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Beim Silbernetz-Hilfetelefon sind 20 Freiwillige an den Feiertagen rund um die Uhr erreichbar.

© Martina Troxler

Allein an Weihnachten in Berlin: Die 24/7-Telefonhotline für einsame Senioren

Zu Weihnachten startet eine kostenlose Hotline aus Wedding, die sich an einsame Menschen richtet. Doch die Finanzierung wackelt schon jetzt.

Von Laura Hofmann

Vor drei Jahren wurde Elke Schillings stiller alter Nachbar aus seiner Wohnung getragen – in einem Leichensack. Monate zuvor hatte sie ihm Hilfe angeboten. Doch die wollte oder konnte er, der alleine lebte, nicht annehmen. Auf seinen Tod wurde die 73-jährige Weddingerin aufmerksam, weil ein Pizza-Flyer zwei Wochen lang an seiner Wohnungstür hing. Da war ihr Nachbar schon lange tot.

Ein Schlüsselerlebnis für Schilling, die früher Staatssekretärin für Frauenpolitik in der Magdeburger Staatskanzlei war und heute Vorsitzende der Seniorenvertretung Mitte ist. Sie fing an, mit Freunden darüber nachzudenken, was man tun kann, um Menschen zu erreichen, die sich von der Gesellschaft immer weiter entfernen. Menschen wie ihr Nachbar.

Jeder Dritte über 60 ist einsam

Nach Schätzungen, die auf dem Deutschen Alterssurvey und der Generali-Altenstudie basieren, leidet ungefähr jeder dritte Mensch über 60 Jahren in Deutschland mindestens gelegentlich an Einsamkeitsgefühlen. Das wären in Berlin mehr als eine Viertelmillion Menschen.

Am Ende von Schillings Überlegungen stand das Silbernetz, eine Telefonhotline, die vereinsamten älteren Menschen einen Weg aus der Isolation bahnen soll. „Das Zuhause ist der letzte private Raum, da jemand Fremdes reinzulassen, ist für viele beängstigend“, sagt Schilling. Sie kennt das Problem auch aus ihrer Arbeit in der Seniorenvertretung.

Deswegen sei das Telefon mit seiner Distanz und Anonymität, aber auch durch die Nähe, die von der menschlichen Stimme erzeugt wird, genau das richtige Medium, um einsame Menschen zu erreichen, glaubt Schilling. Die gleiche Erfahrung machen die Sozialkommissionen der Bezirke. Das sind die Ehrenamtler, die unter anderem Senioren zum Geburtstag gratulieren. Vor ihrem Besuch schicken sie immer einen Brief. Ein Drittel wird gar nicht erst beantwortet.

Rund um die Uhr erreichbar

Das Silbernetz hat ein dreistufiges Konzept: Zum einen gibt es das Hilfetelefon unter der kostenlosen Rufnummer 0800/ 470 80 90, das am 24. Dezember erstmals für Berliner Senioren freigeschaltet wird. Weil Einsamkeit an hohen Feiertagen, wenn Familien zusammenkommen, besonders schmerzt.

Die Pilotphase geht bis zum 1. Januar. Die Hilfenummer können Menschen wählen, die akut unter Einsamkeit leiden und mit jemandem sprechen möchten. Einen Zuhörer suchen. 20 professionell geschulte Freiwillige sind dann rund um die Uhr erreichbar.

Zweitens gibt es die Silbernetz-Freundinnen und -Freunde, die in einer Art Patenschaftssystem einmal die Woche einen Senior anrufen und ihm etwa eine Stunde ihrer Zeit schenken. Wer vom Hilfetelefon Gebrauch macht, wird auch auf diese Möglichkeit hingewiesen. In einem dritten Schritt sollen diese Paten auch auf Angebote im Kiez, die sich speziell an ältere Menschen richten, hinweisen und versuchen, die Senioren für die Teilnahme zu motivieren.

Vorbild aus Großbritannien

Vorbild für das Projekt unter dem Dach des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) ist die Silver Line Helpline in Großbritannien. Deren Pilot war 2013 zu Weihnachten gestartet und die Hotline hat in den ersten drei Jahren eine Million Anrufe verzeichnet.

Um dahin zu kommen, wo Großbritannien heute schon ist, hat Schilling auch eine Petition auf change.org gestartet, die sich an Familienministerin Katarina Barley (SPD) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) richtet. Schilling beklagt darin, dass es in Deutschland kaum Studien zu den gesundheitlichen und sozialen Folgen von Einsamkeit gebe.

Was nicht durch Zahlen belegbar ist, könne aber politisch einfach ausgeblendet werden. Deswegen fordert sie die Minister auf, auch Menschen über 80 Jahren für den Deutschen Alterssurvey repräsentativ zu befragen und Vereinsamung und Isolation im Alter als Risiko für Erkrankungen und Suizide zur Kenntnis zu nehmen. Bis Donnerstagabend haben mehr als 23 800 Menschen die Petititon unterschrieben.

Außerdem setzt sich Schilling für eine Kampagne gegen Einsamkeit im Alter ein und fordert, dass Maßnahmen dagegen über das Präventionsgesetz finanziert werden. Das betrifft auch ihre eigene Arbeit beim Silbernetz. Die Förderung durch die Lottostiftung läuft nur noch bis März 2018, das Feiertagstelefon läuft dank der Spende einer kleinen Stiftung, die Altenhilfe fördert.

Die Kosten belaufen sich nach eigenen Angaben auf etwa einen Euro pro Jahr für jeden Anrufer. „Damit wir über die Feiertage hinaus erreichbar sind, brauchen wir eine stabile Finanzierung“, sagt Schilling. „Sonst ist nach dem 1. Januar wieder Schluss.“

Auf ihrer Webseite silbernetz.org und auf der Fundraisingseite betterplace.org sammelt das Silbernetz-Team Spenden. Das Ziel: ab Frühjahr 2018 dauerhaft erreichbar zu sein.

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