mobilen Interaktionskommunikator (Minsk) vor. Das DDR-Handy war geboren und wurde schnell zu einem internationalen Überraschungserfolg, sodass der VEB Telemedien ab 1997 sogar Nokia als erfolgreichsten europäischen Hersteller vom Thron stieß.

Der Grund für den inzwischen legendären technologischen Vorsprung der Minsk-Modelle lag zahlreichen Experten zufolge in der angeblich verbauten Stasi-Technologie, was dem Minsk seinen Spitznamen Wanzk (Wanze = Abhörgerät, d.R.) einbrachte.

Auch wenn immer wieder Gerüchte aufkommen, dass die Staatssicherheit der DDR das Minsk gezielt erfunden habe, um die ganze Welt bequem belauschen zu können, ohne die Zentrale in der Normannenstraße verlassen zu müssen, wurden diese Vorwürfe nie bewiesen.

Den Werbeslogan „Minsk - jetzt haben Sie Redefreiheit“ zog Telemedien-Marketingchef Martin Miersch nach lang anhaltender Kritik dennoch zurück. Vor Kurzem hat der VEB Telemedien die Smartphone-Sparte des US-Technologiekonzerns Apple übernommen und so seine Marktführerschaft weiter ausgebaut.

PHOBOS

41 Jahre lang (1958-1999) war der Trabant das wohl bekannteste Symbol für die Deutsche Demokratische Republik. Doch nachdem sich Westdeutschland 1991 mit der Komödie „Go Trabi Go“ auf cineastische Weise über das Vorzeige-Industrieprodukt der DDR lustig gemacht hatte und Erich Honeckers Enkel Roberto in seinem nagelneuen Trabant 801 Aktivist auf der Flucht vor den Paparazzi der „Bild“-Zeitung liegen geblieben war (Motorschaden), musste das Politbüro handeln, um weitere Blamagen zu verhindern.

Nur acht Jahre später präsentierte der VEB Sachsenring den technisch kaum veränderten Trabant-Nachfolger, für dessen Modellbezeichnung eigens ein landesweiter Namenswettbewerb gestartet wurde.

Innovativ: So stellt sich der Autor ein DDR-Auto der Gegenwart vor.
Innovativ: So stellt sich der Autor ein DDR-Auto der Gegenwart vor.

© Illustration: Simon Urban

Der Astrologe Anjo Schwarz aus Haldensleben gewann schließlich mit dem Begriff Phobos, für den die Jury sich entschied, weil „der Phobos ein Trabant des roten - also sozialistischen - Planeten Mars ist, der unsere irdischen antifaschistischen Sehnsüchte symbolisiert wie kein anderer Himmelskörper“.

Neben dem Basismodell Phobos Prius werden auch der Kombi Phobos Datscha sowie das Cabriolet Phobos Flux angeboten. Aktuell entwickelt der VEB Sachsenring außerdem das Sondermodell Phobos Gysi, das speziell für den Linksverkehr ausgelegt sein soll.

BULETTO

„Niemand hat die Absicht, eine Fastfoodkette in der DDR aufzubauen“, hatte Egon Krenz noch vollmundig auf dem XV. Parteitag der SED erklärt, doch danach ging alles ganz schnell. Aufgrund der drastisch gefallenen Preise für britisches Rindfleisch durch den BSE-Skandal konnte es sich die DDR endlich leisten, echtes Beef von der Insel zu importieren. Noch 1996 eröffnete Landwirtschaftsministerin Katja Kipping persönlich die erste Buletto-Filiale am Alexanderplatz (wobei sie selber allerdings nur die Pommes Frites probierte).

Simon Urban
Simon Urban

© Privat

Nachdem die Bevölkerung den sogenannten Schnell-Ess-Restaurants zunächst skeptisch gegenüberstand, liefen der Wart-Burger mit Rucola-Mayonnaise, der Branden-Burger mit Analogkäse und das Marxi-Menü dem klassischen Broiler schließlich doch noch den Rang ab.

Das lag nicht zuletzt auch an Katarina Witt, die als nackte Werbebotschafterin der 1999 eingeführten süßen Dessertvariante Magde-Burger („Vernasch mich, du Prolet!“) einen handfesten Skandal verursachte, in den sich schließlich sogar das Politbüro einschaltete. Heute bietet Buletto auch als vegetarisch beziehungsweise vegan deklarierte Produkte auf Separatorenfleischbasis an.

BIONIER-BRAUSE

Als die Bio-Limo Bionade Mitte der 90er Jahre ihren Siegeszug in Westdeutschland feierte, ahnten die wenigsten Bundesbürger, dass Braumeister Dieter Leipold aus der Rhön das Rezept der fermentierten Softdrinks im realexistierenden Sozialismus gestohlen hatte: Denn schon 1991 konnte man in der DDR die beliebte Bionier-Brause erstehen - wenn sie nicht gerade ausverkauft war, was allerdings oft vorkam. Erfunden hatte sie der arbeitslose Bierbrauer Christian Kreis aus Halle, „damit die Leute in Sachen Sozialismus endlich mal auf den Geschmack kommen“.

Prost, Genossen: So könnte die Trendbrause der DDR aussehen, wenn es das Land dazu noch gäbe.
Prost, Genossen: So könnte die Trendbrause der DDR aussehen, wenn es das Land dazu noch gäbe.

© Illustration: Simon Urban

Mit seiner für damalige Verhältnisse neuartigen, betont frechen Werbekampagne sorgte Kreis dafür, dass Bionier- Brause schon bald in aller Munde war. Neben den Sorten Mecklenburger Sanddorn und Thüringische Walderdbeere trinkt man im Osten seitdem besonders gern die Sommer-Sondereditionen Sächsischer Rhabarber und Vorpommersche Stachelbeere.

Auch der Export nach Kuba und China wurde, getreu dem Bionier-Marken-Motto „Genießer aller Länder, vereinigt euch!“, zum vollen Erfolg. Nur in die BRD schaffte es die Bionier-Brause nie, was auch daran lag, dass Wolf Biermann sie öffentlich wiederholt als das „süßliche Gesöff der verdorbenen Greise aus dem Politbüro“ bezeichnete.

ROBOTRON

Noch in den frühen 90er Jahren wurde darüber nachgedacht, den VEB Kombinat Robotron zu schließen - zu weit schien die internationale Konkurrenz in der Computer- und Software-Entwicklung den Sachsen davongeeilt zu sein. Doch dann landete der aus Westdeutschland angeworbene Nachwuchsprogrammierer André Hennen mit Spielen wie „Die Mauerbauer“, „Kosmonaut Ronny“ und „Kosmonaut Ronny vs. die imperialistischen Ausbeuter vom Planet Pecunia“ umsatzstarke Game-Hits, die Robotron finanziell Luft verschafften.

Unter Hennen, seit 1997 jüngster Generaldirektor der Kombinatsgeschichte, wurde zunächst das mobile Audio-Abspielgerät Robotron Musikus zum Kassenschlager, dann folgten die von Fachleuten gelobten Sigma-Computermodelle sowie der tragbare „Taschencomputer“ Nanotchev Omikron. Heute ist Robotron ein solide aufgestelltes Unternehmen, das mit seinen 82 000 Angestellten zu den größten Arbeitgebern der DDR zählt. Die letzten Game-Publikationen des VEB, vor allem die mit Spannung erwartete Dystopie „Plan D“, in der die Spieler Ost- und Westdeutschland wiedervereinigen müssen, floppten allerdings.

Und wie sähe West-Berlin aus, wenn Erich Honecker Recht behalten hätte? Das lesen Sie unter diesem Link.

Alle Beiträge zu "30 Jahre Revolution und Mauerfall" finden Sie auf unserer Themenseite.

Simon Urban

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