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Abflug in Gatow. Auf dem einstigen britischen Militärflugplatz bestiegen die Kinder aus dem umzingelten West-Berlin die „Dakotas“.

© akg-images / AP

„Aktion Storch“ zur Luftbrücke: Wie Flugzeuge Berliner Kinder in den Westen brachten

Freiflug ins Schlaraffenland. Die „Aktion Storch“ während der Berlin-Blockade war für Tausende Kinder ein Abenteuer. Zum Luftbrücken-Fest wird daran erinnert.

Eine Großstadtpflanze, gutbürgerlich im Berliner Westen aufgewachsen, kennt eine Axt wahrscheinlich nur vom Hörensagen – und versucht sich nun im Holzhacken? Das kann nicht lange gutgehen und tut es auch nicht: Auuua! Zum Glück sind noch alle Finger dran, aber Blut fließt, ein Arzt muss kommen, flickt die Wunde mit Nadel und Faden.

Rund 70 Jahre ist das her, aber die Narbe am Ansatz des linken Zeigefingers ist noch immer sichtbar und für Heinz-Christian Wiesenack, Jahrgang 1934, sein persönliches Andenken an Berlin-Blockade und Luftbrücke.

Denn der kleine Unfall ereignete sich nicht etwa in den Gärten der zwei Schmargendorfer und Grunewalder Villen, wo seine Familie das Kriegsende und die erste Zeit danach überstanden hatte. Zur Axt griff der kleine Heinz-Christian auf einem Bauernhof in Rastede, einer Gemeinde im Nordwesten Niedersachsens.

Wie tausende andere West-Berliner Kinder und Jugendliche war er im Rahmen der Hilfsaktion „Storch“ ausgeflogen worden, sollte in Westdeutschland aufgepäppelt werden, sich mal wieder richtig satt essen, eventuelle Krankheiten auskurieren, Lebenskraft schöpfen. Dass in der umzingelten Heimatstadt dadurch etliche Esser weniger zu versorgen waren – um so besser.

Amerikanische Einwände gegen die Aktion "Storch"

Die Aktion „Storch“ ist, anders als die spätere „Kinderluftbrücke“, wenig bekannt. Bei jener half zwischen 1953 und 1957 vor allem die US Air Force, übernahm Hin- und Rücktransport der Kinder. Während der Blockade vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 waren es dagegen britische Maschinen, die mit Hilfsgütern nach West-Berlin flogen und mit Berliner Kindern zurück zu ihren Stützpunkten bei Hamburg, Lübeck und Hannover.

Dagegen hatten die Amerikaner wiederholt Einwände geltend gemacht, sie befürchteten Störungen der anfangs noch keineswegs reibungslosen Versorgung West-Berlins. Rücktransporte waren, bis auf wenige Notfälle, ohnehin ausgeschlossen, die Ladekapazität der Rosinenbomber wurde anders gebraucht. Wer erst mal drüben im Westen war, musste bleiben, bis die Russen Interzonen-Autobahn und -Zugverkehr wieder freigaben. Auch Heinz-Christian Wiesenack blieb bis zur Aufhebung der Blockade in Rastede, kam von dort, so weit er sich erinnern kann, mit der Bahn zurück. Aber weit deutlicher hat er ohnehin die Hinreise noch vor Augen, sie war ja auch viel aufregender.

Er selbst und einer seiner Brüder, Schüler des Walther-Rathenau-Gymnasiums, das damals noch Grunewald-Gymnasium hieß, dazu seine Schwester vom Hildegard-Wegscheider-Gymnasium mit ihrer gesamten Klasse hatten sich auf dem Nikolsburger Platz in Wilmersdorf eingefunden. Der Aufruf, sich dort zu versammeln, muss wohl übers Radio, also den alten „Volksempfänger“ gekommen sein, erinnert sich Wiesenack. Reisegepäck? „Ich hatte nur einen kleinen Rucksack dabei.“ In britischen Militärlastwagen ging es zum Flugplatz Gatow, dort warteten schon die von den Briten „Dakotas“ genannten DC-3. „Sitze waren im Laderaum keine, es gab für uns nur Hängematten.“

Vom Flugzeug in die Laster

Der Flug ging zum Airfield B.158 in Lübeck-Blankensee, heute ein Regionalflughafen. Dort warteten weitere Militärlaster, die die Kinder verteilten, zu Verwandten oder, wie im Falle des 15-jährigen Hans-Christian und seines Bruders, auf einen Hof bei Rastede, bewirtschaftet von der Mutter und der Frau des Bauern, der sich noch in russischer Kriegsgefangenschaft befand. Von der Schule war er durch den Aufenthalt in Niedersachsen aber nicht befreit, er besuchte dort die Dorfschule, mit der Folge, dass er, zurück in Berlin, erst mal eine Klasse wiederholen musste. Latein wurde in Rastede nun mal nicht gelehrt.

Er war dabei. Hans-Christian Wiesenack aus Grunewald wurde damals als 15-Jähriger ausgeflogen.
Er war dabei. Hans-Christian Wiesenack aus Grunewald wurde damals als 15-Jähriger ausgeflogen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wenn auch die missglückte Holzhackerei anderes vermuten lässt: Auf dem Hof mitarbeiten mussten die Jungen aus Berlin nicht, anders als ihre Schwester, die es nicht ganz so gut getroffen hatte. Aber vom ungewohnten Landleben mit Kühen und Schweinen haben sie doch einiges mitbekommen. So eines nachts, als es auf dem von Gebäuden umschlossenen Hof plötzlich unruhig, laut, lärmig wurde, ein panisches Quieken die Stille zerriss – da wurde heimlich eine Sau geschlachtet.

Die ersten Kinder samt einigen Betreuern waren von britischen Rosinenbombern Mitte September 1948 nach Lübeck-Blankensee geflogen worden, ganz neu war die Aktion „Storch“ allerdings nicht. Schon ein halbes Jahr nach Kriegsende war sie gestartet worden, initiiert durch die britische Erziehungsministerin Ellen Wilkinson, die Berlin besucht hatte, um sich über den Wiederaufbau des dortigen Erziehungswesens zu informieren. Sie war über den miserablen Gesundheitszustand der oft unterernährten Kinder schockiert.

Die Wiederaufnahme der Aktion scheitere an den Russen

Die ersten 53 Busse mit Kindern, Müttern, Lehrern und medizinischem Personal hatten West-Berlin schon am 26. Oktober 1945 über die Interzonen-Autobahn verlassen, für alle Fälle eskortiert von Soldaten der 11. Hussars, die in den Spandauer Wavell Barracks in der Seecktstraße stationiert waren. Bis Ende November 1945 dauerte die erste Phase der Aktion „Storch“, die Wiederaufnahme im Spätsommer 1948 scheiterte am Widerstand der Russen.

Doch am 21. August meldete der Tagesspiegel, dass Vertreterinnen mehrerer Frauenorganisationen Berlins dem stellvertretenden britischen Stadtkommandanten, Brigadier Benson, bei einem Treffen vorgeschlagen hätten, „dass unterernährte Kinder über die Luftbrücke zu einem Erholungsaufenthalt in die Westzonen gebracht werden sollten“.

Eine Idee, die auch vom West-Berliner Magistrat und der Arbeiterwohlfahrt vorangetrieben wurde, bis die britische Militärregierung am 14. September 1948 zustimmte. Die Organisation übernahm auf ziviler Seite das im Juli 1948 von den Ländern der Westzonen, kommunalen und Wohlfahrtsverbänden gegründete Hilfswerk Berlin, für den Transport wollten die Briten mit ihren Dakotas, Hastings und Skymasters sorgen, sogar Sunderland-Wasserflugzeuge kamen für die Kindertransporte vereinzelt zum Einsatz.

Die Amerikaner lehnten die Aktion strikt ab, konnten sich gegen den britischen Wunsch zu helfen aber nicht durchsetzen. Noch in einem Dokument der Alliierten Kommandantur vom März 1949 heißt es: „Der Vertreter der USA betont, dass er von Anfang an gegen die Evakuierung von Kindern aus Berlin war.“

Ein Freiflug ins Schlaraffenland

Die Kinder, die das Glück hatten, bei der Aktion „Storch“ ausgewählt zu werden, wird dieses alliierte Fingerhakeln gleichgültig gewesen sein, bedeutete ein Platz in einem Rosinenbomber doch einen Freiflug ins Schlaraffenland. Der Hamburg-Korrespondent des Tagesspiegels hatte vor dem Weihnachtsfest 1948 einige Kinder, die dort Aufnahme gefunden hatten, befragt, wie es ihnen in der Fremde gefalle.

„Wie im Märchen“, schwärmte die neunjährige Lisa, die mit ihren beiden Geschwistern beim Onkel wohnte. „Die Schulspeisung hier – ach, das ist ganz etwas anderes als in Berlin. Wir dürfen so viel essen wie wir wollen, und alles kostet nur 15 Pfennig. Aber mehr als sieben Kellen voll schafft keiner,“ erzählte ihr Bruder Herbert, während die 13-jährige Schwester Ingeborg begeistert von einer Weihnachtsausstellung mit elektrischer Eisenbahn berichtete. Und an fast jeder Ecke habe man Äpfel kaufen können.

Doch unter die Begeisterung mischten sich auch Wehmut und Heimweh, wie sie aus der Schilderung eines Jungen spricht, der bei Neusiedlern in der Lüneburger Heide untergekommen war: „Jeden Mittag wünsche ich mir, dass meine Mutti unseren Esstisch sehen könnte. Ich schreibe mir immer auf, was es gegeben hat, und das erzähle ich ihr dann in meinem Sonntagsbrief.“ Die Trennung machte vielen Kindern zu schaffen, gerade zu Weihnachten, den Eltern ging es ebenso. Es war ja auch nicht absehbar, wie lange die Blockade und damit die Trennung der Familien dauern würde. So wurde die Zahl von 30.000 Kindern, die man über die Aktion „Storch“ ausfliegen wollte, bei Weitem nicht erreicht.

An Mitteln und Spenden fehlte es nicht, allein die rheinisch-westfälischen Bergarbeiter hatten Sonderschichten eingelegt und den Lohn dem Hilfswerk Berlin gespendet. 3,5 Millionen DM waren so zusammengekommen. Viele Eltern zögerten aber, ihre Kinder wegzulassen.

Die meisten Kinder kamen zu Verwandten

So waren es doch nur 14.496 Kinder und Jugendliche sowie 1044 Mütter und Betreuer, die von September 1948 bis März 1949 in die Westzonen geflogen und dort betreut wurden, wie Bernd von Kostka, Luftbrückenexperte im Alliiertenmuseum in der Zehlendorfer Clayallee, berichtet. Mehr als 90 Prozent der Kinder seien zwischen 6 und 16 Jahre alt gewesen und mehrheitlich von Verwandten, dazu von Pflegefamilien und Heimen aufgenommen worden. Gut die Hälfte sei in der britischen Zone untergekommen, die übrigen in der amerikanischen und nur ein kleiner Teil in der französischen.

Die jungen West-Berliner hatten es dringend nötig. Die Untersuchung einer Gruppe, die Anfang 1949 in einem Heim auf Sylt angekommen war, habe ein durchschnittliches Untergewicht von 18 bis 32,6 Prozent gezeigt, meist verbunden mit Blutarmut und Nervosität, und achtmal habe es Lungenbefunde gegeben, schreibt der einstige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen im (vergriffenen) Buch „Rettet Berlin – Schleswig-Holsteins Beitrag zur Luftbrücke“.

Als es 2008 in der Landesvertretung Schleswig-Holsteins in Berlin vorgestellt wurde, war auch der damalige Ministerpräsident Peter Harry Carstensen zugegen, dessen Erinnerungen an die jungen Gäste von der Spree nicht ganz ungetrübt waren: „Ich kann mich an die Berliner Kinder erinnern, die zur Erholung zu uns kamen. Da habe ich gedacht, hoffentlich hauen die bald ab, die waren nämlich ganz schön frech.“

Wo gefeiert wird

Zur Aktion „Storch“ hält Bernd von Kostka, Luftbrückenexperte des Alliiertenmuseums, am Sonntag gegen 15.30 Uhr im Hangar 5 auf dem „Fest der Luftbrücke“ am Flughafen Tempelhof einen Vortrag. Das Fest findet von 12 bis 19 Uhr statt. Bands treten auf, Veteranen erinnern sich, Karussells drehen sich für Kinder.

Der Beginn der Luftbrücke am 26. Juni 1948 wird dann im Juni unter anderem mit der Rückkehr von bis zu 40 Rosinenbombern über Berlin gefeiert.

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