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Einsamer Flur mit Rollator und einem Rollstuhl in einem Seniorenheim.

© Heiko Küverling - stock.adobe.com

Allein und isoliert im Alter: Ein Besuchsdienst hilft einsamen Berlinern

Einsamkeit und Isolierung im Alter sind in Berlin ein zunehmendes Problem. Die "Grünen Damen und Herren" wollen ihr Angebot jetzt weiter ausbauen.

Hanna-Renate Laurien wusste es schon 1995. „Nehmen Sie nur die Grünen Damen, die ehrenamtlich alleinstehende Kranke besuchen und ihnen helfen. Diese Aufgaben werden künftig sehr viel mehr Umfang bekommen, weil die Zahl der Einzelhaushalte so zugenommen hat. Hier sind jede Menge Lücken, die wir wirklich füllen können“ – das sagte die damalige Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin dem Tagesspiegel vor einem Vierteljahrhundert in einem Interview zur Bedeutung des Ehrenamtes.

Im Oktober 2019 fordert die Berliner CDU sogar einen „Senatsbeauftragten gegen Einsamkeit“, da in jedem zweiten Berliner Haushalt nur eine Person lebe. Das Bedürfnis nach Nähe inmitten der anonymen Großstadt sei riesig, zumal immer mehr alte Menschen, die nicht mehr mobil seien, vereinsamt in Wohnungen und Heimen leben.

Mehr Unterstützung durch Regelfinanzierung gefordert

Angesichts dieser Entwicklung fordern auch die „Grünen Damen und Herren“, der nach eigenen Angaben größte Zusammenschluss von ausschließlich ehrenamtlich tätigen Männern und Frauen im sozialen Bereich, anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens mehr Unterstützung durch eine Regelfinanzierung.

Die traditionsreiche Initiative des Evangelischen Kranken- und Altenhilfe e.V. (eKH) war 1969 in Bonn von Brigitte Schröder, der Ehefrau des damaligen Außen- und späteren Verteidigungsministers Gerhard Schröder (CDU), gegründet worden. Erster Einsatzort der ehrenamtlichen Helferinnen war das Evangelische Krankenhaus Düsseldorf. Auch in Berlin und Brandenburg hören Helfer im Besuchsdienst zu, machen Besorgungen, trösten am Krankenbett – sie sind dort aktiv, wo angesichts der Sparmaßnahmen und der zunehmenden Bürokratie wenig Geld und Zeit da ist fürs menschliche Kümmern.

Männer in der Pflege zu Beginn kritisch beäugt

Die „Grünen Damen und Herren“ nehmen sich meist wöchentlich vier bis fünf Stunden für ihren Einsatz, das Mindestalter ist 18 Jahre. Das Vorbild waren die „Pink-Ladies“ in den USA, doch weil Brigitte Schröder die Farbe nicht mochte, tragen die Aktiven der evangelischen Krankenhaus-Hilfe (eKH) – eben der „Grünen Damen“ – hier lindgrüne Kittel.

1979 nahm der erste „Grüne Herr“ den Dienst auf. Seit 1981 beteiligen sich Männer regelmäßig an der ehrenamtlichen Arbeit – da gab es anfangs Diskriminierung; sowohl Patienten als auch Teile des Personals hätten Männer im Pflegedienst kritisch beäugt, erinnert sich der erste „Grüne Herr“, Hasso von Samson. Heute sind laut eKH rund 620 Männer im Verband engagiert.

20 Jahre nach der Gründung wurde eine hauptamtliche Geschäftsstelle eingerichtet. Seit 2004 ist die eKH außerdem ein eingetragener gemeinnütziger Verein, womit auch die Anforderungen an die Geschäftsstelle zunahmen und zusätzliche Kosten entstanden, heißt es.

Angebot in Berlin soll ausgebaut werden

Zuletzt besuchten nach Angaben der Organisation bundesweit rund 8000 Frauen und Männer Menschen in knapp 600 Altenheimen und Krankenhäusern. In Berlin soll das Angebot ausgebaut werden, derzeit gibt es Helfer vor allem an der Charité, auch am Helios Klinikum Emil von Behring in Zehlendorf; in Brandenburg am Krankenhaus Ludwigsfelde.

Der Dienst ist ökumenisch – „im Sinne christlicher Nächstenliebe und gegenseitigem Vertrauen in der Gruppe“, ein Gespür für seelsorgerische Tätigkeiten und die Einhaltung der Schweigepflicht sind wichtig. Es gibt auch Fortbildungsangebote, wie es bei der Zentrale der eKH in Mitte heißt. Und: „Sie übernehmen keine Arbeiten, die Hauptamtliche von ihrem Arbeitsplatz verdrängen.“

Lindgrün ist die Hoffnung. Eine „Grüne Dame“ schiebt einen Patienten im Rollstuhl – und macht Mut.
Lindgrün ist die Hoffnung. Eine „Grüne Dame“ schiebt einen Patienten im Rollstuhl – und macht Mut.

© picture alliance / dpa

[Kontakt: eKH-Bundesgeschäftsstelle – Grüne Damen und Herren, Magazinstraße 15-16, 10179 Berlin, Telefon 257 617 94, Email: bathe@ekh-deutschland.de]

Kompetenz, Selbstbewusstsein, Einfühlungsvermögen und Lebenserfahrung, Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit sowie psychische und physische Belastbarkeit, all das müsse für den Einsatz erworben werden. Die „Grünen Damen und Herren“ kritisieren fünf Jahrzehnte nach Aufnahme der Arbeit „mangelnde Unterstützung“ und fordern für die Zukunft neue Finanzierungsmodelle.

Die Tätigkeit für hilfebedürftige Menschen werde nicht hinreichend finanziell abgesichert, sagte Käte Roos, Vorsitzende der Evangelischen Kranken- und Altenhilfe e.V., dem Dachverband der „Grünen Damen und Herren“ jetzt anlässlich der Feier in Bonn. „Wenn dieses freiwillige Engagement Zukunft haben soll, muss es regelhaft refinanziert werden.“

Mitgliedsbeiträge können Kosten nicht decken

Derzeit werde die Arbeit der „Grünen Damen und Herren“ über Mitgliedsbeiträge finanziert. Damit könnten die Kosten für Verwaltung, Fortbildung und Organisation der 450 Ortsgruppen jedoch nicht gedeckt werden. Deshalb sei die Evangelische Kranken- und Altenhilfe im Gespräch mit den Trägern der Krankenhäuser und Altenheime sowie den Ministerien, um die Finanzierung zu sichern.

Sowohl Kirchen und Politik als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft müssten ein Interesse daran haben, die Arbeit dauerhaft abzusichern. Derzeit werbe der Hilfsverband um Fördermitgliedschaften der etwa 600 Krankenhäuser und Altenheime, in denen „Grüne Damen und Herren“ tätig seien. Bislang seien 136 Einrichtungen dem Verein beigetreten.

Bundespräsident bezeichnete Helfer als „leuchtendes Vorbild“

Die Vorsitzende der Evangelischen Kranken- und Altenhilfe, Käte Roos, und Vorstandsmitglied Dieter Hackler sprachen sich zudem für eine Fusion der Evangelischen Kranken- und Altenhilfe mit der Katholischen Krankenhaus-Hilfe aus.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobte die Ehrenamtler in einem Grußwort generell als „leuchtendes Vorbild“. Rückhalt gibt es bei den Forderungen nach mehr Unterstützung vom Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, Franz Müntefering.

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Er forderte eine bessere Förderung ehrenamtlicher Dienste für ältere Menschen durch die Kommunen. Immer mehr Alte lebten alleine und haben keine Angehörigen in der Nähe, die sich um sie kümmern könnten, wenn sie krank würden. Müntefering forderte die Kommunen des Landes auf, aufsuchende ehrenamtliche Dienste für alte Menschen zu unterstützen. Es brauche dazu auch gesetzliche Rahmenbedingungen, die die Fürsorge für alte Menschen regelten. „Wir brauchen ein Altershilfestrukturgesetz“, sagte der frühere SPD-Vorsitzende.

CDU-Fraktion sieht Handlungsbedarf – auch bei Jüngeren

Angesichts der vielen vereinsamt lebenden alten Menschen, zu Hause und in Betreuungseinrichtungen, aber auch der vielen depressiven jungen Singles in Berlin fordert die Berliner CDU-Fraktion derweil einen Einsamkeitsbeauftragten für die Hauptstadt. Der Berliner Senat solle eine Vollzeitstelle in der Senatskanzlei einrichten und mit Projektmitteln von jährlich bis zu 100.000 Euro ausstatten, heißt es in einem Antrag der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus.

Zwei ehrenamtliche Mitgliederinnen des Kranken-Lotsendienst unterhalten sich in einem Hamburger Krankenhaus.
Zwei ehrenamtliche Mitgliederinnen des Kranken-Lotsendienst unterhalten sich in einem Hamburger Krankenhaus.

© picture alliance / dpa

Der sozialpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Maik Penn, sagte dazu in der Abendschau des rbb, Organisationen wie das Seelsorge-Telefon „Silbernetz“ und der Paritätische Wohlfahrtsverband wünschten sich seit Langem eine Ansprechperson beim Senat. „Man braucht einen Hauptamtlichen, der das alles koordiniert.

In Großbritannien gibt es ein Ministerium für Einsamkeit

Berlin als wachsende Millionenmetropole sollte diesen Schritt gehen“, sagte Penn. Langfristig vorstellbar sei auch die Einrichtung einer eigenständigen Senatsverwaltung für Einsamkeit. In Großbritannien gibt es schon ein Ministerium für Einsamkeit, das vor allem Senioren und deren pflegenden Angehörigen sowie Menschen helfen soll, die um einen nahestehenden Menschen trauern.

In Berlin sei schon jeder Zehnte von Einsamkeit und Isolierung betroffen, in Brandenburg leben nach Angaben der Landesregierung 172.000 Menschen, die über 65 Jahre alt sind, in Einpersonenhaushalten. Allein mit ehrenamtlichen Kräften werde es nicht gelingen, dem stetig zunehmenden Problem angemessen zu begegnen, so die CDU. Auf die „Grünen Damen und Herren“ bezogen, sagte Maria Loheide, Sozialpolitischer Vorstand der Diakonie in Deutschland, Engagement sei nicht zum Nulltarif zu haben, sondern es brauche ein zuverlässiges Fundament für die Hilfe.

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