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Berlin: Alanna Lockward (Geb. 1961)

Ihre Mails hatten im Betreff das Wort „urgent“, dringend, an erster Stelle. Sie wollte die Dinge vorantreiben

Drei Frauen sitzen an einem Küchentisch, jung, mittelalt, alt. Die Frau aber, um die es hier geht, ist nicht mehr da. Dabei war sie eben noch mittendrin, in ihrem eigenen Leben und in dem Leben der drei Frauen.

Mit der einen war sie im Dezember tanzen, ausgelassen, gelöst und glücklich, nachts in einem Club, die eleganten Arme, der schlanke, graziöse Körper, die Soul-Musik. Vor der anderen hatte sie zwei Tage zuvor noch ihre Doktorarbeit verteidigt, stand mit einem knallbunt bestickten T-Shirt mit dem Logo einer alten Befreiungsbewegung, an deren Namen sich gerade keiner erinnern kann, vor ihr und den anderen Professorinnen. Und mit der dritten, ihrer selbst dazu ernannten ehrenamtlichen Assistentin, plante sie schon die nächsten Projekte. Unwirklich ist das alles, sagen die drei.

Unwirklich, dass sie nun nicht mehr da ist.

Alanna Lockward ist mit 57 plötzlich aus dem Leben geschieden, schreibt das Maxim-Gorki-Theater in einer Würdigung. Gestorben in Santo Domingo, der Stadt, aus der sie kam, der Stadt, in die sie zurückgekehrt ist, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Die Dominikanische Republik teilt sich eine Insel mit Haiti. Zwei Länder mit einer gewalttätigen, blutigen Geschichte, an deren Anfang Eroberer aus Europa kamen und ein Sklavenregime errichteten. Zwei Länder, die auch heute noch ihre Probleme miteinander haben. Es war Alanna Lockward, die 2016 den allerersten haitianisch-dominikanischen Dokumentarfilm drehte, als Nebenprojekt ihrer Berliner Doktorarbeit. Low Budget, 100 000 Dollar, die sie irgendwie aufgetrieben hatte. Überhaupt, Geld auftreiben für Kunstprojekte, für andere Künstlerinnen, die Unterstützung brauchten, das konnte sie gut, sagt eine der Frauen am Küchentisch.

Über Alanna Lockward zu berichten, ist gar nicht einfach. Überall auf der Welt hat sie ihre Spuren hinterlassen, Mexiko, Australien, USA, Namibia und Deutschland. Hier an diesem Küchentisch ist nur ein Teil von ihr zu entdecken. Wer war sie, die Frau, einerseits Journalistin für den „Miami Herold“, andererseits eine Autorin zweier Bücher, hier eine ausgebildete Balletttänzerin, dort eine Wissenschaftlerin, dann wieder Aktivistin für die Rechte von schwarzen Menschen und die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte. Alanna wechselte zwischen den Welten, und seit Mitte der 1990er Jahre schlug sie eine ihrer Basen in Berlin auf. Eine Stadt mit Geschichte, Kunst und einer schwarzen Community.

Mal trug sie eine intellektuell wirkende Brille, obwohl sie kaum kurzsichtig war. Dann schminkte sie sich ihre Lippen rot, zog goldene Schuhe an, um den Kopf ein Stirnband oder auf ihm einen Turban, mal einen Catsuit, dann wieder traditionelle Kleidung aus der Dominikanischen Republik. Sie trug das, was ihr passte, aber nicht immer das, was passend war. Vor allem nicht, wenn es aufs deutsche Amt ging, wo sie um ihren Aufenthaltsstatus pokern musste. Wie sie so war? Auf eines können sich die drei Frauen einigen: Alanna Lockward gehörte zu denen, die strahlen, die man wahrnimmt, sobald sie den Raum betreten.

Die Assistentin begegnete ihr das erste Mal auf einem der jährlichen BE.BOP-Treffen in Berlin, die Alanna organisierte und kuratierte: Performance, Vorträge, Ausstellungen und Filme – für ein neues Selbstbewusstsein der schwarzen Bürger Europas, wie Alanna es formulierte. Die Assistentin war sofort in den Bann gezogen. Wie Alanna sprach, mit solch einer Intensität, wie alles um sie herum in Bewegung geriet, wie sie einfach loslegte, voller Mut und ohne Zweifel an der Richtigkeit der Sache. Dieser Frau wollte sie helfen, die wollte sie auf ihrem Weg begleiten, sich ihrer Aufgabe verschreiben, und sprach sie an. Seitdem war sie ihre Begleiterin. Nicht die ganze Zeit, natürlich nicht, aber immer mal wieder organisierte sie für sie, half bei der Korrespondenz, bei der Webseite, den „Art Labour Archives“ und, und, und. Dabei hatte Alanna immer so wenig Zeit, dass sie die Arbeitsbesprechungen dort abhalten mussten, wo sie gerade waren, mal bei ihr zu Hause, dann im Bus, auf dem Weg zum Zug oder zum Flughafen. Chaotisch war Alanna dabei nie. Hatte alles genauestens geplant, hatte alles im Blick, verwaltete ihr Leben und ihre Arbeit in der ganzen Welt.

Wie war sie noch? Vehement, sagen die drei Frauen. Antwortete man ihr nicht schnell genug auf eine Anfrage oder eine Bitte um Unterstützung, hatte man schon die nächste Nachricht auf dem Handy. Diesmal in Großbuchstaben geschrieben. Sie meinte das nicht böse, sie wollte die Sachen nur fertigkriegen, wollte die Dinge vorantreiben. Ihre Mails hatten im Betreff das Wort „urgent“, dringend, an erster Stelle. Verweigerte man sich ihr, konnte sie insistieren, konnte aufdringlich werden. Einmal hatte ein Berliner Kunstbetrieb sie nicht einstellen wollen, weil sie keine deutsche Muttersprachlerin war. Da hatte sie auf Diskriminierung geklagt und recht bekommen.

Wie sie aufgewachsen ist, darüber wissen die drei nur wenig. Ihr Großvater war Universitätsprofessor in Santo Domingo. Das Geklapper seiner Schreibmaschine hörte sie als Kind durchs Haus tönen. Er arbeitete an einem Buch über den ersten schwarzen Bischof der ersten autonomen afrikanischen protestantischen Kirchengemeinde in den Vereinigten Staaten. Teile der Gemeinde wanderten nach Haiti aus, um dort in Freiheit zu leben. Dieses Buch, diese Geschichte und seine Auswirkungen bis heute waren auch das Thema ihrer Doktorarbeit und des Dokumentarfilmes.

Anfang Januar 2019 zog sie zurück in die Dominikanische Republik, hatte eine Forschungsprofessur bekommen, plante aber schon ein Projekt mit dem Maxim-Gorki-Theater im Herbst. Dann starb sie – an den Folgen eines Unfalls, wie die englische Zeitung „The Independent“ schreibt. Die drei Frauen wissen es nicht genau. „57 Jahre war sie erst alt“, sagen sie. „Für mich wurde sie mit jedem Tag, den sie älter wurde, immer schöner“, sagte eine. Die anderen nicken.

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