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Fahrradfahrer demonstrieren bei der Sternfahrt für bessere Radverkehrsbedingungen in der Hauptstadt.

© Sebastian Willnow/dpa

ADFC-Sternfahrt in Berlin: Zählung: Wie viele Radler tatsächlich mitfahren

Seit Jahren nennen ADFC und Polizei sehr unterschiedliche Teilnehmerzahlen zur Sternfahrt. Wir wollten es genau wissen - und haben selbst gezählt.

Bei der Premiere vor 40 Jahren sollen es 8000 gewesen sein, die aus allen Teilen der (Halb-)Stadt in den damals autobahnbedrohten Tiergarten radelten. Seitdem wurden es immer mehr, die sich an der alljährlichen Fahrradsternfahrt beteiligten, und nach der Jahrtausendwende waren es so viele, dass niemand mehr sie zu zählen vermochte und der damalige Landesvorsitzende des Radfahrerclubs ADFC kurzerhand mitteilte: 250 000. Diese Viertelmillion geriet aktenkundig 2008 ins Wackeln, als die Polizei mitteilte, es seien nur 25 000 gewesen. Auch in den Folgejahren gab es keine überzeugende Annäherung, wie ein Blick auf die vergangenen drei Jahre zeigt: 2014 meldete der ADFC 200 000, die Polizei 22 700. Im Jahr darauf stand es 120 000 zu 35 000, aber 2016 wuchs die Lücke wieder: 140 000 zu „gut 20 000“.

Da es sich bei der Sternfahrt um eine politische Demonstration handelt und gerade viel über verkehrspolitische Prioritäten diskutiert wird, ist die Frage nach der Teilnehmerzahl durchaus relevant. Dieser Sonntag bot also die Chance, der Wahrheit näherzukommen. Das Werkzeug dafür: ein mechanischer Zähler.

Sean Spicer dürfte da Erfahrung haben, wie man Bildmaterial von Menschenmassen auswertet. Es waren mindestens eine Million Radfahrer, eher sogar zwei. Auf jeden Fall mehr als bei Obama.

schreibt NutzerIn prokrastes

Vorab haben Polizei und ADFC auf Anfrage ihre Zählmethoden erklärt. Laut Polizeipräsidium werden die Teilnehmer an den Sammelpunkten gezählt, wo das relativ genau gelinge. Auf den Autobahnen – also Südring und Avus – werde zwar ebenfalls gezählt, aber wegen der bis dorthin so stark angewachsenen Teilnehmerzahl nur noch grob. „Reihenzählung“ heißt dieses bei mobilen Demos übliche Grundprinzip, das allerdings bei Fußgängern besser funktionieren dürfte als bei Radfahrern auf vielspurigen Straßen.

Susanne Grittner, die beim ADFC seit vielen Jahren die Sternfahrt organisiert, berichtet ebenfalls von Zählungen auf den Einzelrouten – basierend auf Angaben der 19 Routenleiter und etwa 160 Ordner. Die Erfahrung habe gezeigt, dass das Auffahren auf den Südring am Tunnel Britz etwa 50 Prozent länger dauere als auf die Avus. Demnach müssten etwa 60 Prozent der Demonstranten über den Südring fahren und 40 Prozent über die Avus. Tatsächlich fahren natürlich nicht alle Teilnehmer auf diesen Routen, weil manche – etwa im Umland und den Außenbezirken – nur ein Stück mitfahren und es dann gut sein lassen oder direkt das Umweltfestival am Brandenburger Tor ansteuern. Außerdem gibt es die Kinderroute, die an der Jannowitzbrücke startet und als einzige keine Autobahn nutzt. Allerdings ist sie mit weniger als 1000 Teilnehmern auch relativ unbedeutend.

Mit dieser Vorbereitung lässt sich also am Sachsendamm ein schattiges Plätzchen unter dem großen Solarmodul (ein Hoch auf die Erneuerbaren!) am Bahnhof Südkreuz finden und der Strom der Radler erwarten, der aus zehn der 19 Rinnsale gespeist wird, die teilweise schon seit dem Vorabend (Start in Stettin war 21.30 Uhr) auf Berlin zufließen. Berücksichtigt man etwas „Verdunstung“ sowie die Möglichkeit, auch erst später dazuzustoßen, sollte hier also etwa die Hälfte der Demoteilnehmer vorbeirollen.

Kurz nach 13 Uhr zeigt die von schlauen Berliner Radlern entwickelte App „Critical Maps“, dass sich der erwartete Pulk noch von der Autobahnzufahrt in Neukölln über die Sonnenallee bis fast zum Moritzplatz staut, während der andere Radlerstrom bereits über die Avus Richtung City fließt. Um 13.38 Uhr kommen mehrere Polizeiwagen, dann ist es endlich auch am Südkreuz soweit: Das Rudel rollt! Klickklickklickklickklick … – nach sechs Minuten sind die ersten 1000 voll, nach weiteren sechs 2000. Nach einer halben Stunde sind es 5000, nach einer ganzen 10 000; dann wird der Strom allmählich dünner. Man muss auch sagen: zählbarer. Er ist nämlich unstet von Beginn an, sodass manchmal zwei Sekunden keiner kommt (gut) und dann wieder zehn in einer einzigen (schlecht). Nach eineinhalb Stunden stehen 13 000 auf dem Zähler, und um 15.21 Uhr, also eine Stunde und 43 Minuten nach den Ersten, kommen noch ein paar grüne Radler von der PIN AG, zwei Sanitäter – und dann der Besenwagen von der Polizei, der das Ende der Demo markiert. Der Zähler steht bei 14 987. Einige sind unvermeidlich ungezählt vorbeigerollt, andere direkt vor der Zählstelle zum Bahnhof Südkreuz abgebogen und wieder andere erst später dazugekommen, zumal am Bahnhof Zoo noch ein offizieller Treffpunkt ist. Wenn also tatsächlich jeder Zweite hier vorbeigerollt ist, sind rund 30 000 auf Achse. Wenn man sie alle an sich vorbeiziehen lässt und immer nur starren Blickes klickt und klickt, kommt es einem vor wie eine Viertelmillion. Mindestens.

Am Abend mag die Polizei ihre Zahl partout nicht verraten. Beim ADFC heißt es, es dürften wohl 100 000 Teilnehmer gewesen sein. Aber gerade den Südring hätten sich in diesem Jahr einige spontan erspart, weil die Schranke zur Autobahn ewig nicht aufgegangen sei und es beim Warten davor doch ziemlich heiß war.

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