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Jeder Vierte fühlt sich in der Schule nicht mehr sicher - auch wegen Cybermobbing.

© Oliver Berg/dpa

Alarmierende Umfrage: Cyber-Mobbing nimmt zu – auch an Grundschulen

Eine neue Bertelsmann-Studie bestätigt den Trend zu immer jüngeren Mobbing-Opfern. Berlin versucht ab der ersten Klasse gegenzusteuern. Ein Überblick.

„Hannah is’ ne hässliche Kuh“ – „Ja, voll fett und eklig“: Ein Mobbing-Dialog in den sozialen Medien. Kinder und Jugendliche können einzelne Mitschüler bei Chats ausgrenzen, beschimpfen, bedrohen und deren Schwächen gnadenlos ausnutzen. Betroffene haben kaum Chancen, sich zu wehren. Ihr Gefühl, in der Schule und im Alltag bedroht zu sein, wächst – zumal die Angriffe im Internet auch zu persönlichen Attacken ermutigen.

Das bestätigt nun auch eine am Mittwoch vorgestellte repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung zur Lebenssituation von Schülern zwischen 8 und 14 Jahren in Deutschland. Danach fühlt sich im Durchschnitt jeder vierte Schüler an seiner Schule nicht sicher. Ein Ergebnis, das für Berlin nach allen Erfahrungen wohl gleichermaßen zutrifft.

Besonders alarmierend sind die Angaben zum Sicherheitsgefühl

„Hänseleien und Streit in der Schule gab’s auch schon vor 50 Jahren“, sagt der Koordinator für schulische Prävention des schulpsychologischen Beratungs- und Unterstützungszentrums der Senatsbildungsverwaltung in Reinickendorf, Reimer Siemsen. "Doch was wir heute haben, das Cyber-Mobbing, ist ein wachsendes Problem. Auch Eltern und Lehrer werden bloßgestellt. Cyber-Mobbing hat keine Orte, keine Zeit, es kann immer und überall passieren. Man kann sich nicht rausziehen, es gibt keine Schutzräume.“ Und längst habe das Phänomen auch die Grundschulen erreicht.

Für die Bertelsmann-Studie mit dem Titel "Children's World" wurden 2017/18 bundesweit 3448 Schüler befragt. Dabei ging es auch um ganz andere Fragen, beispielsweise, inwieweit sie in der Schule mitbestimmen können und den Eindruck haben, dass man sie ernst nimmt. Die Antworten waren hier gleichfalls überraschend negativ, doch alarmierend sind die Angaben zum Sicherheitsgefühl – besonders an Grundschulen. Dort klagten knapp 30 Prozent der Befragten über Ausgrenzungen. In vielen Fällen mutmaßlich durch Cyber-Mobbing.

Statistiken zum Mobbing an Berlins Schulen liegen nicht vor. Aber es werde viel dagegen getan, sagt der Sprecher der Bildungsverwaltung, Thorsten Metter. In jedem Bezirk gibt es schulpsychologische Beratungszentren, sie koordinieren jeweils Initiativen und Programme, die für ganz Berlin entwickelt wurden.

Workshops ab der ersten Klasse

Beispiel Reinickendorf. Schüler lernen in vielen Schulen in Workshops schon ab der ersten Klasse „bewusst mit den neuen Medien umzugehen und Mobbing zu reflektieren“, erklärt Präventionsexperte Reimer Siemensen. „Würdest Du jemand auch ins Gesicht sagen, was Du online verbreitest?“ lautet da zum Beispiel eine Frage. Oder: „Was möchtest Du über Dich im Netz verbreitet wissen?“ Die Schüler lernen, wie sie sich schützen können, wie sie sich durch zu viel Preisgabe angreifbar machen und wie wichtig es ist, sich im Notfall ohne Scham zu offenbaren. Ganz wichtig auch: Niemand wird in diesen Runden beschuldigt oder bestraft. An der Paul-Löbe-Schule beginnt zudem nach den Ferien ein Pilotprojekt: Neuntklässler sprechen als „Digitale Helden“ Siebtklässler auf Mobbingprobleme an.

Intensive Schulungen gibt es auch für Lehrer und pädagogische Mitarbeiter, die solche Angebote an ihrer Schule begleiten. Die Freie Universität coacht sie im Rahmen ihres „Fairplayer“-Fortbildungprogramms. Nahezu jede Schule hat überdies einen besonders geschulten Interventionsbeauftragten. Und schließlich werden als Dritte im Bunde die Eltern zu Gesprächsabenden eingeladen mit Themen wie: Handy ohne Risiko?

Weitere Projekte für 2020/21

Hat all dieser Einsatz überhaupt Erfolg? Reimer Siemensen reagiert auf diese Frage vorsichtig. Er stellt die Gegenfrage: „Was wäre, wenn wir all das nicht machen würden?“ Wichtig ist für ihn, „dass wir endlich in die Offensive gehen, nichts mehr unter den Teppich kehren.“ Walter Taglieber vom berlinweit aktiven Verein „Contigo – Schule ohne Mobbing“ sieht hingegen nachhaltige Effekte. „Unsere Arbeit mit Schülergruppen wirkt.“ Taglieber hat eine „Anti-Mobbing-Fibel“ entwickelt.

Davon beflügelt, schiebt die Bildungsverwaltung noch weitere Projekte für 2020/21 an: Die Stelle einer Landes-Anti-Mobbing-Beauftragten ist ausgeschrieben. Besonders mobbinggeplagte Schulen erhalten Hilfe durch „Pro Respect-Teams“. Und die Zahl der Schulsozialarbeiter soll um 300 zusätzliche Stellen erhöht werden.

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