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Fließender Übergang. Stünde die Mauer heute noch, wären wahrscheinlich die Grenzkontrollen moderner - hier ein Bild aus dem Tränenpalast.

© Schöning/Imago

Alternative Geschichte: Als Trump West-Berlin einmauern wollte

„Die Mauer wird in 100 Jahren noch stehen“, sagte Erich Honecker am 19. Januar 1989. Wie sähe West-Berlin aus, wenn er Recht behalten hätte? Ein Gedankenspiel

Ganz Berlin wartet gespannt auf den 1. Februar 2019. An diesem Tag sollen West-Berliner den Ostteil der Stadt erstmals per Fingerabdruckscanner besuchen können. Das von den DDR-Behörden seit fast vier Jahren versprochene Gerät des Robotron-Kombinats ist nun endlich einsatzfähig.

Wer sich in den Besucherbüros an den Bahnhöfen Zoo, Friedrichstraße einmalig registrieren lässt, der kann anschließend die innerstädtische Grenze ohne weitere Kontrolle mit einem einfachen Abdruck der rechten Hand passieren. Allerdings dauert der Ablesevorgang anfangs noch eine halbe Stunde, weil die verwendete Software, eine Robotron-Weiterentwicklung von Windows 95, die auflaufenden Datenmengen nicht richtig verarbeiten kann.

Das Jahr leidet dennoch unter neuen politischen Instabilitäten. Der Bonner USA-Botschafter Richard Grenell schickt die amerikanische Stadtkommandantin Ivanka Trump mit einer schockierenden Ankündigung ins Rathaus Schöneberg: Präsident Trump sei entschlossen, die amerikanische Truppenpräsenz in Berlin bis Jahresende auf Null zurückzufahren und den Vier-Mächte-Status der Stadt „auf den Müllhaufen der Geschichte“ zu werfen. Man müsse einfach eine große Mauer um den Westteil der Stadt bauen, dann sei die Sache erledigt. „Niemand baut Mauern besser als ich, glauben Sie mir“, sagt er, „and Germany will pay for it“.

„Das ist ja gerade das Problem“

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, der erst im vergangenen Jahr erneut Chef einer Senatskoalition mit den Grünen geworden war, reagiert sarkastisch. Er habe Frau Trump mitgeteilt, dass eine solche Mauer bereits seit fast 60 Jahren existiere, sagt er in der Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses, „das ist ja gerade das Problem“. Auch in Großbritannien gibt es wegen des Brexit Tendenzen, West-Berlin sich selbst zu überlassen.

Viel Empörung löst auch die Ankündigung der Bundesregierung aus, die achtprozentige Berlin-Zulage für Arbeitnehmer von 2020 an schrittweise abzuschaffen. Bundeskanzler Friedrich Merz teilt zur Begründung mit, wegen des massiven Bevölkerungsschwunds im Westteil seien die Mieten so weit gesunken, dass die Lebenshaltungskosten bereits auf dem Niveau der Landkreise Aurich und Wunsiedel lägen; das Märkische Viertel soll sogar Ende 2021 geschlossen und „zurückgebaut“ werden.

Merz sagt weiter, West-Berlin habe „kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem“. Das wird als Anspielung auf die Erweiterung des Flughafens Tegel gewertet, die seit acht Jahren im Bau ist und trotz nicht absehbarer Fertigstellung schon mehr als fünf Milliarden Euro verschlungen hat.

Kreuzberg wird von der autonomen Antifa-Miliz kontrolliert

Währenddessen geht in der Autonomen Republik Kreuzberg das Leben weiter. Ihr Alterspräsident und Ost-Beauftragter Christian Ströbele hat in direkten Gesprächen mit DDR-Staats- und Regierungschef Egon Krenz einen so genannten kleinen Grenzverkehr nach Ost-Berlin erkämpft, der über die Oberbaumbrücke führt. Kreuzberger dürfen nach Ost-Berlin, Ost-Berliner nach Kreuzberg – aber den Bezirk nicht in Richtung Westen verlassen.

Der bereits bestehende, von der autonomen Antifa-Miliz kontrollierte Maschendrahtzaun zwischen Kreuzberg und dem Rest West-Berlins wird dafür mit moderner Sensortechnik nachgerüstet. Das KaDeWe hat für die Ost-Besucher im ehemaligen Kaufhaus Kato am Schlesischen Tor eine Dependance eingerichtet, die von Beginn an überlaufen wird. Für die Schnupperwochen bis Ende März gilt dort ein Wechselkurs von 2:1 für DDR-Mark gegen Euro.

Immer wieder Ärger macht auch die West-Berliner Internetverbindung. Sie wird zwar über eine Richtfunkstrecke von Hannover aus permanent aufrechterhalten, von den DDR-Behörden aber offenbar häufig gestört. Umgekehrt klagen DDR-Bürgerrechtler darüber, dass Ihnen der Zugang zu vielen Internet-Seiten wie Google, Amazon und Facebook immer noch von der Zensur verwehrt wird.

Entlang der Mauer hat der Senat deshalb W-Lan-Router installieren lassen, um den Ost-Berlinern in der Nähe freien Zugang zum Netz zu schaffen. Benutzer fühlen sich aber von der aufdringlichen Sponsorenwerbung für Produkte genervt, die ihnen nicht zugänglich sind. Für die DDR-Oberen gelten andere Regeln: Staats- und Regierungschef Krenz, trotz seines hohen Alters ein begeisterter Twitterer, hat im Westen schon fast 100.000 Follower, denen er die Annäherung der DDR an die Volksrepublik China nahezubringen versucht: Er würdigt wiederholt die „ökonomischen und ökologischen Bemühungen Pekings“.

Mit Scharfschützen gegen Drohnen

Wenngleich die Lage der beiden Stadthälften rund 60 Jahre nach dem Mauerbau als entspannt gilt, stören immer wieder Zwischenfälle die Harmonie. So werden auf zahlreichen Wachtürmen entlang der Innenstadtmauer Scharfschützen stationiert, deren einzige Aufgabe es ist, die aus West-Berlin ständig einfliegenden Drohnen über DDR-Gebiet abzuschießen.

Krenz twittert, das sei „die angemessene Reaktion auf einen flagranten Angriff auf das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik“. Die Piloten machen aus den Flügen einen politisch heiklen Wettbewerb, die „Bild“-Zeitung veröffentlicht täglich Luftbilder aus Ost-Berlin sowie die Zahl der abgeschossenen und heil zurückgekehrten Drohnen. Dummerweise fallen den Schützen auch immer wieder Tauben und Krähen zum Opfer.

An anderen Stellen: Normalität. Das erste Freundschaftsspiel nach Jahrzehnten zwischen Hertha und Union in der Alten Försterei wird live in Ost und West übertragen und endet unentschieden 0:0. Hunderte Hertha-Ultras zünden bengalische Feuer und liefern sich nach dem Abpfiff eine Straßenschlacht mit der Volkspolizei. Toni Kroos, DDR-Nationalspieler und Union-Kapitän, schafft in der Deckung der Hertha-Fans die Flucht in den Westen und wird begeistert begrüßt. Egon Krenz twittert erbost: „Tja, West-Berlin, das war’s mit der Scanner-Einreise.“

Und wie sähe Ost-Berlin aus, wenn Erich Honecker Recht behalten hätte? Das lesen Sie unter diesem Link.

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