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Im "Himmelbeet" gibt es sowohl Gemeinschaftsbeete als auch Pachtbeete.

© Michele Galassi

Aktionstage "Gemeinsame Sache": Das "Himmelbeet" und die Vertreibung aus dem Paradies

Integrativ, inklusiv, ökologisch, prämiert: Der Gemeinschaftsgarten „Himmelbeet“ gilt als Vorzeigeprojekt. Die Zukunft ist ungewiss.

Vor dem Café des Gemeinschaftsgartens „Himmelbeet“ sitzen an diesem Morgen Sonja Rosenthal und Meryem Korun. Rosenthal, 33, kurze Haare, Undercut und Tätowierungen, und Korun, 28, Nasenring und Ringelshirt, beugen sich über eine Karte vom Katasteramt und markieren darin Grundstücke. Über ihren Köpfen fliegen Bienen und Schmetterlinge, auf der anderen Seite des Gitterzauns rast der Verkehr durch Wedding.

Eine Brache, eine Brandmauer, ein Bilderbuchprojekt: Auf einem unbebauten Grundstück an der Ruheplatzstraße in Wedding, Nähe Leopoldplatz, ist das Himmelbeet in den letzten fünf Jahren emporgewachsen. In 300 Pflanzkisten ist hier eine grüne Oase entstanden, mitten in dem vom sozialen Wohnungsbau geprägten Antonkiez. Das Tor zum Garten steht offen, jeder ist willkommen. Allerdings: Der Garten kann nicht mehr lange bleiben. In gut einem Jahr muss das Himmelbeet sein Areal räumen, weil sein Zwischennutzungsvertrag endet und die Fläche anderweitig vergeben worden ist.

Meryem Korun (l.) und Sonja Rosenthal geben die Hoffnung auf eine Zukunft des "Himmelbeet" nicht auf.
Meryem Korun (l.) und Sonja Rosenthal geben die Hoffnung auf eine Zukunft des "Himmelbeet" nicht auf.

© Michele Galassi

Auch die Beete der Nachbarn pflegen

Vordergründig ist das Himmelbeet ein Urban-Gardening-Projekt, wo Privatleute und soziale Träger Beete pachten können, in denen sie Kräuter, Kürbisse und Sonnenblumen ziehen. Zwischen den Pflanzkisten wuseln die urbanen Gärtner mit grünen Gießkannen umher. Sie wässern ihre Beete und manchmal auch die der Nachbarn. „Bitte gießt unsere Pflanzen mit. Wir können uns gerade aus gesundheitlichen Gründen nicht richtig um das Beet kümmern“, steht auf einem Schild. Das scheint zu klappen. Die Pflanzen sehen trotz der Hitze bestens aus.

Die Macher vom Himmelbeet wollen genau das – aber auch viel mehr. Ihr Ideal ist „das gute Leben für alle“. Der Garten ist das Labor, in dem sie dazu experimentieren. Im Himmelbeet wollen sie einen Freiraum für alle Berliner schaffen, unabhängig von Milieu, Herkunft oder Gesundheitszustand. Wedding ist noch immer von Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Migration geprägt. Weil die Nachfrage nach den Pachtbeeten im Himmelbeet dreimal so hoch ist wie das Angebot, werden bei der Vergabe soziale Projekte und Gruppen bevorzugt. Und wer kein Beet mehr abbekommt oder es ohnehin nicht so hat mit dem Gärtnern, kann trotzdem kommen, sich ins Himmelbeet-Café setzen oder sein Picknick auspacken.

„Natürlich zieht so ein Garten eine gewisse Szene an“

In der Mittagszeit sieht man viele Gärtner zwischen 20 und 30, die in Skinny Jeans, mit einer Feder am Hut und großen Brillen ihre Beete pflegen. Der Garten und seine Bewohner sind eindeutig Instagram-tauglich: frisches Grün, attraktive Großstadtmenschen, Bienen auf dem Dach, die Brandmauer im Hintergrund. Draußen im Kiez tragen die Leute allerdings eher Prinz-Heinrich-Mütze oder Kopftuch als Strohhut.

Der Info- und Verkaufsladen im Himmelbeet.
Der Info- und Verkaufsladen im Himmelbeet.

© Michele Galassi

Auch wenn „Willkommen“ am Tor steht: Fühlt sich da jeder gemeint? „Natürlich zieht so ein Garten eine gewisse Szene an“, sagt Rosenthal, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Weil ihnen das bewusst ist, bemühen sie sich, auch diejenigen in den Garten zu holen, die sonst vielleicht eher draußen bleiben würden. Suchtkranke Menschen zum Beispiel oder Menschen mit Behinderungen. Dafür kooperieren sie mit sozialen Trägern wie den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, der Lebenshilfe oder der Suchthilfestätte Altas. So habe sich in den letzten Jahren eine gute Mischung ergeben, findet Rosenthal.

Eigentlich machen sie genau das, was Politiker in ihren Sonntagsreden gerne beschwören. Im Himmelbeet kommt die Stadtgesellschaft auch mal jenseits von Bürgeramt und Freibad zusammen. Für ihr Engagement haben die Himmelbeet-Macher schon jede Menge Preise gewonnen, darunter den European Award for Ecological Gardening 2017, den Zukunftspreis 2016, den Umweltpreis Berlin-Mitte 2015. Auch die Leute von BeBerlin peppen ihre Stadtmarketingkampagnen gerne mit der Gartenschönheit auf.

Sitzecke im Gemeinschaftsgarten Himmelbeet.
Auch eine Ecke zum Entspannen gibt es im Gemeinschaftsgarten Himmelbeet.

© Michele Galassi

Niemand fühlt sich zuständig für den Garten

Das ändert aber nichts daran, dass die Zukunft in den Sternen steht. Gerade hat der Bezirk den Vertrag mit dem gemeinnützigen Verein Amandla EduFootball unterschrieben, der in Kooperation mit der Oliver-Kahn-Stiftung auf dem Grundstück ein Fußball- und Bildungszentrum zur Förderung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen bauen will. Weil das Grundstück als Sportfläche ausgewiesen ist, hat Amandla den Zuschlag bekommen. Dem Himmelbeet hat der Bezirk bis heute keine Ausweichfläche angeboten.

„Uns wird immer wieder gesagt, dass das Himmelbeet ein tolles Projekt ist, aber auf der Handlungsebene versanden die Prozesse“, beklagt Korun. Obwohl sie seit über zwei Jahren versuchten, mit dem Bezirk eine Lösung zu finden, habe sich so gut wie nichts getan. Ein Problem: Niemand fühle sich wirklich zuständig für den Garten.

Korun meint: „Wir rasen mit hohem Tempo auf das Nichts zu.“ Deswegen nehmen die Gärtner ihr Schicksal selbst in die Hand. Derzeit radeln sie alle Grundstücke ab, die ihnen Mitglieder als Ausweichflächen vorgeschlagen haben. Sie wollen sehen, ob der Garten dort ein neues Zuhause finden könnte. Rosenthal sagt: „Beim Himmelbeet geht es nicht nur um einen Garten. Es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen.“

Am 7. September soll eine Sitzecke neu gestaltet werden. Am 8. September findet das inklusive Gartenfestival RemmiDemmi & Radieschen mit Aktionen wie einer Lesung in leichter Sprache und Disco im Himmelbeet statt. Infos unter himmelbeet.de

Machen Sie mit. Wollen Sie – allein, mit Nachbarn, Freunden oder Ihrer Initiative – mitmachen beim Aktionstag von Tagesspiegel und Paritätischem Wohlfahrtsverband? Alle Aktionen finden Sie hier: www.gemeinsamesache.berlin. Dort können Sie auch Ihre eigene Aktion anmelden. Bei Fragen: gemeinsamesache@tagesspiegel.de

Sie alle machen mit

Jeden Tag stellen wir Ihnen hier Projekte vor, die sich noch Helfer wünschen.

Helfen mit Herz

Die „Berliner Engel für Bedürftige“ holen gespendete Lebensmittel ab und bringen diese in die Ausgabestellen. Am 7. 9. von 7.45 bis 15 Uhr können Sie die Aufgaben kennenlernen und als BeifahrerIn oder in den Läden aktiv werden (Mindestalter 18 Jahre).

Ort: Frankfurter Allee 268, 10317 Lichtenberg. Kontakt: Tel. 1209 9881. E-Mail: kontakt@berlinerengel.de, www.berlinerengel.de.

Salate, Spaß, Beisammensein

Die Einrichtung „Betreutes Jugendwohnen Lichtenberg“ freut sich am 7. 9. von 15 bis 17 Uhr über HelferInnen, die Spaß daran haben, mit den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten im Alter von 15 bis 19 Jahren Hausaufgaben oder Sport zu machen. Zum Kennenlernen gibt es Spiel und Spaß im Gruppenraum oder auf dem Hof.

Ort: Sewanstraße 43 (2. OG der Kultschule), 10319 Lichtenberg. Kontakt: Tel. 23 53 94 59. E-Mail: bjw.lichtenberg@pad-berlin.de, www.pad-berlin.de

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