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Die letzte Filiale von Betten Rutz betrieb Friedrich Boyens an der Breiten Straße in Schmargendorf.

© Thilo Rückeis

"Alle haben mich angelogen": Der kämpferische "Betten Rutz"-Chef ist tot

Bettenhaus-Inhaber Friedrich Boyens hatte viel Erfolg und viel Pech. Er fühlte sich verraten – auch von Gerhard Schröder. Wir erinnern an sein bewegtes Unternehmerleben.

Friedrich Boyens, geboren 1944 an der Nordseeküste, war der Inhaber von zehn Berliner Bettenhäusern. In den 1980er Jahren kannte fast jeder „Betten Rutz“. Doch später wurde Boyens ein Opfer der spektakulären Milliardenpleite des Betrügers Jürgen Schneider. Boyens stritt sich mit Banken – und besonders hart mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als niedersächsischer Ministerpräsident im Aufsichtsrat der Landesbank NordLB gesessen hatte. 2015, nach 34 Jahren, schloss das letzte „Betten Rutz“-Haus in Schmargendorf. In 40 Aktenordnern sammelte Boyens alle Unterlagen zu seinem Streit. Auf dieser Basis wollte er ein Skandalbuch schreiben.

Dazu kam es nicht mehr: Vor gut drei Wochen, am 6. Juni, ist Friedrich Boyens im Alter von 74 Jahren an Prostatakrebs gestorben. Aus Berlin war er 2017 in seinen Geburtsort Sankt Peter-Ording zurückgekehrt, wo eine seiner zwei Töchter lebt. Am Freitag findet dort in kleinem Kreis die Trauerfeier statt. Anreisen wird auch Boyens’ Steuerberater Dieter Klaus, der über seinen langjährigen Klienten sagt: „Er war ein echter Nordfriese, für den Vertrauen wichtig war. Ein Mann, ein Wort – und eine klare Kante.“ Gerade deshalb habe es den Unternehmer tief getroffen, als er sich betrogen und verraten fühlte. Der Kampf gegen die NordLB sei zu Boyens’ „Manie“ geworden.

Ein Gespräch mit dem Tagesspiegel dehnte dieser einmal auf mehr als sechs Stunden aus, um seine Aktenberge zu präsentieren. So entstand der Artikel „Wie im Albtraum“, der im Februar 2014 im Magazin Tagesspiegel KÖPFE erschien. Hier zitieren wir daraus in Auszügen.

Auf der Erfolgsspur

Boyens hat an der FU Berlin Betriebswirtschaft studiert und über Filialsysteme im Einzelhandel promoviert. Zunächst berät er Handelsketten bei ihrer Standortwahl, und als er genügend Startkapital verdient hat, übernimmt er 1981 das damals schon 50 Jahre alte Betten- und Wäschehaus Rutz. Es sei stadtbekannt gewesen, „mehr als Möbel Hübner“, erinnert sich Friedrich Boyens. Doch es gibt nur fünf kleinere Standorte mit einem Jahresumsatz von zwei Millionen D-Mark. Von der Gothaer Versicherung mietet der Unternehmer Räume an der Tauentzienstraße 7 b/c, die Zahl der Filialen verdoppelt er im Laufe von 14 Jahren. Der Umsatz wächst auf 16 Millionen D-Mark und der Gewinn auf zwei Millionen D-Mark. „Betten für königlichen Schlaf“, lautet der Werbeslogan. Das Unternehmen floriert und gilt schließlich als Marktführer in Berlin. Drei Millionen D-Mark investiert der Chef allein an der Tauentzienstraße, zuletzt belegt sein Laden dort 1000 Quadratmeter Fläche über drei Etagen. Die Verträge verlängert er frühzeitig bis 2006. Die Gothaer Versicherung verkauft das Gebäude 1990 für 55,5 Millionen DM an schwedische Investoren.

Jürgen Schneider täuscht naive Bankiers

Ende 1992 interessiert sich Jürgen Schneider für die Immobilie. Der damals noch angesehene und als äußerst solvent geltende Unternehmer gaukelt der Nord LB vor, er habe das Gothaer-Haus bereits für „151 Millionen DM Gesamtkosten“ erworben und plane den Umbau für 40 Millionen DM. Innerhalb weniger Tage gewährt die Bank Schneider einen Kredit in Höhe von 186 Millionen DM, 131 Millionen werden sofort ausgezahlt. Tatsächlich erwirbt Schneider das Haus erst im Januar 1993 für 83 Millionen D-Mark.

„Mit schier unglaublichem Leichtsinn rannten die Banken dem vermuteten Großinvestor die Türen ein“, stellt fünf Jahre später der Vorsitzende Richter des Landgerichts Frankfurt am Main fest, der Schneider zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt – davon drei für den Kreditbetrug in der Tauentzienstraße. „Der Angeklagte betrieb ein bühnenreifes Verwirrspiel mit den unbedarften Bankern“, sagt Richter Heinrich Gehrke. Um auf den behaupteten Kaufpreis zu kommen, hatte Schneider neben dem echten Vertrag einen angeblichen zweiten vorgezeigt. Es war ein ganz anderes Papier, aber die Banker schauten nur flüchtig hin.

Mehr als 14 Monate später bekommt ein Bankvorstand eine Vermögensübersicht der Schneider-Gruppe in die Hände, in der die Immobilie fehlt. „Wo ist unser Objekt?“, schreibt er in einer Aktennotiz. Endlich kommt man auf die Idee, ins Grundbuch zu schauen, und der Schwindel fliegt auf. Die Nord LB sieht sich vor einem riesigen Verlust (im späteren Prozess schätzen Gutachter den Marktwert des Gebäudes auf nur 40 Millionen DM). Nach langem Hin und Her willigt Schneider scheinbar ein, den Kredit im Frühjahr 1994 zurückzuzahlen – doch kurz darauf flüchtet er ins Ausland.

„Schadensbegrenzung auf dem Rücken eines Mittelständlers“

Die NordLB will ihren Schaden nicht nur mindern, sondern auch geheim halten. So kommt es zum Verkauf an einen langjährigen Geschäftskunden der Bank, eine Firma namens Syncodata, die zunächst die Forderungen der Bank gegen Schneider übernimmt und dann das Haus in einer Zwangsversteigerung erwirbt.

Die Sonderkündigung des Bettenhauses wird im Frühjahr 1995 mit der vorgeschriebenen sechsmonatigen Frist ausgesprochen. Boyens wirft der Bank ein „reines Strohgeschäft“ vor. Es kommt zur Räumungsklage. Ein Richter hält der NordLB „Schadensbegrenzung auf dem Rücken eines Mittelständlers“ vor, erklärt das Vorgehen aber für rechtmäßig.

Ende November 1995 ist Schluss im Hauptgeschäft des Bettenhauses, das Weihnachtsgeschäft bleibt Boyens verwehrt. „Damit war ich ruiniert“, sagt er. Boyens schließt alle Filialen bis auf die in Schmargendorf und entlässt rund 50 Mitarbeiter.

Die Fehde mit Gerhard Schröder beginnt

Der Unternehmer wendet sich an den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der dem Aufsichtsrat der NordLB angehört. Schröder antwortet, bei den Methoden der Bank handele es sich um „Gestaltungen im Rahmen der Gesetze und kein unseriöses Geschäftsgebaren oder die Anwendung von Tricks“.

Der Streit eskaliert: Boyens geht an die Öffentlichkeit, 1996 schaltet er im Tagesspiegel und in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ ganzseitige Anzeigen mit Vorwürfen gegen die NordLB und Schröder. Als der Unternehmer den Ministerpräsidenten bei einer Veranstaltung im Hotel Adlon sprechen will, lässt Schröder ihn von Bodyguards hinauswerfen.

Pappkamerad. Mit Gerhard Schröder war Boyens so sehr in Abneigung verbunden, dass er sich sogar eine Figur des SPD-Politikers beschaffte.
Pappkamerad. Mit Gerhard Schröder war Boyens so sehr in Abneigung verbunden, dass er sich sogar eine Figur des SPD-Politikers beschaffte.

© Thilo Rückeis

Schadensersatz In Millionenhöhe

Doch Boyens ist noch nicht am Ende. Von der Nord LB bekommt er schließlich drei Millionen DM, verbunden mit der Aufforderung, nicht weiter öffentlich Kritik zu üben. Auch der Konkursverwalter überweist nach drei Jahren einen Millionenbetrag. Und als Boyens sogar in einer Silvesternacht wieder einmal Gesetzestexte wälzt, entdeckt er im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) den Paragrafen 571, Absatz 2, dessen heutige Fassung der Paragraf 566 ist. Danach haftet der Inhaber einer Immobilie nach deren Verkauf „wie ein Bürge“ für die Einhaltung der Mietverträge.

Also verklagt Boyens die Gothaer Versicherung. Im Dezember 1999 gewinnt er vor dem Berliner Kammergericht. Später bestätigt der Bundesgerichtshof das Urteil. In einem Vergleich zahlt die Gothaer mehrere Millionen Euro. Boyens wohnt in einer komfortablen Dachgeschosswohnung, dank seiner juristischen Erfolge ist er nicht verarmt.

Ungerechte Sonderkündigungen

An den Streit mit Gerhard Schröder erinnert im Schmargendorfer Laden eine lebensgroße Pappfigur, die den Politiker darstellt. „Keiner hat mir geholfen, alle haben mich angelogen“, fasst Boyens zusammen. Aber: „Ich werde immer neu provozieren.“ Als Ruheständler will er in den niedersächsischen Landtag eine Petition mit dem Antrag einbringen, Gerhard Schröder „gesamtschuldnerisch in Regress zu nehmen“ für einen hohen Millionenverlust, den die Bank nach seiner Schätzung trotz ihrer Schadensminderungsmaßnahmen erlitten haben dürfte.

Auch an den Petitionsausschuss des Bundestags will sich Boyens wenden, um die Streichung des „in hohem Maße ungerechten“ Sonderkündigungsrechts zu erreichen.

Textil- und Schuhhändler übernahmen Läden

An der Stelle des Bettenhauses an der Tauentzien-/ Ecke Nürnberger Straße entstand später der Neubau des Sportkaufhauses Niketown. Heute ist dieses Gebäude eine Filiale der japanischen Modekette Uniqlo. In die letzte Betten-Rutz-Filiale in Schmargendorf zog 2015 die mittelständische Schuhhandlung Tivola aus Steglitz.

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