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Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin

© dpa

AfD gegen Michael Müller: Der Regierende Twitterkönig

Das Urteil zum Müller-Tweet ist wohlmeinend – das Gericht stellt sich naiver, als es ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Regierende Bürgermeister ist für einen Tag auch der regierende Twitterkönig. Michael Müller durfte, was er da tat. Der Berliner Verfassungsgerichtshof bescheinigt ihm, sich mit seinem umstrittenen Demo-Tweet vom Mai 2018 nicht gegen die AfD gewandt und bloß Verfassungswerte herausgestellt zu haben. Denn wenn ein Bürgermeister in amtlicher Funktion in Gegendemos zu einem AfD-Aufzug ein „eindrucksvolles Zeichen gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze“ erkennt, seien die Partei und ihre Anhänger davon allenfalls nur am Rande betroffen. Ein Eingriff in ihre Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liege darin noch nicht.
Das Urteil ist nahezu uneingeschränkt zu begrüßen – weil es gegen die Richtigen geht. Die AfD tut viel, um Ressentiments zu schüren und Menschen zu verunglimpfen. Sie zieht ihre Gewinne aus Polarisierung, nicht aus der Originalität ihres Angebots oder ihrer Arbeit als Opposition. Einer solchen AfD entgegenzutreten, sollte Demokraten ein Anliegen sein.
Was nur eingeschränkt oder besser nicht zu begrüßen ist: dass sich das Gericht naiver stellt, als es ist, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. So erklärte die Vorsitzende, dass der Durchschnittstwitterer gar nicht hätte erkennen können, dass Müller sich auf Anti-AfD-Demos bezog, weil die AfD ja nicht genannt werde; dass eine „Lenkungswirkung“ vermieden worden sei, weil der Tweet erst nach Demoschluss ins Netz ging.

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit sollte schärfer kontrolliert werden

Daraus spricht Wohlmeinen mit den Social-Media-Experimenten in der Senatskanzlei. Der schöne Maitag war eine Art Bürgerfest, der die „AfD wegbassen“ sollte. Nicht Friede, Freude, Eierkuchen war das einigende Motiv, sondern Protest gegen eine Partei. Das wusste jeder in der Stadt, und deshalb setzte Müller per Tweet noch einen obendrauf. Was jetzt vor Gericht zum „Reflex“ einschrumpft, war die kalkulierte Hauptnachricht: Diese AfD wollen wir nicht.
Ein Eingriff in die Chancengleichheit? Vielleicht ein bisschen viel der Ehre für einen einzigen Tweet. Aber statt ihn aus seinem Kontext herauszulösen, hätte man kritischer damit umgehen können. Man stelle sich vor, Michael Müller oder andere Stadtfürsten und Länderchefs machten es sich fortan zur Gewohnheit, örtliche Demos und Gegendemos zu kommentieren oder in der einen Bürgerinitiative „eindrucksvolle Zeichen“ für irgendwelche Verfassungswerte zu erkennen, während andere den Stempel „Hetze und Rassismus“ aufgedrückt bekommen. Freilich indirekt, ohne ausdrückliche Nennung, aber nach Zeitpunkt und Zusammenhang doch deutlich genug, damit es alle kapieren.
Bürgermeister als regierende Einmischer? Um politischen Strömungen oder Parteien das Geschäft schwer zu machen, sollten sich Politiker andere Plattformen suchen als ihr Amt. Und die Justiz mag sich bemühen, die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit schärfer zu umreißen. Wenn die AfD irgendwann Innenminister stellt, die bei Twitter morgens fröhlich die „Abschiebung des Tages“ verkünden, kann es zu spät sein.

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