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Inszenierte Geschichte. Die Gruppe bei den Vorbereitungen.

© Sven Darmer

Als 500.000 Bürger aufbegehrten: Berliner Theaterkollektiv spielt die größte Demo der DDR nach

Ab Montag ist der Alexanderplatz eine Woche lang Schauplatz der Mauerfall-Feiern. Den Anfang macht der „Panzerkreuzer Rotkäppchen“. Ein Probenbesuch.

Revolutionäre Reden auf dem Alexanderplatz am 4. November 2019. Ja, das Jahr stimmt. Anlässlich des Wendejubiläums finden nämlich auf dem Alexanderplatz ab Montag eine Woche lang Veranstaltungen statt. Den Auftakt macht eine Performance der besonderen Art: „4-11-89 Theater der Revolution“ ist ein Stück über die größte freie Demonstration der DDR mit 500.000 Teilnehmern – am historischen Ort des Protestes. Aufgeführt wird es ab 17.30 Uhr im Rahmen der Eröffnung der Festivalwoche mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller.

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Sentimental wird es bestimmt nicht. Das Berliner Theaterkollektiv „Panzerkreuzer Rotkäppchen“ will nicht in Geschichte schwelgen, sondern zum „aktiven Erinnern an die Demo am 4. November“ auffordern, sagt die Regisseurin Susann Neuenfeldt. Dafür bringt die Truppe Musiker, Schauspieler, Tänzer und Lichtkünstler zusammen und vermengt die Wendegeschichte mit aktuellem Geschehen.

Auf der Bühne inszenieren Schauspieler zwölf Reden, die DDR-Protagonisten auf der Großdemonstration hielten – in verfremdeter und künstlerisch wie politisch aktualisierter Form. Mal ernst, mal ironisch, mal witzig. Als Karikatur tritt der Autor Heiner Müller auf, einer der wichtigsten kritischen Intellektuellen der DDR. Neuenfeldt lässt ihn als Zigarre rauchende, hustende und stotternde Figur auftreten, die an Udo Lindenberg erinnert. „Ich denke, Müller würde den Humor verstehen“, sagt die Regisseurin.

Als die Demo stattfand, war Neuenfeldt 16 und lebte in der DDR. Sie verfolgte alles im Fernsehen mit. Als Müller einen Aufruf zur Gründung von Gewerkschaften vorlas, statt eine eigene Rede zu halten, war sie enttäuscht. Auch von der Demo selbst hatte sie sich mehr erhofft: „Ich fand, dass dort zu wenig los war. Die Menschen waren artig, ruhig – fast lethargisch. Mir hat die Kraft gefehlt.“

Gruppe positioniert sich gegen Rechts

Der Performance am 4. November wird es – der Probe nach zu urteilen – nicht an Kraft fehlen. Das ist auch der Band auf der großen Bühne zu verdanken, die das Geschehen, mal mit Techno, mal mit Trommeln, mal mit ruhiger klassischer Musik untermalt.

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Das „Rotkäppchen“ im Namen des Theaterkollektivs spielt übrigens auf den noch heute beliebten DDR-Sekt an. Panzerkreuzer Rotkäppchen arbeite „politisch, über den Osten und aus Ostperspektive“, sagt Neuenfeldt. Der politische Anspruch der Truppe zeigt sich auch in den Reden, von denen viele mit Aktuellem angereichert sind. Einige thematisieren rassistische Angriffe, zum Beispiel die in Rostock-Lichtenhagen 1992, die NSU-Morde und den jüngsten rechtsterroristischen Anschlag in Halle.

Zwei der zwölf Texte sind komplett neu geschrieben: In einer glühenden Rede macht die Aktivistin Fatma Kar ihrer Wut über Rassismus in Deutschland Luft. Sie hat sie selbst geschrieben, wie auch die 14-jährige Klimaaktivistin Charlotte Tjaben. Mit ihrem gelben Regenmantel und ihren wütenden, anklagenden Worten ist sie aus der Ferne von Greta Thunberg kaum zu unterschieden.

Es soll und kann „Unvorhergesehenes“ passieren

Während die mal ernsten, mal unterhaltsamen Reden von der Bühne auf das Publikum herabgerufen werden, bewegen sich auf einer Zweitbühne, die einige Meter von der Hauptbühne entfernt steht, 57 Performerinnen im Rhythmus der Musik. Sie wirken lethargisch, fast zombiehaft, doch immer wieder treten einzelne Tänzerinnen für Solo-Performances aus der Menge heraus.

Mit der Durchlaufprobe, die am Donnerstag in Schöneweide stattfand, ist Neuenfeldt zufrieden. Die Herausforderung stehe am Montag bevor, „der Schritt in die Öffentlichkeit, auf den Alexanderplatz.“ Dort kann und soll auch Unvorhergesehenes passieren. Zuschauer sind eingeladen, eigene Plakate zum „Theater der Revolution“ mitzubringen.

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